Teil 2) Wer die Grundstruktur der Welt verkennt, trifft nur noch Fehlurteile
Es kann deshalb kaum zu einem Glauben an
einen alles gebenden weil STIFTENDEN Gott kommen. (Gott ist der
Stifter, er ist nicht der die Schwangerschaft austragende Gebärer.) Wo
der Vater schwach ist, die Mutter stark - und das ist heute allgemein -
erfährt der Mensch GAR keinen Gott mehr. Deshalb sind auch so gut wie
alle neuzeitlichen Religionsformen, die als solche bezeichnet werden, in
ihrem innersten Grund atheistisch. Gott ist zum bloßen Wort verkommen.
Er spielt aber in der realen Weltbegegnung keine substantielle Rolle
mehr, ist ein Faktor im Kalkül der Gedanken, meinetwegen, aber nicht
mehr mehr. Religion wird zum bloßen Gerede, erhebt sich so gut wie nie
über die allererste Grunderfahrung, daß man überhaupt einem Gott
gegenübersteht, dem man aber substantiell nicht genügt, hinaus. Die deshalb eine Erfahrung der Verzweiflung ist.*
In
genau diesem Sinn erhellen sich auch die liturgischen Reformen der
Katholischen Kirche, die dieselbe Umkehrung der Richtung, diesen selben
Selbstbezug, in den Mittelpunkt stellt, und damit unausweichlich zu
einer Selbstvergottung führt. Denn so erfahren die Menschen heute die
Welt - sie sind ihr Ursprung. Und so erfahren sie in der Liturgie - Gott. Und zwar sehr real, denn das ist ja ihr Geheimnis, als reale Präsenz Gottes im Sakrament, in der Liturgie. Der Geist kommt in der liturgischen Praxis aber nicht mehr von außen, er soll "von innen" kommen. Das wird ausgedrückt. Deshalb ist es auch völlig logisch, daß in solchen Zeiten
das Gerede von "Mystik" anschwillt. Die Liturgie der Kirche, wie sie seither stattfindet, folgt derselben subjektivistischen Selbstzentrierung, die den Erfahrungen in der Familie entsprungen sind.²
Aber genau darum ist es für solche
Zeiten und Generationen äußerst schwer, überhaupt zu einem lebendigen
Gott zu gelangen, zu einer wirklichen Erfahrung der Welt als aus dem
Geist Gottes, aus Geist überhaupt stammend, zu gelangen. Denn wenn es
auch die Gedanken sagen mögen - diese Gedanken, die nur Hinweise sind,
"wo es liegen könnte", in der Logik: "liegen muß" - eine Rückbildung,
eine Sanierung der seelischen Strukturen ist ein äußerst langwieriger,
subtiler und schwieriger Prozeß. Dem es als Erzieher zu begleiten - und
das wäre nicht nur hilfreich, es wäre notwendig, im wahrsten Sinn - noch
dazu heute an Personen mangelt. Dem es aber vor allem an gedanklicher
Substanz mangelt, um die Gedankenwelt in einem erste Schritt so weit
abzuklären, daß sie präziser Kompass werden. Sodaß sich von ihnen her
allmählich auch die Gefühlswelt läutert, weil das Urteil zu
unterscheiden lernt, woher welche Gefühle stammen.
Denn die heutige Welt ist eine Welt der
Verwirrung, der Widersprüchlichkeit, die noch dazu als "Pluralität"
schöngeredet wird. Deshalb braucht es in solchen Zeiten sehr klare
Gedankenführungen, klare Philosophie, klaren und eindeutigen
öffentlichen Diskurs. Welches Bedürfnis sich ja Demagogen so gerne
zunutze machen. Um so einmal die verbalisierten Ansprüche ordnen zu
können, um so einmal zu einem klaren Endbild zu kommen (das wieder nicht
mehr als Verweis sein kann, nie abzuschließen ist, dessen Strukturen
der eigentliche Ort des Wahren sind), und von daher allmählich auch den
Lebensvollzug nach und nach umzugestalten. Um dann auch das Fleisch
ordnen zu können. Damit es, von dieser Ordnung her, zur Aufnahme des
Geistes fähig wird.
Das
Wort, daß alles in der Familie ansetzt, auch und vor allem in der
Kirche, in der Religion, ist also streng wahr. Deshalb aber ist es auch
sinnlos, ja dumm, einfach über formale Frömmigkeiten reformieren zu
wollen. Wer der Kirche hierzulande noch einmal aufhelfen will, wer dem
Staat, wer der Kultur noch einmal aufhelfen will, muß bei der
hierarchischen STRUKTUR der Familie anfangen. Ist diese abgesichert, ist
diese real verankert, werden auch jene Voluntarismen verdunsten, die
dem Vatersein - über Gewalt - so viel Verleumdung eingetragen hat. Denn
wenn Mann und Frau ihr Selbstsein in ihrer Zugeordnetheit nicht mehr als
gefährdet erleben, sondern als geschützt, als abgesichert, wird auch
Angst und Mißtrauen verschwinden, die heute der Ehen, ja des Zueinander
von Mann und Frau tägliches Brot sind.
Und
Entgleisungen - die zu allen Zeiten übrigens Mißfallen und
Gegenreaktionen ausgelöst haben - bleiben was sie sind: Einzelfälle.**
Aber nie kann eine Gesellschaft davon ausgehen, daß nicht gefehlt wird.
Ja, sie muß prinzipiell damit rechnen. Aber sie muß es zulassen, gerade
das ist Humanität, sie muß es immer neu auf die Nagelprobe "Freiheit"
als menschliche Bestimmung ankommen lassen. Jedes System, das Fehler im
Ansatz zu verhindern versucht, endet in einem brutalen, totalitären
Gewaltsystem. Ohne dieses Risiko aber kann sich wahrhafte Grunderfahrung
der Welt gar nicht bilden. Und eine Gesellschaft wird an grotesken Verzerrungen, an prinzipieller Unfähigkeit zum richtigen Urteil ersticken.***
*Das
ist übrigens der immer wieder bemühte Ansatz etwa der
charismatischen Erneuerungsbewegungen, und wenn, dann ist dort, in
dieser höchst subjektiven, und nur subjektiven, sich selbst nie
genügenden, also noch nicht spirituell seienden Anfänglichkeit, eine
mögliche Sinndeutung zu finden. Wo sie dieses äußerst begrenzte Feld
nicht begreift, wird sie unausweichlich zur häretischen und
protestantischen Freikirche. Als "Weg" ist sie auf jeden Fall nicht nur
ungenügend, sondern verführt dazu, diese Erfahrung der Verzweiflung als
Scheinreligiosität, die nir zu einer Religiosität findet, zu
institutionalisieren.
²Und darin ist der sichere Grund zu suchen, daß die Heiligen Feiern für die Menschen völlig uninteressant geworden sind. Sie sind eine pure Enttäuschung! Denn was man erfährt ist ... man selbst, als Ursprung der Gnade. Nur - daß das nicht so ist, ist ja reale Erfahrung aus dem Alltag! Der Mensch weiß doch, und das mit Sicherheit, daß er ein schwacher Pimpf ist. Wenn er aber auch hier nichts mehr zu erwarten hat, was soll dann noch "dieser" Gott, diese Liturgie?
**So
sieht das alte germanische Recht eine Reihe von Maßnahmen vor, Jakob
Grimms Sammlung alter Rechtstümer ist da höchst erhellend und
interessant, wie die Umgebung auf Fälle reagieren muß und darf, wenn
etwa ein Mann seine familiären Pflichten verletzt oder unbotmäßig Gewalt
anwendet; genauso wie bei Frauen, die ihren Platz überschreiten oder
pflichtvergessen sind. Man kannte dafür aber eine ganze Reihe von
"kleinen" Maßnahmen, denen es auch nicht an gewissem Humor fehlte, die
sofort getroffen wurden. Etwa, indem sich die Männer eines Dorfes nachts
versammelten, um einen Mann zu verdreschen, oder die Frau dem örtlichen
Spott ausgeliefert wurde; etwas, das Frauen ja besonders trifft - und
dann wieder vergessen wurden. Denn es konnte ... jeden treffen, weil
alle wußten, daß sie fehlbare Menschen waren. Gerade am Fehlen solcher
"kleiner, direkter Maßnahmen" der Ordnungspflege innerhalb einer
Siedlung, Familie, Dorfgemeinschaft, eines Stadtviertels etc., krankt
aber unser damit überfordertes Rechtssystem extrem.