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Sonntag, 31. August 2014

Warum laute Musik keine Kunst ist

Das aber, was wir im Erkennen tun, ist ein schöpferischer Akt - denn über die sinnlichen Data nehmen wir nicht die Dinge in ihrer Wirklichkeit auf, sondern das, was die hinter ihnen stehende, sie bewirkende Wirkliche ist. Und das ist ein Akt des Wahrnehmenden, des Erkennenden.

Bei ihm wiederum ist es ein Akt der Einbettung in die Wahrheit selbst, nicht einfach ein formales Urteil, in dem er sich dazu entscheidet, ein Wahrgenommenes als dies oder das zu identifizieren. Warum das nur in der Wahrheit möglich ist? Weil Wahrheit IMMER das einzige Medium ist, in dem sich menschliches Erkennen vollzieht. Jede Aussage bindet sich ja wieder an ihren Verbund mit der Wahrheit, gerade sogar dann, wenn sie diese am meisten zu verweigern vorgibt. Wo sie erst recht die subjektive Gewißheit ins Abstraktum transzendiert. Deshalb kann man mit Recht sagen, daß sich alles IN der Wahrheit befindet, und sich durch die Wahrheit konstutiert.*

Also geht Kunst auch dort, wo sie Kunst ist (und nicht einfach das Medium einer Kunst: nicht jedes Lied, jedes Bild, jedes Gedicht, Gebäude etc. ist schon Kunst!), auf das Dahinterstehende, auf das Wirkliche. Auf das, was die Welt und Wirklichkeit also - in Wahrheit - konstituiert.  Sodaß sie dort, wo und soweit sie Gestalt wird, also gut ist, die Schönheit aufleuchten läßt. (Die etwa mit "Gefälligkeit" zu verwechseln tragischer Kurzschluß eines bereits erstickten Erkennens ist, das genau deshalb nicht mehr Leben ist. Denn aus dem Gesagten geht auch hervor, daß Leben ein Akt des Erkennens IST.)

Das Wesentliche in der Kunstbegegnung - als schöpferischem Akt des Erkennens - ist also ein Akt der Nachschöpfung. Der Rezipient erfaßt das dargestellte Wirkliche, und aus diesem konstruiert, schafft er das Gegenständliche, Weltgegenständliche.

Wo künstlerisches Medium (besonders häufig ist es in der Musik zu beobachten) diesen (nach)schöpferischen Akt im Rezipienten unterbindet, ihm eine Wirkung (der Wirklichkeit) aufdrängt, hört ein Werk ganz oder teilweise auf, Kunst zu sein. Es ist deshalb nicht ohne Bedeutung, ob ein Lied bei 150 dB durch Verstärkeranlagen sich einzuhämmern versucht, sodaß schon die Schallbewegungen dem Rezipienten gar keine andere Wahl lasse, als sich auszuliefern - denn in der Gegenwehr, im gewollten Nachschaffen in sich, ist er nahezu chancenlos. Oder ob es so dargeboten wird, daß es eben im Zuhörer einen Nachschöpfungsprozeß auslösen kann. So er in der Mußestimmung dazu ist, sich dem Spiel seiner Phantasie hinzugeben.

Es ist auch nicht bedeutungslos, ob wie in der Renaissance die Perspektive die Malerei zu dominieren beginnt. Denn auch sie nimmt dem Betrachter bereits Freiraum. Nicht mehr er ist es, der die Dinge in ihrer Wirklichkeit - und das heißt: in ihren Bezügen - zu einem Bild formt, sondern der Maler selbst gibt ihm diese Bezüge bereits räumlich vor. Was sich schließlich zur bloßen Virtuosität der Illusionsmalerei versteigt, die jede Interpretation vorwegnimmt.

Weil aber die Arbeit des Künstlers eben darin besteht, die wirkende Wirklichkeit darzustellen, zu der er selbst sich durch alle historischen zufälligkeiten und Alltäglichkeiten und Bedingtheiten hindurch befreit hat,  denn nur so kann er das Wirkliche/Wirkende als es selbst darstellen, es damit nämlich das Wirkende SEIN LASSEN, real gegenwärtig, also bietet er dem Betrachter die pure, reine Welt des Wirklichen dar. Insofern wirkt die Kunst reformierend, immer wieder reformierend, und bewirkt ein neues Lebendigwerden des Wirklichen im Alltäglichen weil in der (Erinnerungs-)Gegenwart in der Persönlichkeit des Betrachters.

So wirkt Kunst tatsächlich kathartisch, aus den Zufälligkeiten des Lebens herausschälend, zu den eigenen Ursprüngen reformierend, und wird so zur Quelle einer Kultur. So wird ihr eigener Ursprung, der Kult, in exakt derselben (wenn auch im Christentum sakramentalen, also das Transzendte real gegenwärtig sein lassende) Wirkweise die Menschlichkeit erst aufbauend, die es ohne Kult, ohne Religion nicht gibt. Die Liturgie, der Kult, ist also das höchste Kunstwerk, und es ist Ausgangspunkt jeder Kunst und jeder Kultur. Ohne Religiosität - wenn auch in gewisser Beschränktheit: ohne bewußte Religion - ist Kunst überhaupt nicht möglich.




*Also wird auch von dieser Seite her verständlich, daß das Denken ohne Wahrheit zum einen nicht "denkbar" (sondern eine unfreie oder willkürliche Art von Gedankenbildung) ist, zum anderen einen sittlichen Akt darstellt. Denn das Zurückführen auf die letzte Wirklichkeit - in der Wahrheit - ist eine sittliche Anstrengung. Das Denken bzw. der dahinter stehende Akt der Auflösung aller Widersprüche, der Zurückführung des Vielen ins Eine, alles Umfassende, kommt erst dann zur Ruhe,  wenn es dieses Eine, alles Umfassende gefunden hat. Durch alle Weltzufälligkeiten hindurch. So ist Augustinus' Wort auch in aller Verquickung mit der Sittlichkeit und der Tugend verstehbar: "Unruhig ist mein Herz, bis es ruhet in Dir."




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