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Freitag, 27. Januar 2017

Blick in einen Kindergarten (2)

 Teil 2) Das Alte ist weg. Aber wo wäre Neues?





Das alte Amerika, das Tuvia Tenenbom im Kopf hatte, seinen Gründungstraum, gibt es aber nicht mehr. Wo er - etwa in Museen, die er in Massen vorfindet - noch Anklänge daran findet, erinnert es ihn einzig und allein an ... Europa. Indianer? Defacto nicht mehr vorhanden, sieht man von den Reservaten ab, die dies dem Namen nach sind - aber selber nicht einmal mehr ihre eigene Sprache kennen oder gar weitergeben. Cowboys? Gibt es nicht mehr. Die Viehhaltung wird von industriell arbeitenden Megabetrieben beherrscht, wo Maschinen und Autos alles erledigen. Wo es noch alte Farmen gibt, kämpfen die letzten Bewohner mit allen möglichen Gelegenheitsjobs ums nackte Überleben.

Ganze Stadt- und Landesteile verfallen, und Tenenbom beschreibt die Zustände als schlimmer als in jedem Dritte-Welt-Land. Noch vor 50 Jahren blühende Städte (wie etwa Chicago) sind heute über weite Strecken Stadtruinen, wo es kein Wirtschafts- oder gar Kulturleben mehr gibt. Dafür gibt es jede Menge Kriminalität.  Und während Tenenbom feststellt, daß so gut wie jeder Amerikaner die Frage nach Israel "unbedingt bejahend" beantwortet, stellt er so gut wie überall einen heimlichen, verborgen gehaltenen Haß auf die Juden fest, der ihn schockiert. Und er stellt einen ebenso großen abgrundtiefen Haß zwischen den Lagern der Republikaner und der Demokraten fest, wo Argumente oder Sachfragen sinnlos sind. In Amerika ist alles eine Religion.

Apropos Kultur: Tenenbom besuchte auch in den prosperierenden Teilen des Landes Theater. Und war mehr als enttäuscht. Offenbar gibt es auch keine Schriftsteller mehr, die noch relevante Stücke schreiben. Alles erstickt in purem Entertainment, und nur das wird produziert. Auch wiederum oft aus Angst, die Sponsoren könnten sich an gezeigten politischeren, kritischeren Inhalten stoßen. 

Die vielgerühmte amerikanische Liberalität und Toleranz ist pure Fassade. Sobald man an diesem Lack kratzt, tauchen jede Menge schwerer Ressentiments und Aggressionen auf. Eingebettet in einen allgemeinen Bildungs- und Wissensstand, der absurd niedrig ist - zwar weiß niemand etwas, aber alle haben eine Meinung. Und zwar vor allem zu bestimmten Weltthemen, und es ist amüsant zu lesen, wie einer nach dem anderen meint, eine wunders individuelle Ansicht zu haben, während Tenenbom nur eine Liste abhakt, weil sie alle dasselbe sagen und denken. Das Bekenntnis zur "Diversifität", das überall zu hören ist, ist reines Lippenbekenntnis. Gerade auch von "Liberalen", die gar nichts mit jenen Schwarzen zu tun haben wollen, für deren "Rechte" sie so eintreten. Die tun, als ginge es nur um Wahlen. "Die Liebe zum anderen ist aber mehr als eine Idee," schreibt Tenenbom an einer Stelle. "Sie ist das Leben."

Und jeder hat eine Meinung zum Klimawandel, die Rechten sind "dagegen", die Linken "dafür". Aber nur oberflächlichstes Nachfragen zeigt, daß niemand auch nur den Funken von Information besitzt, und wenn Klimawandelpropheten auftreten und vor den durch Gletscherabschmelzung erzeugte Überschwemmungen in Alaska warnen, die vor allem die Dörfer der Ureinwohner wegspülen werden (Sela und Geigen im Hintergrund ...), fragt sich niemand, wieviele es von denen überhaupt gibt - nämlich so gut wie gar keine (mehr). Wo also wäre dann die Gefahr des Weltuntergangs?

Oder so ereifern sich die Schwulen in San Franciscos einschlägigsten Vierteln zwar über Palästina, denn '"für die Palästinenser" zu sein gehört zum guten Ton der liberalen Linken, aber ihnen fällt nicht auf, daß die Tankstelle auf der gegenüberleigenden Seite einen Benzinpreis verlangt, der das doppelte kostet wie in Mississippi, in einemLand, Kalifornien, wo jede normale Annäherung zwischen Mann und Frau rechtlich fünffach abgesichert sein muß weil sie ohne explizites "Ja" strafbar sein könnte, in einer Stadt, in der sich niemand die Mieten leisten kann und Obdachlosigkeit ein Massenphänomen ist (aber das ist sie in der gesamten USA) - ihr einziges Kriterium ist, daß sie ihren Lebensstil durchziehen können.

Wenn Tenenbom auch eher Sympathien für die Liberalen (Demokraten) zeigt, so erstaunt doch eine bemerkenswerte Beobachtung: Er konstatiert, daß ihm diese Leute Angst machen. Denn sie stehen nicht einfach für Rechtschaffenheit, sie SIND rechtschaffen, das heißt: sie sehen sich so. Und das gibt ihnen in ihren Augen jedes Recht, auch mit Gewalt über andere zu bestimmen. Die größten Untaten der Weltgeschichte - sind sie nicht alle von "Rechtschaffenen" begangen worden? Von jenen, die sich heute so gerne mit "Ausweisen der Vielfältigkeit" behübschen, in schwarze Theater gehen, Antidiskriminierungsgesetze lauthals unterstützen, und abends in Bars mit schwarzen Sängern gehen, um am nächsten Tag ihren Kumpanen von ihrer Liberalität zu erzählen.

Vielleicht ist gar das die große Unterscheidung der Menschheit? Die einen halten sich für rechtschaffen, und die anderen für Sünder. Bei den einen ist Sünde eine Idee, die man sich durchaus schmückend als Hutfeder anstecken (aber auch wieder abnehmen) kann, die man also in der Hand hat, und sei es durch evozierte Selbstgefühle, bei den anderen ist sie eine Befindlichkeit, die man schamhaft lieber verbirgt, weil man um sie weiß, und die man nicht so einfach ablegen kann, die einem genommen werden muß.

 
Morgen Teil 3) Ein Kindergarten mit Sendungsbewußtsein





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