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Montag, 25. August 2014

Gott und Welt erkannt, wie man lebt (2)

Teil 2) Wer die Grundstruktur der Welt verkennt, trifft nur noch Fehlurteile




Es kann deshalb kaum zu einem Glauben an einen alles gebenden weil STIFTENDEN Gott kommen. (Gott ist der Stifter, er ist nicht der die Schwangerschaft austragende Gebärer.) Wo der Vater schwach ist, die Mutter stark - und das ist heute allgemein - erfährt der Mensch GAR keinen Gott mehr. Deshalb sind auch so gut wie alle neuzeitlichen Religionsformen, die als solche bezeichnet werden, in ihrem innersten Grund atheistisch. Gott ist zum bloßen Wort verkommen. Er spielt aber in der realen Weltbegegnung keine substantielle Rolle mehr, ist ein Faktor im Kalkül der Gedanken, meinetwegen, aber nicht mehr mehr. Religion wird zum bloßen Gerede, erhebt sich so gut wie nie über die allererste Grunderfahrung, daß man überhaupt einem Gott gegenübersteht, dem man aber substantiell nicht genügt, hinaus. Die deshalb eine Erfahrung der Verzweiflung ist.*

In genau diesem Sinn erhellen sich auch die liturgischen Reformen der Katholischen Kirche, die dieselbe Umkehrung der Richtung, diesen selben Selbstbezug, in den Mittelpunkt stellt, und damit unausweichlich zu einer Selbstvergottung führt. Denn so erfahren die Menschen heute die Welt - sie sind ihr Ursprung. Und so erfahren sie in der Liturgie - Gott. Und zwar sehr real, denn das ist ja ihr Geheimnis, als reale Präsenz Gottes im Sakrament, in der Liturgie. Der Geist kommt in der liturgischen Praxis aber nicht mehr von außen, er soll "von innen" kommen. Das wird ausgedrückt. Deshalb ist es auch völlig logisch, daß in solchen Zeiten das Gerede von "Mystik" anschwillt. Die Liturgie der Kirche, wie sie seither stattfindet, folgt derselben subjektivistischen Selbstzentrierung, die den Erfahrungen in der Familie entsprungen sind.²

Aber genau darum ist es für solche Zeiten und Generationen äußerst schwer, überhaupt zu einem lebendigen Gott zu gelangen, zu einer wirklichen Erfahrung der Welt als aus dem Geist Gottes, aus Geist überhaupt stammend, zu gelangen. Denn wenn es auch die Gedanken sagen mögen - diese Gedanken, die nur Hinweise sind, "wo es liegen könnte", in der Logik: "liegen muß" - eine Rückbildung, eine Sanierung der seelischen Strukturen ist ein äußerst langwieriger, subtiler und schwieriger Prozeß. Dem es als Erzieher zu begleiten - und das wäre nicht nur hilfreich, es wäre notwendig, im wahrsten Sinn - noch dazu heute an Personen mangelt. Dem es aber vor allem an gedanklicher Substanz mangelt, um die Gedankenwelt in einem erste Schritt so weit abzuklären, daß sie präziser Kompass werden. Sodaß sich von ihnen her allmählich auch die Gefühlswelt läutert, weil das Urteil zu unterscheiden lernt, woher welche Gefühle stammen. 

Denn die heutige Welt ist eine Welt der Verwirrung, der Widersprüchlichkeit, die noch dazu als "Pluralität" schöngeredet wird. Deshalb braucht es in solchen Zeiten sehr klare Gedankenführungen, klare Philosophie, klaren und eindeutigen öffentlichen Diskurs. Welches Bedürfnis sich ja Demagogen so gerne zunutze machen. Um so einmal die verbalisierten Ansprüche ordnen zu können, um so einmal zu einem klaren Endbild zu kommen (das wieder nicht mehr als Verweis sein kann, nie abzuschließen ist, dessen Strukturen der eigentliche Ort des Wahren sind), und von daher allmählich auch den Lebensvollzug nach und nach umzugestalten. Um dann auch das Fleisch ordnen zu können. Damit es, von dieser Ordnung her, zur Aufnahme des Geistes fähig wird.

Das Wort, daß  alles in der Familie ansetzt, auch und vor allem in der Kirche, in der Religion, ist also streng wahr. Deshalb aber ist es auch sinnlos, ja dumm, einfach über formale Frömmigkeiten reformieren zu wollen. Wer der Kirche hierzulande noch einmal aufhelfen will, wer dem Staat, wer der Kultur noch einmal aufhelfen will, muß bei der hierarchischen STRUKTUR der Familie anfangen. Ist diese abgesichert, ist diese real verankert, werden auch jene Voluntarismen verdunsten, die dem Vatersein - über Gewalt - so viel Verleumdung eingetragen hat. Denn wenn Mann und Frau ihr Selbstsein in ihrer Zugeordnetheit nicht mehr als gefährdet erleben, sondern als geschützt, als abgesichert, wird auch Angst und Mißtrauen verschwinden, die heute der Ehen, ja des Zueinander von Mann und Frau tägliches Brot sind. 

Und Entgleisungen - die zu allen Zeiten übrigens Mißfallen und Gegenreaktionen ausgelöst haben - bleiben was sie sind: Einzelfälle.** Aber nie kann eine Gesellschaft davon ausgehen, daß nicht gefehlt wird. Ja, sie muß prinzipiell damit rechnen. Aber sie muß es zulassen, gerade das ist Humanität, sie muß es immer neu auf die Nagelprobe "Freiheit" als menschliche Bestimmung ankommen lassen. Jedes System, das Fehler im Ansatz zu verhindern versucht, endet in einem brutalen, totalitären Gewaltsystem. Ohne dieses Risiko aber kann sich wahrhafte Grunderfahrung der Welt gar nicht bilden. Und eine Gesellschaft wird an grotesken Verzerrungen, an prinzipieller Unfähigkeit zum richtigen Urteil ersticken.***




*Das ist übrigens der immer wieder bemühte Ansatz etwa der charismatischen Erneuerungsbewegungen, und wenn, dann ist dort, in dieser höchst subjektiven, und nur subjektiven, sich selbst nie genügenden, also noch nicht spirituell seienden Anfänglichkeit, eine mögliche Sinndeutung zu finden. Wo sie dieses äußerst begrenzte Feld nicht begreift, wird sie unausweichlich zur häretischen und protestantischen Freikirche. Als "Weg" ist sie auf jeden Fall nicht nur ungenügend, sondern verführt dazu, diese Erfahrung der Verzweiflung als Scheinreligiosität, die nir zu einer Religiosität findet, zu institutionalisieren.

²Und darin ist der sichere Grund zu suchen, daß die Heiligen Feiern für die Menschen völlig uninteressant geworden sind. Sie sind eine pure Enttäuschung! Denn was man erfährt ist ... man selbst, als Ursprung der Gnade. Nur - daß das nicht so ist, ist ja reale Erfahrung aus dem Alltag! Der Mensch weiß doch, und das mit Sicherheit, daß er ein schwacher Pimpf ist. Wenn er aber auch hier nichts mehr zu erwarten hat, was soll dann noch "dieser" Gott, diese Liturgie?

**So sieht das alte germanische Recht eine Reihe von Maßnahmen vor, Jakob Grimms Sammlung alter Rechtstümer ist da höchst erhellend und interessant, wie die Umgebung auf Fälle reagieren muß und darf, wenn etwa ein Mann seine familiären Pflichten verletzt oder unbotmäßig Gewalt anwendet; genauso wie bei Frauen, die ihren Platz überschreiten oder pflichtvergessen sind. Man kannte dafür aber eine ganze Reihe von "kleinen" Maßnahmen, denen es auch nicht an gewissem Humor fehlte, die sofort getroffen wurden. Etwa, indem sich die Männer eines Dorfes nachts versammelten, um einen Mann zu verdreschen, oder die Frau dem örtlichen Spott ausgeliefert wurde; etwas, das Frauen ja besonders trifft - und dann wieder vergessen wurden. Denn es konnte ... jeden treffen, weil alle wußten, daß sie fehlbare Menschen waren. Gerade am Fehlen solcher "kleiner, direkter Maßnahmen" der Ordnungspflege innerhalb einer Siedlung, Familie, Dorfgemeinschaft, eines Stadtviertels etc., krankt aber unser damit überfordertes Rechtssystem extrem.

***Eine der in zahllosen historischen Quellen und Analysen anzutreffende Erscheinung in zerfallenden Kulturen ist die schlichte Tatsache, daß eine Gesellschaft ihre Fähigkeit zu sachgerechten Urteilen verloren hat. Und das kann nicht anders sein: Wenn die Grundannahmen über die Welt falsch sind, kann auch ein Eintelding nicht mehr richtig erkannt werden. Und über die Familien (in denen ja auch Politiker heranwuchsen) verliert ein solches System, ein solcher Staat sogar, seine Fähigkeit, richtig zu handeln. Verlängere der werte Leser nur diese Aussage auf die Gegenwart, auf die "Krisenbewältigungsstrategien" der EU oder gar der USA. Wieder sei Keyserling zitiert, der die USA sogar als "Matriarchat" bezeichnet. Wir haben es hier nicht mehr mit Einzelfehlern zu tun, sondern diese Fehlurteile sind prinzipiell angelegt. Deshalb kann nur Vertrauensverlust - jeder gegen jeden - die Folge sein.