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Samstag, 5. April 2014

Zurück bleiben Ruinenlandschaften

Eines muß man ihnen ja lassen: Sie haben so etwas wie Macht. Es ist die Macht, die die Verweigerung mit sich bringt, die bereit ist, das Ganze jederzeit und unter allen Umständen preiszugeben, um das, was es zusammenhält - die Macht - aus ihrer Position zu verjagen. Wer? Die Generation der Internetbobos und "alles muß besser werden"-Intellektuellen, die sich per Facebook auf Plätze koordinieren, wo sie Frieden und vor allem natürlich Demokratie fordern. In Tunesien, in Ägypten, in Syrien, in ... und zuletzt in der Ukraine. Welche Demokratie? War der Präsident in der Ukraine nicht demokratisch gewählt? Ja, schon, so irgendwie, aber nicht DIESE Demokratie, nein, eine ... andere. Welche? Na ... eine andere. Wo alle mitreden können, und einfach alles besser ist. Und jeder seinen iPod erhält und Musik downloaden kann und mit Knopfdruck sein Ticket nach Bombay bestellt.

Und natürlich weiß Europa auch sofort, daß es da überall um die Gute Sache ging und geht, wer dabei die Guten, wer die Schlechten sind. In Tunesien, Ägypten, Syrien, Irak, Afghanistan, oder jüngst die Ukraine. Und rudert - er wird allmählich auffällig, zieht sich wie ein Schema durch die Landschaften der Politik der letzten Jahre - nach wenigen Monaten oder Jahren kleinlaut und klammheimlich wieder zurück. Weil die Dinge doch viel komplexer sind, weil alles sogar ganz anders gewesen sein könnte. Könnte es also sein, daß die öffentliche Sichtweisen in West-Europ und den USA gar nicht mehr erfassen, worum es überhaupt geht? Sieht nicht die Politik genau so aus, die sich oft nur hält, weil sie naiver, dümmer ist als so mancher Rest der Welt, und deshalb unbeherrschter, unberechenbarer von (auch militärischer) Stärke Gebrauch macht, wie Halbstarke, und dabei einen Porzellanladen nach dem anderen zerschlägt? Sind es nicht auch etwa in einer Ehe die Partner, die am wenigsten Skrupel und noch weniger Verstand haben, die mit der Drohung, das Ganze zu zertrümmern, dessen Wert sie gar nicht kennen, den seriöseren Teil meist rasch in die Knie zwingen, weil der noch weiß, worum es geht?

Kann es sein, daß Europa und der Europäer (von den Amerikanern wollen wir da gar nicht mehr reden, denn die wollen die Welt ja gar nicht verstehen, die wollen einfach "ihr Ding" durchziehen; Europa will ja längst nichts mehr, weil es nicht weiß, was es wollen sollte ...) die Welt gar nicht mehr versteht? Die Vielzahl von Sackgassen, in die sich das Leben und die Politik auf diesem Kontinent immer lückenloser verrennt, begleitet von dieser fast fanatischen Entschlossenheit, in der diese Narreteien ergriffen werden, scheint das schon beweishaft zu belegen. Wenn aber diese These stimmt, und sie scheint zu stimmen, und das scheinen die Menschen auch längst zu ahnen, ja zu wissen, dann folgt daraus etwas Furchtbares: Denn dann sagt das, daß die Apparaturen in Europa, die Systemiken, nicht mehr funktionieren, weil sie die Irrwege mit zwanghafter Logik immer weiter treiben - als System. Dann hätte Europa die Kraft, sich friedlich zu reformieren, sich ohne Radikalschnitte zu reformieren, die NICHT in einer organischen Logik vom derzeitigen Oben ausgehen, bereits verloren. Ein erschreckender Gedanke,  für dessen Richtigkeit aber sehr viel spricht. Ja, das Verhalten der Eliten, des "Kopfs" des Kontinents, deutet darauf hin, daß diese Eliten selbst es längst dunkel erahnen, und umso vehementer und totaler ihren Bestand zementieren.*

Zurück bleiben und blieben nämlich überall Ruinen- und Wüstenlandschaften. Und die scheinbaren Dämonen, die man erst auszutreiben man mit Bomben und Granaten auszog, so viel man im Einzelnen oft kritisieren konnte, kommen nun in noch mächtigerer, aber aufs erste zumindest noch unbeherrschbarer, willkürlicher Form und als wirkliche Dämonen zurück. Und diesmal traut sich niemand mehr, ihnen entgegenzutreten, denn nun stehen sich zu Kampfposen veränderte, in Krieg gestellte Haltungen gegenüber. Jetzt ist Krieg, wo zuvor ein öffentlicher Marktplatz mit allem Stimmengewirr war. In Ländern, die genau das verloren haben, was sie in einem Staat zu größeren Möglichkeiten geformt hatte. Nun sind die Gräben gezogen, die Magazine aufgerüstet.  

Sie fallen nun entweder überhaupt auseinander, wie Tunesien, oder Syrien, oder die Ukraine (die wie es aussieht in zwei Teile zerbrechen wird), oder machen einen nächsten Schritt notwendig, der fern jeder Liberalisierung liegt, aus der heraus alle diese Bobos und Zeitgeistsurfer überhaupt erst in die Lage gekommen sind, alles zu zerstören, was sie nicht verstanden, weil es nicht in Wikipedia stand. Ein Schritt zu einer gestrafften Diktatur, die um der Erhaltung des Staates willen von den Mehrheiten der Länder sogar begrüßt wird, weil das Chaos endlich enden solle, in das sie von einer Minderheit gestürzt wurden. Denn daß das so ist, das behauptet der Verfasser dieser Zeilen, und er verweist darauf, daß Revolutionen nie etwas anderes waren: das Minderheitenprogramm einer selbsternannten Elite, die vorgab alles besser zu wissen und zu können, ohne zu wissen, was und wie.

Solcherart, planlos, aber Hauptsache "demokratisch", steht auch in Ägypten eine kuriose Wende vor der Tür, niemand zweifelt, daß sie eintreten wird. Der pöhse Diktator Mubarak, der das Land - gewiß, mit Gewalt und nicht immer sehr demokratisch, keine Frage, auch nicht immer lustig und sanft - mit starker Hand immerhin in einer gewissen Liberalität und dabei Stabilität gehalten hatte, ist verjagt. Neuer starker Mann, nach Jahren des Chaos, in der das Land nun wie es aussieht tief gespalten ist, weil im Ringen um neue Ordnung zwangsläufig die gesellschaftlichen Gruppen einer Kraftprobe unterworfen wurden, die nicht primär auf ihre wirkliche substantielle Stärke zurückgeht, sondern auf die Fähigkeit, Substanz durch Ideologisieren und Politisieren auf eine neue Zweckebene herunterzubrechen, neuer starker Mann also - ist einer der "alten" Militärs. 

Auch wenn er jung ist, auch wenn er seine militärischen Funktionen offiziell nun zurückgelegt hat, wie die FAZ berichtet, ist der nunmehr gewesene Armeechef Feldmarschall a.D. Abd al Fattah al Sisi der Einzige, der in der jetzigen Sitution noch in der Lage scheint, das Land zusammenzuhalten. Das Großwerden unterschiedlichster Terror- und Dschihadgruppen zurückzudrängen wird nur ihm zugetraut, nur er hat jene Verbindungen und Netzwerke der Macht, die das Land noch beherrschen können. Und er hat damit das, was eine Staatsführung braucht, einerseits, und was ein Volk von einer Staatführung braucht, anderseits. 

Und der arabische Frühling, der sogar in unseren Ländern ansässige, ägyptenstämmige Internet- und social-media-freaks begeistert dazu antrieb, extra nach Kairo zu fliegen, um am Tahrir-Platz vom Aufbrechen eines neuen Paradieses zu berichten? Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Das ist ja nur ein Zwischenschritt, etwas zurück, gewiß, jetzt geht es ja gegen echte Feinde. Aber dann, aber dann ... 

Die Twitter-Berichte vom Tahrir-Platz freilich, die könnten in Zukunft etwas spärlicher fließen. Weil allmählich die Regierungen lernen. Daß es notwendig ist, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, dem Zeitgeist mit seinen schwammigen, irrationalen Mythen, die sich im Zauberwort für alles und jedes - "Demokratie" - ballen, zu trotzen, um ein Land nicht ins Chaos fallen zu lassen. Denn vorerst kann diese "Transparenz" vor allem nur eines, und das beweist sie mittlerweile in Wochenabständen und in größeren Maßstäben: Auflösen. Zerstören. Ins Chaos stürzen. Denn wenn man die Dinge von ihren Beziehungen und geheimnisvollen Fäden befreit, die sie in einen Kokon eingesponnen haben, immer, ja Dingsein ist "Kokonsein", passiert etwas ganz 'Seltsames: Sie bleiben nicht gereinigter zurück, kein Schmetterling entsteigt ihnen, sondern sie ... sind gar nicht mehr da, sie haben sich aufgelöst, der Kokon ... war scheinbar leer!

Vielleicht ist Politik doch etwas ganz anderes als das frohe Treiben in einem Jugendclub, mit Rock'n Roll und Bier, den neuesten Youtube-Downloads, und viel Pommes mit Ketchup, und vor allem viel Spaß? Und vielleicht ist ein "Staat" doch etwas anderes, als von weiß Gott wie viel Bildung aus-ge-bildete Gehirne heute meinen.




*Wenn eine Gesellschaft dieses Stadium erreicht hat, sind es nur noch die nie ganz abzuwürgenden archaischen Quellen, aus denen sie sich erneuern kann - Kunst, Religion. Wie bei einem kranken Baum, den man zur Gesundung bis auf den nackten Stumpf zurückschneiden muß, woraufhin sich ein völlig neuer Kronenaufbau regt. Aber kann das anderswo herkommen - als von außen? Ist die Migration vielleicht Zeichen eines ganz anderen Geschehens? War es historisch je anders?




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