Einer der verständnisförderndsten Grundgedanken Voegelins in seiner Untersuchung über die babylonischen und ägyptischen Frühkulturen ist der, daß die Menschen was immer in ihrem Leben passiert ist, was immer sie vorfanden, in einer einheitlichen Gesamtordnung erlebten. Also nicht Gebiete trennten. Das betraf auch die Politik. Die menschliche Lebensordnung war also wie alle Ordnung, in der die Welt erlebt wurde, und die mit den Zeiten immer mehr erkannt wurde, ein Abbild der kosmischen Gesamtordnung. Dies läßt sich auf jeden Fall auch von sämtlichen übrigen Frühkulturen der Welt annehmen, wie China.
In den Festen und Feiern, in den religiösen Liturgien wurde diese Gesamtordnung wie ein Quell dargeboten, von dem alle, die teilnahmen - und teilzunehmen war also Pflicht wie Bedürfnis jedes Bewohners - schöpften. So wurde die Gesamtordnung in jede Teilverrichtung des Lebens hineingetragen. Denn in den heiligen Feiern, deren allerzentralsten Teil der Herrscher als Vertreter Gottes zu vollbringen hatte, Priester und König in einem, wurde die Gesamtordnung repräsentiert und verehrt, in der alles nach Gottes Willen vorging und - vorgehen sollte. So war jede menschliche Tat gerechtfertigt.
Dies ist aber genau der Sinn jeder Feier, und jeder Liturgie: In der Teilnahme nimmt der Nicht-Zelebrant, der Mitfeiernde, den kosmischen Sinn in sein Leben hinein. In Rhythmus, Struktur, Ordnung der Heiligen Feiern, in deren spielerischem Ernst wird so sein Leben selbst gestiftet. Nicht er ist es, der stiftet - sondern das Leben wird ihm gestiftet. Er nimmt es ehrfürchtig an, und trägt es in seinen Alltag.
Wie verrückt mutet da das Bestreben an, wie es heute so vielfältig zu beobachten ist (man denke an die Art, wie katholische Gottesdienste oft schon gefeiert und vor allem: verstanden werden), in denen sich der Einzelne als Stifter von Ordnung und Heil sieht. Meint, Form und Inhalte seiner zentralen Lebensfeiern selbst bestimmen zu können. Dies korreliert natürlich mit dem Phänomen der Selbstvergottung, das als vielleicht tragischeste Frucht einer verirrten Gegenwart zu erfahren ist. Wo der Einzelne sich selbst, in seiner Eigenmächtigkeit, als Weltenschöpfer sieht, der sogar das Wesen der Heiligen Feiern zu bestimmen habe, aus dem dann die Welt durchformt und wirklich wird. Als freche Herausforderung an den Kosmos.
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