Die Nachricht könnte fast untergehen, weil ihre Tragweite und Tiefe kaum noch begriffen wird. Aber der Oberste Gerichtshof in Österreich hat nun festgestellt, daß die sexuelle Zuwendung der Partner nicht für den Bestand einer Ehe ausschlaggebend ist. Ein entsprechendes Begehren eines Leidtragenden, der unter der diktierten Enthaltsamkeit der Partnerin litt, der schon vor der Hochzeit körperliche Nähe unerträglich war, beide hatten aber gehofft, daß sich das "legen würde",² wurde abgewiesen, die Ehe ist rechtlich gültig, wird nicht annulliert, weil rechtlich von sexuellem Vollzug unabhängig.*
"Sexuelle Gemeinschaft ist kein zwingendes Merkmal einer Ehe," schreibt der Oberste Gerichtshof dazu. Und um diesen Satz vor allem geht es.
"Sexuelle Gemeinschaft ist kein zwingendes Merkmal einer Ehe," schreibt der Oberste Gerichtshof dazu. Und um diesen Satz vor allem geht es.
Wenn dem nämlich so wäre, würde die Ehe auf eine reine legistische Vertragswirklichkeit reduziert, ihr Wesen mißdeutet. Denn sie ist in ihrem Wesen auf die wechselseitige Hingabe, die Überschreibung der Leiblichkeit an den anderen, gekennzeichnet. Ja, das macht als Grundbewegung das Wesen der Ehe aus, und in diesem "einander sterben" bildet die Ehe die Grundlage für neues Leben.**
Aber mit der sukzessiven Aufweichung der Ehe, ihrer "Öffnung" für reine Vertragswirklichkeit (wie bei homosexuellen), schwindet natürlich dieser ihr eigentlichster Boden. Und so erleben wir erstmals die volle und erschütternde Wirklichwerdung dieser Umdeutung. Denn fehlt einer Gesellschaft diese Hingabe, fehlt ihr der Boden für die Liebe und das Leben, wird sie zu einem Formalvollzug von Funktionen.
Da scheint ein anderer Artikel in der Presse das Bild über die Veränderung der österreichischen Justiz zu ergänzen. In welchem der Salzburger Strafrechtsprofessor Kurt Schmoller dem Obersten Gerichtshof vorwirft, das Recht zunehmend auf reine Formalgründe zu reduzieren, ja mündliche Verhandlungen zu vermeiden, in denen umfassendere Kriterien zum Tragen kommen könnten. Die eigentlichste Aufgabe aber, die solche eine Instanz hätte, nämlich Maßstäbe für eine einheitliche Rechtsauslegung zu setzen, die sich nicht auf Formalien begrenzen darf, sondern die Dinge auf ihren tiefsten Grund befragen muß, wird immer weniger erfüllt.
Der OGH ziehe sich auf formelle Argumente zurück - "methodengerechte Begründung" - ohne die "materiellrechtliche Begründung" noch zu prüfen, diese wird offen gelassen, gar nicht mehr behandelt. Der Oberste Gerichtshof mache sich so zum reinen Überprüfungsinstrument des Handwerks der Rechtsanwälte, ohne auch nur der Frage nachzugehen, ob das Formalrecht sich ohne Materialrecht überhaupt ausreichend definieren lasse. Dem entspricht ein beobachtbares Zurückweisen von Zuständigkeit und Kompetenz gerade in inhaltlichen Fragen.
Damit fällt auch das Prinzip der Gerechtigkeit, das aber dem Wesen des Rechts zugrundeliegen muß. Gerecht ist dann nur noch, was in gewissen Hinsichten der Rechtstechnik formal ablesbar ist.
Auf obiges Thema angewandt: Der OGH prüft gar nicht mehr das Wesen der Ehe, das ist ihm irrelevant, um ihren Rechtsboden zu definieren, sondern geht ausschließlich von der vorgefundenen formal-juristischen Handhabung aus. Weil sich diese aber durch die Rechtsentwicklungen der letzten Jahre vom inneren Wesen der Ehe abgewandt hat, etwa durch die Handhabung der Scheidung oder des Trennungsrechts (man nehme nur das in der Praxis bereits vollzogene Fallen des Verschuldungsprinzips, im Volk durch den sehr dummen Satz bereits angekommen, nachdem zu einer Scheidung wohl "beide dazugehören"), es durch die Ausweitung auf alle möglichen Lebensformen auf ein rein juristisches Vertragswerk reduziert hat, das sogar ausdrücklich ihre Wesensdefinition ausschließt, erhält die (einzig mögliche) Ehe (von Mann und Frau) selbst ein Rechtsgewand, das ihrer Natur gar nicht mehr entspricht.
²Naturrechtlich lag also von beiden Seiten kein Einverständnis zu einer "Josefsehe" (ein Sonderfall der Ehe, der Sexualität nämlich nicht "ausschließt", sondern auf ihre höhere Ebene stellt, weshalb eine Josefsehe äußersten geistigen Hochstand, dem Zölibat gleich, der im Grunde eine Form der Josefsehe ist, erforderte) vor, sowie keine Bereitschaft, den Fall einer "Nichtbehebung" dieses (psychischen) Defekts zu tragen. Beide sind also von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Ehe war kirchenrechtlich also höchstwahrscheinlich (man müßte den Fall bzw. die jeweilige Gewissenslage natürlich genauer kennen) nie gültig geschlossen.
*Nach Kirchenrecht hat eine solcherart "nicht vollzogene Ehe" die Möglichkeit, über einen entsprechenden Antrag an der Rota Romana aufgehoben zu werden.
**Darin gründet ihre notwendige Offenheit für Nachwuchs - einer der Gründe deshalb, die eine Eheannullierung als Konstatierung einer nie gültig geschlossenen Ehe vor Kirchengerichten bewirken können.
***