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Freitag, 4. April 2014

Liebe und Selbststand

Nun gibt es freilich eine Liebe in der Erkenntnis, die ein Irrtum ist, schreibt Augustinus an einer Stelle. Nämlich dann, wenn das Erkenntnisbild, das sich der Erkennende von dem Ding macht, das er (sinnlich) erkennt, so stark geliebt wird, daß sich der Erkennende ganz von ihm formen läßt. Es also so stark übernimmt, daß es dieses Bild ist, nach dem sich der Erkennende fortan bewegt.

Etwas, das sich leicht etwa bei Kindern oder Jugendlichen beobachten läßt - sie leiden noch unter demselben Mangel: Es ist der Mangel nicht zu unterscheiden zwischen dem Ich, das urteilt, und dem Erkenntnisbild. Dieses Ich muß hier durchgehalten werden, indem der Akt des Urteilens nicht aufgegeben wird. Nur so kann diese Unterscheidung zwischen dem Bild eines außenliegenden Erkenntnisgegenstands und dem Ich bewahrt bleiben.

Am eigenen Urteil - und damit an der eigenen Sittlichkeit - führt also kein Weg vorbei! Keine noch so "gute" äußere Veranstaltung darf zum Anlaß genommen werden, das eigene (geistige) Urteil zu überlagern oder zu verdrängen. Vielmehr muß die eigene Geistigkeit auf jene Höhe gebracht werden, die in der Wahrheit das erkennt, was dem "guten" Anlaß entspricht. So passiert die Anähnlichung, im Bösen wie in der Heiligkeit. Denn nur hier wurzelt auch der Akt des Bösen - so wie der der Liebe. Der Nicht-Wissende, Überwältigte ist in diesem Sinne also auch nicht der Böse. Er ist nur der, der nicht gut handeln kann, im wahrsten Sinn, denn wenn "passiert" ihm Gutes höchstens. Der Böse ist wie der Gute der, der willentlich und wissentlich handelt. (Noch einmal: was nicht heißt, immer daran denken zu müssen.)

Man spricht deshalb von Tugend auch dort, wo der Wille zum Guten zur Haltung geworden ist, zur "Selbstverständlichkeit", in der Reaktion auf das Erkannte. Man spricht nicht von Tugend dort, wo dieses Gute zum starren Bild (und damit Handeln) geworden ist, sich der Liebe, die immer eine Offenheit zum Augenblick bedeutet, damit verwehrt. Und nicht spricht man von Tugend und gutem Handeln auch dort, wo das eigene Handeln der Überwältigung durch äußere Erkenntnisbilder entspringt. 

Diesem Handeln fehlt (oder eignet) dann je auch die Verdienstlichkeit, in der wir erst unserer eigenen Bestimmung, der Anähnlichung mit der Vernunft selbst, im Selbststand (in dem der Mensch erst seiner Abbildhaftigkeit zu Gott entspricht), die wiederum die Wahrheit als Form des Geistes voraussetzt, entsprechen.

Die Selbsterkenntnis, so Augustinus, ist deshalb keine Frage des Hinzufügens, sondern eine des Wegnehmens: indem der Mensch lernt SICH von dem zu scheiden, was als Sinnesbilder (die wiederum Ausdruck einer jeweiligen Willensneigung sind) in ihn eindringt, um sich so im freien Urteil zu verhalten. Denn indem das Kind anders mit sich liebt, verwechselt es diese mit sich (eine Haltung, die übrigens auch bei vielen sogenannten primitiven Völkern zu beobachten ist) und wuchs so mit ihnen zusammen. Das Kleinkind kann die Dinge nicht von sich auseinanderhalten, es kann sich nicht urteilend dazu verhalten - es muß es lernen. Der Mensch muß sich in der Selbsterkenntnis "wegerkennen" von den anderen Dingen! Er muß sich als jemanden behandeln lernen, der immer bereits "da" ist. Er ist nicht "abwesend", sondern er hat sich anfänglich nur noch nicht geistig vom anderen unterschieden.*

(Wer einem Kleinkind etwa etwas wegnimmt, erfährt seine Gegenwehr als Reaktion der Wegnahme eines Teiles von ihm selbst. Umgekehrt: Diebstahl als Unfähigkeit zu geistiger Haltung dazu ist eine Form von unentwickelter Kindesmentalität. Weit unterschätzt werden deshalb heute die Folgen der Erziehungslosigkeit, der schon ganze Generationen unterliegen: sie äußert sich auch als Mentalität des "alles gehört mir". Diebstahl ist eines der größten Probleme, die auf uns zukommen, ja wir befinden uns schon mitten in einer Gesellschaft von Dieben. Wobei dem Diebstahl die umgekehrte Haltung der vollkommenen Absicherung dessen, was einem bereits "gehört" - als unabtrennbarer Teil des Selbst -, zugeordnet ist. Die heute weithin schon zu beobachtende fehlende Haltung zu Eigentum ist nicht die des Verzichts, sondern die eines unentwickelten Ich des "alles gehört mir - und damit nichts".)




*Eine Pädagogik, die Kinder zur Unterschiedslosigkeit erzieht, die Kinder entgegennimmt, als seien sie nicht in einem Stand, in einer Identität, DIE SIE ja unterscheiden lernen vom anderen, ist deshalb in pures Verbrechen, das die Menschen zur Unfreiheit treibt.




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