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Freitag, 24. Januar 2014

Weiß die Kirche es noch selber?

Die Ergebnisse der vom Vatikan weltweit in Auftrag gegebenen Umfrage an die Katholiken sind nun publik gemacht worden. In Österreich mit einem zu erwartenden Ergebnis: Zwar wollen irgendwie die Menschen Katholiken sein, und verstehen sich auch so, aber in Fragen der Lebensführung, die irgendwie mit Geschlechtlichkeit und der Stellung der Geschlechter zu tun haben, wirft man der Kirche "Lebensferne" vor.

Vielleicht ist es aber genau umgekehrt. Vielleicht ist nämlich den Menschen das Leben fremd geworden, und deshalb stimmen natürlich die katholischen Ansätze nicht mehr mit ihrem faktischen Lebensalltag überein. 

Wenn etwa die Diözese St. Pölten dazu bemerkt, daß man es "nicht immer geglückt" sei, den Menschen die kirchliche Lehre verständlich zu machen, so müßte man eher sagen, daß die Kirche es verabsäumt hat, den Menschen den Weg zum natürlichen Leben zu zeigen, ihre natürlichen Alltäglichkeiten zu erhellen. Denn das ist sehr wohl die Aufgabe von Religion. Die Kirche ist nicht primär eine Lehranstalt, die irgendwelche Lehren und Ideen zu verkünden hätte. Sie ist keine Ideologie. Sie ist der Hort des Lebens. Es sagt deshalb schon sehr viel aus, wenn niemandem mehr die Schlußfolgerung aufzusteigen scheint, daß ein Versagen der Verkündigung eine Frage nach der Liturgie aufdrängt. Denn die Form der Verkündigung ist primär eine Frage der Gestalt, nicht des Geredes auf Twitter oder in Sonntagsreden.

Weil man den Kulturkampf - der genau dieser Kampf um Ganzheit, um Fleischlichkeit der Wahrheit in der Gestalt ist - aufgegeben hat, hat man deshalb zwei Welten entstehen lassen. Deren eine nun für die Menschen die "wirkliche" Wirklichkeit darstellt, die "alle auch glauben", die aber schon seit Jahrzehnten zu den Aussagen der Kirche durch eine immer tiefere Kluft getrennt ist. Auch manche Ergebnisse aus den Umfragen belegen das, in denen man der Kirche gar keine Realitätskompetenz mehr beimißt. Weil aber nun etwas anders, in einer säkularen Welt, als Wissen gilt, als die Kirche "weiß", wird die Kirche der Unwissenheit beschuldigt.

Der Witz dabei: Die Kirche verhält sich über weite Strecken auch tatsächlich so. Und eine Institution wird immer dann von der Geschichte weggespült, wenn sie an sich selbst nicht mehr glaubt, an ihrer Relevanz selbst zweifelt. Ja man muß sogar davon sprechen, daß die Mutlosigkeit und Verunsicherung der Kirche die Suche nach alternativen Lebensentwürfen erst provoziert hat und provoziert. Denn es ist kein Gegenrezept, die gesprochenen Worte zu verstärken, dafür die Gestalt aufzugeben - der Weg muß genau umgekehrt laufen.

Denn es ist keinewegs wie so oft zu hören ist ein Schicksal aus der Kulturentwicklung, daß die Kirche verschwindet. Sie hat sich selbst unsichtbar gemacht, bestenfalls zum Wortsalat verdampft. Wie sollte man also noch an sie glauben, wenn sie gar nicht mehr sichtbar ist? Wenn selbst ein ansonsten sich sehr orthodox, ja fromm und "evangelisationsfreudig" gebender Kardinal - um ein konkretes Beispiel aus jüngster Vergangenheit im Umfeld des Verfassers zu nennen - auf eine wahre Hottentottenveranstaltung aufmerksam gemacht, die sich Messe nannte, der Kritik zwar vollauf zustimmt, aber sein Nichtstun mit dem indifferent-abstrakt verflüchtigten Hinweis rechtfertigt, daß die Messe doch "gültig" gewesen sei? Der sieht also selbst nicht mehr, worum es geht.

Die Wahrheit um das Lebenswissen der Menschen ist also genau umgekehrt zu dem, als sie von sich glauben. Das, was heute als "Wissen" kolportiert wird und den öffentlichen Diskurs bestimmt, ist in einem Ausmaß entwirklichter Rationalismus, der weil nur in gewissem Rahmen logisch nur bedingt wahr ist, sodaß er die Menschen von den Wurzeln des Lebens selbst entfremdet hat. Sodaß sie ein Scheinleben leben. Mit dem die Wahrheit irgendwann nicht mehr vereinbar scheint. Erkennbar am Rüttelmaß der Wahrheit: am Gelingen oder Scheitern des Lebensentwurfs selber (was mit "Erfolg" nichts zu tun hat.) Und an der Akzeptanz der so realen, die Realität konstituierenden Zentralwahrheiten dieses Glaubens, und das ist das Mysterium des Kreuzes, des Sterbens.

Aber die Wirklichkeit, das Sein, hört eben nie auf "anzuklopfen", solange es jemanden gibt, der "ist" - also Sein HAT, an ihm teilhat. Deshalb kann auch kirchliche Verkündigung niemals "pastorale Wege" suchen, um die Wahrheit nur so weit zu verkünden, daß man sie zwar nicht einfach verleugnet (wobei auch das schon lange keine Gewähr mehr ist), aber möglichst doch verschweigt, um irgendeine fabulöse Akzeptanz zu erreichen.

Sondern sie muß an diese tiefe existentielle, den meisten heute eben nicht mehr erklärbare Not anzuknüpfen, die ihr Leben nämlich in Wirklichkeit bewegt, ohne daß sie es erkennen, sodaß ihnen das Leben (das immer ein Leben von und in Gestalten ist) selbst immer fremder und irrationaler, a-vernünftiger wird. Eine Not, und eine Unfreiheit, um die eigentlich nur die Kirche noch weiß. 

Aber - weiß sie das noch selber? Muß man nicht den Eindruck haben, daß sie vergessen hat, was sie wußte, und was sie wissen sollte? Wird man das bald nicht nur noch in (alten) Büchern und bei sehr vereinzelten Solitären finden?





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