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Sonntag, 19. Januar 2014

Säule des Volksentscheids

Unser gegenwärtiges Geschichtsbild ist gerade was die Zeit VOR Aufklärung und französische Revolution anbelangt, auf höchst effiziente Weise manipuliert und geändert worden. Nur ist und das nicht bewußt. Und sollte es doch sein. Vor allem in den Vorurteilen, mit denen das Mittelalter bedacht wird, zeigt sich dies.

Denn die sich im Absolutismus ausprägende subjektive Allmacht des Herrschers ist eine pathologische Übertreibung einer Königsmacht (bzw. Fürstenmacht), die es bis ins Mittelalter überhaupt nie gab. Nicht bei den Franken, nicht bei den übrigen germanischen Völkern. Diese Zeit im besonderen hat über weite Strecken Geschichte umgeschrieben, um die Legitimität der neuen Ideen zu beweisen. Und dazu mußte vor allem die Vorzeit umgefälscht, verleumdet und umgedeutet werden.

Zwar ist die Herleitung der Gott repräsentierenden Stellung des Königs uraltes, in seiner Entstehung im Grau aller Vorzeit verschwindendes Rechtsgut als Volksempfinden, aber nie war diese Herleitung aus göttlicher Macht ohne Ausdruck des Volkswillens zu denken. Der König war König, solange er die göttlichen Gesetze befolgte, sittlich einwandfrei war, nicht vorher, nicht nachher. Erfüllte er diese Bedingungen nicht, war er auch nicht mehr König, wurde er vom Volk abgewählt. Insofern stand das Gesetz als Recht auch über dem König, durch ihn regierte Gott das Volk.

Und in diese theokratische Auffassung fügte sich auch die katholische Theologie. Die nicht die Macht um ihrer selbst willen bejahte, sondern aus dem Sinn des Staates herleitete. Der die sittliche Vervollkommnung der Menschen zum Ziel haben mußte. Seine Gesetze mußten diese Sittlichkeit der Menschen befördern und schützen. Taten sie es nicht, verlor der Staat, der Machthaber seine Legitimität. 

Wenn in allen möglichen billigen Machwerken etwa der Filmindustrie ein oft so unsäglich dummes Bild vom Mittelalter als von einer bigotten, machtgeilen Kirche wie gefangen gehaltenes finsteres Zeitalter gezeichnet wird, wie es der Verfasser jüngst in "Die letzte Legion" sah, dann steckt dahinter zum einen Unwissenheit, aber auch viel böse Absicht. 

Denn im Gegenteil, war es die Kirche, die immer, vor allem aber dann in der Zeit des beginnenden Spätmittelalters, 12./13. Jhd., dieses Volksrecht stärkte und schützte. Den Investiturstreit muß man auch und vor allem unter diesem Gesichtspunkt sehen. Ricarda Huch (eine Protestantin) ist sogar der Meinung, daß dort - durch Betreiben der Kirche -  der Grundstein für die freiheitliche und individualistische Verfaßtheit Deutschlands gelegt wurde, die als kaum zu überschätzendes hohes Gut erst durch die selbstherrliche Ausrufung des Kaiserreichs 1871 beseitigt wurde. Auf das die zentralistische Ausrichtung des geschichtlichen Fortgangs Deutschlands, das sich als Nation erfand, in einer Pervertierung des mittelalterlichen Reichsbegriffs im folgenden 20. Jhd. zurückgeht.

Das Element des Volkszustimmung, das bis ins Mittelalter real, später zumindest noch formal lange seine Rolle spielte, bezog sich dabei nicht auf das monarchische Prinzip. Das stand sowieso außer Zweifel (wenn es auch Stimmen gibt, die darauf hinweisen, daß es von Zeit zu Zeit bei den Germanen fürstenlose Zeiten gegeben haben könnte.) Es bezog sich auch nicht auf das Haus, aus dem sich nach und nach das Geschlechts- und Geblütsrecht entwickelte, welches sich aber selbst wiederum auf uraltes Volksrechtsgefühl bezog. Denn ein Volk wollte von Gott regiert werden, also war der Herrscher auch sein Stellvertreter. Niemand wollte von Seinesgleichen regiert werden. Die Volkszustimmung bezog sich aber auf die Person selbst, das Subjekt. Im Befinden, ob sie tauglich sei, die Aufgaben zu erfüllen.  Und die bestand in der erwähnten Garantie, die er auch durch reale Kraft und Macht durchsetzen konnte.

Dieser Pflichtgedanke hinter dem Begriff des Königs (bzw. Herrschers) deckt sich exakt mit der Amtsauffassung der Kirche. Nicht legitimistische Prinzipien rechtfertigen einen Herrscher, sondern seine Vernunftfähigkeit. Volkszustimmung war dabei nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklicher Grundstein seiner Legitimität - "Vox populi vox Dei". In der Stimme des Volkes sprach Gott, das in einem Glauben geeinte Volk urteilte aus einer Gewissenslage.* Die Kirche hat aber im wesentlichen immer die Idoneität vor die Legitimität gestellt, Legitimität (als Geburtsfolge etwa) war nur dort von Bedeutung, wo sie realpolitisch eine Rolle in der gerechten Ordnung eines Staates spielte.**

Dieses Prinzip der Volkszustimmung hat gleichfalls seine tiefen Wurzeln. Denn ein Volk hatte auch stets einen gemeinsamen Glauben, eine gemeinsame Sittlichkeits- und damit Rechtsauffassung. Niemand stand außerhalb der einen Religion. Insofern war in allen auch die Stimme Gottes anzunehmen, und Ausnahmen fielen nicht ins Gewicht. So stammte zwar das Recht des Königs von Gott, aber er wurde nicht ohne das Volks eingesetzt - um ihm dann mit eigenem Recht gegenüberzustehen.

Wie entscheidend dieses Prinzip des einenden Volksglaubens auch in der antiken Verfassung als Demokratie war (die sich nicht nur darin von der heutigen gravierend unterscheidet), ist uns viel zu wenig bewußt. Das Schicksal des Sokrates etwa hat direkt damit zu tun: War die gemeinsame Religion zerstört, wankten die Fundamente eines Volksentscheids.***

Und auf dieser Säule also stand auch die Wahl des Volksfürsten, die einher ging mit der Bereitschaft, den Gewählten in mythische, höhere Sphären zu entrücken, in die er mit der Wahl eintauchte. Was die Kirche übernahm, aus im Grunde gleichem Gedankengut, und in der Königsweihe zum Ausdruck brachte. War der König (Fürst) einmal gewählt, war sein Haus, sein Geschlecht geweiht, und zwar für alle Zeiten. Nicht aber jeder Einzelne daraus.




*Deshalb hat die Kirche auch das Thronrecht Unmündiger bekämpft, auch darin das Volk vor irrationalen Machtansprüchen eines Geschlechts beschützt. Die Thronansprüche unehelicher Kinder - Bastarde - zu verneinen lag hingegen im Schutz der Würde der Ehe begründet, ohne die im übrigen eine staatliche Ordnung zerfällt. Denn der Staat beruht auf jenen ontologischen, zuinnersten Prinzipien, die nur in der Ehe existieren. Ihn anders zu definieren war gleichfalls eine Erfindung der Aufklärung, und darin eine Frucht der Renaissance.

**Das ging im übrigen so weit, daß sich die Kirche ab dem 11. Jhd. auch gegenüber dem Geblütsrecht ablehnend verhielt, und das Wahlkönigtum - auch gegen "legitime" Geschlechtsnachfolger - stützte. Fritz Kern schreibt sogar, daß die Kirche das alte deutsche Dynastierecht regelrecht zertrümmerte. Daß sich in den Lützhelburgern und Habsburgern das Geschlechtsrecht wieder zurückmeldete, hat andere Gründe: im Selbsterhaltungstrieb des Gemeinwesens in der Konfrontation mit den übrigen europäischen Staaten.

***Demokratie schafft nicht Einheit - sie setzt Einigkeit voraus. Andernfalls wird sie zur Diktatur der jeweiligen Mehrheit, und endet unweigerlich im Bürgerkrieg. Es wird im übrigen vielfach übersehen, daß auch die Demokratie in der griechischen Antike (zumindest bis zur Verfallszeit) nur den Wahlvorgang selbst betraf. Einmal gewählt, stand der Herrscher dem Volk in monarchischer Weise vor. Das Bild, das wir heute meist von dieser Zeit haben, führt sich gleichfalls auf die massive Geschichtsfälschung der französischen Revolution zurück.






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