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Samstag, 14. Januar 2017

Das Buch als Lied der Welt

Zu lesen ist immer ein Hören. Und es ist das Hören einer Melodie, eines Liedes, und damit der Art der Musik, die der Autor von sich gab. Denn jeder Mensch und Autor ist eine eigene Melodie, ist ein eigener Stil von Musik, die nur er auf diese Weise hervorbringen kann. Deshalb ist die Form des Buches ein so hoher kultureller Wert, weil sich dieser Musiker in einer Art probiert, in der er die ganze Welt darzustellen versucht. Was die Literatur natürlich zuallererst und am reinsten betrifft, gilt nur wenig geringer für sogenannte "Sachbücher", Sachliteratur, sie hat nur einen anderen Gegenstand als Objektbezogenheit. 

Deshalb läßt sich auch im Lesen zeigen und erfahren, daß es Menschen, Personen sind, die uns prägen und reifen lassen. Deshalb liest der VdZ immer "Autoren", deren Bücher mehr oder weniger umfassende Lieder sind. Denn es geht um die Art und Weise, an die Welt heranzugehen, die schließlich auch bestimmte Aspekte der Welt vor Augen bringt. Und es ist diese je individuelle Art und Weise, die erst diese Aspekte aufblitzen läßt, und zu der man sich dann verhält. Es ist das Hören einer Melodie, einer Art zu singen, um die es geht.

Es mag im Einzelfall legitim sein, ein Buch zu lesen, weil man "wissen will wie etwas ist", als Einstieg, wie etwas sein könnte, als erster Schritt sozusagen. Dieser Aspekt spielt immer eine gewisse Rolle. Aber es kann natürlich niemals genügen, und er ist ohne personales Gegenüber im Autor überhaupt fruchtlos. 

Vielmehr braucht man die Bereitschaft, sich über die Zeit, die als Faktor des Lesens eine kaum zu überschätzende Rolle spielt, die eine bestimmte Lektüre braucht (und für die Lektüre selbst von hoher Bedeutung ist), vom Gesang eines Sängers - und die Literatur hat sich immer und überall aus dem Barden, dem Sänger entwickelt (der in den Eltern, dem Vorlesen, dem Erzählen seine erste, ja weltbegründende Manifestation findet) - verführen zu lassen. 

Mit dem man sich über die Dauer der Lektüre ein Stelldichein gibt. Herausgetreten aus der Welt - in der Muße zurückgezogen (wie es im Feierabend, im Feiertag, in der Feierstunde als Allgemeingut einer Gesellschaft deshalb konstitutiv für eine Kultur ist). Um zu erleben, was weil vor allem wie (kein was ohne wie, ja das wie ist oft das meiste was) diese Person, dieser Autor zu singen hatte, zu sehen, was diese Art zu singen mit einem macht, und dann zu verobjektivieren, es wieder "ins Regal zurückzustellen", bereichert um eine neue Melodie, die man nun in sich trägt, "kennt" - und kein Kennen ohne Liebe, keine Liebe ohne Kennen. Das ist erst jene Kenntnis, aus der sich Welt (als Kultur) aufbauen läßt, denn Welt ist geistige Gestaltdynamik, Spannung, Rhythmus, Melodie, Symphonie, Hymnus und Lied. 

Nur in dieser Interpersonalität kann man überhaupt auch von Information sprechen, denn Information braucht nicht nur einen Datengeber, sondern braucht den Empfänger, der es als Information erkennt, und das ist nur dadurch möglich, daß man die Melodie des Sängers "auch" in sich trägt oder getragen hat, also aus der Erinnerung - und das ist der Großteil dessen, was wir in uns tragen: Erinnerung - heraus rekonstruieren kann, "versteht", und dazu eine Haltung (als Signum einer Verortung) einnimmt.

Und so ist die Art, auf die sich heutige Verschriftlichung immer mehr reduziert hat, nicht die "Steigerung von Informationsprozessen", sondern das genaue Gegenteil - der unermeßliche Verlust von Information (will man es mit diesem Terminus bemessen) weil Reduktion der Erinnerung, die nur noch von bereits bestehenden Bezügen leben kann, also nicht "weiter" wird (damit: das genaue Gegenteil dessen, was man vom Internet sagt, das nämlich nicht oder so gut wie nicht erweitert, sondern reduziert, selbst bei dem, der bereits hohe, breite Bildung hat, wenn er nicht acht gibt)*. 

Die meist aus der Unfähigkeit stammt, gehorsam zu sein. Die immer aus der Angst stammt, sich dem Lied zu überantworten, und zwar für eine gewisse (geschützte) Zeit, sodaß Erkenntnis, Bildung durchaus mit dem Essensvorgang verglichen werden kann, ja muß.**

Dann aber, dann wird jedes Buch - wenn es denn auch Buch ist, also: gut ist - zu einer Bereicherung. Wird jeder Gang durch eine Bibliothek das Gespräch mit jenen oft lange schon verstorbenen, aber in ihren Melodien immer noch präsente Personen. Wird der schweifende Blick über die Bücherrücken zu einem Eintauchen in einen Chor der Stimmen, mit denen man in Dialog getreten ist. sieht man nicht mehr Titel und Aufdrucke, sondern hier bescheidene, stille, zarte Anerbitten, dort laute und mahnende Anrufe von Personen, die sich zu einem Chor der Welt vereinen.




*Der Schaden, den der Enzyklopädismus der Aufklärung - wie er heute praktisch vom Internet repräsentiert wird - hervorgerufen ist liegt weniger im Irrtum, Welt in Ration ganz fassen zu können, sondern darin, daß er verwischt hat, daß jede Kenntnisbringung wie Kenntnisnahme zuallererst ein interpersonaler Vorgang, das Zuneigen von Gestalten (Personen) ist. Die wie in der Bibel (und nur dort) das Universale, Absolute, die Wahrheit selbst ist. Der Hegelsche auf die Rationalität reduzierte, aber (als weltimmanenter Gott; Hegel konnte das eigentliche Schöpferische nicht mehr erklären, es kommt heute auch nur noch als Zufall oder irrationale Willkür vor) damit kastrierte "Weltgeist" ist die logische Folge.

**Sodaß der immer weiter sich ausbreitende Vegetarismus (oder gar Veganismus) als klares Symptom der Entgeistigung gesehen werden muß. Denn gerade im Fleisch, und hier in Stufen bis zum Rindfleisch, einer der höchsten Fleischformen (was sich in der Haltbarkeit ausdrückt, und in der Nahrhaftigkeit wiederfindet), findet sich in Analogie auch gesteigerter Weltgehalt. Hängt die "Verträglichkeit" (bis hin zu Allergien) sogar aufweisbar mit Persönlichkeit zusammen.






*081216*