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Samstag, 16. August 2014

Totalerblindung (2)

Teil 2) Man kann sich seine Religion gar nicht aussuchen




Das hat natürlich weitreichende Implikationen. Wenn nämlich in einer Kultur die Selbstautonomie als Grundgefühl vorherrscht, als Ethos gewissermaßen, beginnt diese Kultur ohne jeden Zweifel an sich selbst auszutrocknen. Ihre Basis wird immer schmäler, ihre Erkenntnis immer dürftiger, bestenfalls in sich noch ausgefeilter und rational wortreicher (weil eigentlich: verzweifelter). Diese Stimmung aber entsteht nicht durch Gedankenarbeit, durch (s.o.) formalistisches Herumgedrechsele am Wortsalat, sondern sie entsteht durch die reale Lebensweise. Stimmen die Hierarchien nicht mehr, weil sie von ihrem herkommen abgeschnitten wurden (das heißt nichts simpler als: Anti-Traditionslismus), so sind damit die Erkenntnisgrundlagen einer Gesellschaft ruiniert. (Hierarchien haben und implementieren selbstverständlich auch die Anti-Hierarchischen, revolutionären Strömungen, es ist ja lediglich der Wahnsinn ihrer Methode, das zu verschleiern: Aus dem Bild der Hierarchie, das also eine aufgeklärte Gesellschaft wie die unsere darstellt, läßt sich das Erkenntnisprinzip ablesen - simpel: der Gott, in dem alles gründet.)

Hier greifen fatale Mechanismen, die nicht auf den Einzelnen beschränkt bleiben können. Wenn sich im Handeln der Menschen zeigt, daß sie aus sich heraus nicht höherkommen, und das heißt: real, konkret, durch ihre reale sittliche Verfaßtheit, die für jede Moral ja erst die Basis bildet, dann beginnt sie ohne jeden Zweifel das Höhere zu hassen. Die Wahrheit, die real ist, wird zum Feind - zum Feind wird die wirkliche Wirklichkeit der Dinge. Selbsteinschätzung wird damit unmöglich, und damit Einschätzung des Begegnenden. 

Denn dem Begegnenden wird nicht getraut, es enthält keine Botschaft mehr, oder man wählt es ersatzweise (weil dem menschlichen Wesen ja notwendig, als Grundstruktur gewissermaßen), mit allen Folgen, bis zur Hörigkeit, bis zum Fanatismus, der ja ein Fetischismus ist. Eine Kultur, ein Volk wird damit als Ganzes blind. Über die Lebensweise, die sie über jeden verhängt, und der sich gar niemand wirklich entziehen kann.

Zugleich müßte nun klar sein, daß auch dasjenige, AN DEM jemand teilhaben will, nicht aus seinem eigenen Urteil erwachsen KANN. Er ist gar nicht fähig, es zu beurteilen, weil zu erkennen. Von Religion kann man deshalb überhaupt nur dann sprechen, wenn es sich um eine Überlieferung handelt. Sie braucht konkrete Personen, die die Offenbarung Gottes weitergeben. Man KANN also gar nicht "seine Religion" wählen.

(Jedes Konvertitentum zeigt ja dieselben Krankheiten der Pseudologie, oder ist überhaupt eine solche, wenn es im "Konfessionellen", also bei der "Überzeugung" bleibt. Sodaß die heutige Religionslosigkeit zwangsläufig Religion gar nicht mehr anders fassen kann denn als "Überzeugung", die sie aber gar nie ist.)

Hinter solchen Aussagen, die heute also nicht zufällig so verbreitet sind - Auswuchs bereits der Verzerrtheit, ja der Wahnverfallenheit des heutigen Menschen - verbirgt sich etwas ganz anders. Man kann nur folgerungsweise auf die Plausibilität gewisser Aussagen vertrauen, und sich daraufhin entschließen, AN DIESER (oder jener) Offenbarung teilhaben zu wollen. 

Und genauso wenig kann man DIREKT, ohne menschliche Vermittlung also, an Gott teilhaben, quasi als autonomistische Direktreligion, als Privatmystik, um die man sich nur zu mühen bräuchte, die quasi außergeistig in bloßen physischen Methodiken oder Vorgehen äußern könnte. Ja, selbst wenn dem so wäre, so wäre es wertlos, weil der Mensch in der Verfaßtheit als geistseelisch-physisches Wesen, er selbst nur über die Vernunft ist. 

Dieser quasi "höchstpersönliche spezielle Draht" zu Gott würde nämlich voraussetzen, daß man selbst bereits Gott (zumindest aber heilig) ist, und das hat einen bereits aufgelösten Gottesbegriff (und eine absurde, jedes Kabarett unendlich übertreffende Selbsttäuschung und Blindheit den eignen Zustand betreffend) zur Voraussetzung, und damit Nihilismus. Nicht mehr und nicht weniger ist aber der Wahn, in dem heute so viele Menschen befangen sind. Den sie nicht zufällig so wortreich und nicht selten durch viel Religionsgequatsche, immer aber gestützt durch formalistischen Mißbrauch formal (teil-)wahrer Aussagen zu verschleiern suchen. Denn die Wahrheit ist eben kein formales Rechenexempel "logischer Aussagen". Sie ist lebendig (und erst darin überhaupt möglich vernünftig) und lebt in personalem Dialog, oder sie ist einfach Dummheit, die folgenotwendig zur Bosheit wird bzw. sich daraus nährt.




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