Einer der Brennpunkte des derzeitigen Weltgeschehens ist bei uns kaum bekannt und gekannt. Dabei geht es um ein Sechstel der Weltbevölkerung, das derzeit in einem Redkordtempo radikalsten Veränderungen ausgesetzt wird, deren Ausgang man mit gewissem Zittern erwarten muß. Die Rede ist von Indien. Die Berichte, die der VdZ vorliegen hat, mehren sich, die von schwerwiegendsten kulturellen, gesellschaftlichen Spannungen berichten, und die auch in unseren Medien auftauchenden Meldungen über eine neu aufflammende Christenverfolgung oder das Wort von der sogenannten "Rape Crisis", die Vergewaltigung als immer weiter verbreitetes Phänomen bezeichnet, sind dazu beredtes Symptom. Alle diese Dinge hängen eng zusammen.
Denn in Indien vollzieht sich derzeit ein Umbau in eine westlich-kapitalistische Gesellschaft, der aber dort auf Voraussetzungen trifft, die diesem Ziel radikal entgegenstehen. Anders als Europa oder Amerika, ist Indien ein uraltes Kulturland, das vom hinduistischen Glauben geprägt ist. Unter dem man sich keineswegs ein geschlossenes Religionssystem vorstellen kann, wie dessen Titulierung als "Weltreligion" vorgaukelt. Hinduismus heißt nichts anderes als "Menschen, die in Indien leben". Und dort gibt es Tausende, ja Millionen Religionssysteme, ja man könnte fast sagen: so viele Systeme, wie es Inder, oder Dörfer, oder Ansiedlungen, oder Familien gibt. Der Begriff Hinduismus ist nur der Versuch, gewisse Gemeinsamkeiten dieser zahllosen Religionen zu bezeichnen.
Einer dieser Wesenszüge ist, daß diese Systeme NICHT - wie das Christentum - auf logos beruhen. Das heißt nicht den Anspruch auf logische Geschlossenheit haben, wo wie im Westen mit Sicherheit gesagt werden kann, daß was unlogisch ist auch nicht wahr sein kann. (Eine Wahrheit, die leider auch den meisten Christen unbekannt, ja selber fremd sein dürfte.) Vielmehr beruht der indische Religionspool auf mythischen Erzählungen. Da steht der Elefant, der die Welt trägt, auf einer Schildkröte, und diese wieder auf einer Schildkröte, und diese wieder ... Nur wenn man die originalen Texte der Vedas kennt, sieht man deren Ausrichtung auf jenen logos (ohne ihn freilich ganz zu zeigen, denn dazu fehlt den Veden die Offenbarung Gottes selbst, man kann das ganz deutlich darin erkennen), der sich im Christentum als widerspruchsfreier, nahtloser Ineinandergang von göttlicher Wahrheit und Weltlogik präsentiert.
Die fundamentale Grundschwäche Indiens
Die fundamentale Grundschwäche Indiens
Ja, der Katholizismus lehnt "Fideismus" - also eine "Wahrheit", die einfach zu glauben ist, auch wenn sie nicht logisch begründbar wäre oder sich zumindest widerspruchsfrei zur Logik verhält, damit aber diese noch weiter erhellt, niemals aber verdunkelt (etwa im Glaubenssatz der Dreifaltigkeit, die man erst glauben muß, um dann ihre Logik als Analogie-Schema aller Dinge mitten in der Welt zu sehen, also diese sogar noch zu erweitern) - strikt ab.
Und eines dieser logischen Prinzipien, die auch die Wissenschaft wesentlich begründen, ist der Satz von Ursache und Wirkung: Keine Wirkung ohne Ursache. Beide stehen in unlösbarem - logischem - Zusammenhang. Das begründet ja überhaupt erst Logik. Das aber kennt der Hinduismus nicht. Oder vielleicht muß man sogar sagen: Schon sehr lange nicht mehr. Deshalb bezeichnen manche die indische Gesellschaft und Kultur als buchstäblich die älteste Kultur der Gegenwart, weil sie sich seit 3.000 Jahren nicht mehr entwickelt hat. Viele Inder leben heute noch so, wie sie vor 3.000 Jahren gelebt haben, und zwar in jeder Hinsicht. Ohne Logik gibt es keine Entwicklung. Wie immer man dazu stehen mag. Indien ist (wie immer man das verstehen mag) außerordentlich "rückständig". Und das macht das Land ja so zum begehrten Objekt westlicher Kapitalinteressen.
Das führt zum zweiten Standbein der indischen Gesellschaft(en), dem der Tradition. Denn wenn es keine Logik gibt, also keine Vernunft, die jedem Menschen letztlich die Selbstmächtigkeit weil Freiheit gibt, bleibt nur (oder: immer) noch die überlieferte Lebensart und Wertelandschaft, die eine Kultur aufrechthalten kann. Nichts sonst würde den Menschen Identität geben und damit sagen, wie sie sich verhalten sollen, wie sie leben, wie sie sich entwickeln sollen, und wohin.
Damit wird bereits ruchbar, worin dieser neue Konflikt besteht, der sich derzeit zwischen Ganges und Brahmaputra abspielt. Denn mit dem westlichen Lebensentwurf, den der Kapitalismus untrennbar mit sich trägt, prallt eine völlig andere Lebensweise auf die Fundamente der indischen Gesellschaft. Das betrifft jeden Einzelnen, der nun keine Urteilshilfe mehr hat - außer subjektivem, fast zufälligem Gefühl oder Wollen, das sich nun an ganz neuen Werten orientiert: An der Güterfülle, am Konsum, am Wohlgefühl.
Morgen Teil 2) Ein neuer Mensch soll geschaffen werden
*081216*