Teil 2) Es gibt immer einen David
Zurück ... da war doch noch was? Ah ja ... zurück zu "Die Achthundert - The Eight Hundred." Das Gerüst des Zuckerladens, der sich da am Bildschirm auftut, ist ein Ereignis aus dem Jahre 1937. Japan hatte 1937 von der zuvor bereits annektierten (an sich schon geschichtlich von Chinas Geschichte nicht zu trennenden) Mandschurei aus das politisch zersplitterte China angegriffen. Und es hatte mit den vielerlei Volkschaften und Interessen, die auf dem Gebiet des heutigen China miteinander rangen, scheinbar leichtes Spiel.
Trotz eines sozusagen an bloßen Menschen ums Dreifache überlegenen Potentials, sieht man Gesamtchina, wurden die schlecht ausgerüsteten chinesischen Armeen in serienweisen Niederlagen gedemütigt, bis sich deren Führung unter General Tschiang Kai Schek vorerst keinen anderen Weg als den eines ständigen Zurückziehens sah. Mangels eines Sinns, mangels einer Idee, der alle diese Millionen folgen hätten können, waren Massendesertionen und -kapitulationen das Merkmal einer Armee, die tat was sie konnte, um ihren Ruf eines Haufens von schwer Gedemütigten auszubauen, und kein "Volk" hinter sich hatte.
Gleich zu Beginn ihres Vormarsches eroberte die japanische Invasionsarmee Shanghai, die damals sicher bedeutendste Verbindungsstelle Chinas mit der übrigen Welt.*** Dementsprechend viele Ausländer hielten sich in der Stadt auf, und sammelten sich im Botschaftsviertel im Zentrum. Um das herum der Jesuitenpater Jacquinot de Besange eine noch größere Internationale Zone einrichtete, die als Exterritorial von Japan anerkannt und damit von Kriegshandlungen verschont wurde.
Und einen Weltkrieg wollte Japan zu dem Zeitpunkt nicht riskieren. Seine "heilige Sendungs-Vision" (die der heutigen EU sehr ähnlich war, die selbst eine politische, überstaatliche Einigung für unerläßlich hält) hatte an sich mit England oder Frankreich und den USA nicht viel zu tun, außer daß man sich dagegen abgrenzen wollte. Eine ernsthafte Konfrontation würde schon noch früh genug erfolgen.
Japan war in der Folge des ungeheuer rasanten Aufschwungs seiner Wirtschaft und eines starken Bevölkerungswachstums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Vision eines ost- und südostasiatischen einheitlichen Wirtschaftsraumes getrieben, der unter japanischer Führung stehen sollte. Die es auch mit militärischer Macht durchsetzen konnte und wollte. Herrschaft braucht Heer, um es gleich zu sagen.
Das hielt Japan für notwendig, um - in gar nicht unweiser Voraussicht - unter Beobachtung der absehbaren globalen Entwicklungen dem Rest der Welt wirtschaftlich und politisch Paroli bieten zu können. Nur in diesem Belang gab es Zonen (in Südostasien), in denen Japan über kurz oder lang auf nicht ganz sanfte Art mit Westmächten zusammenstoßen würde. Das waren vor allem England, Frankreich, die Niederlande, Australien und die USA, die fünfunddreißig Jahre zuvor die Philippinen okkupiert hatten. Aber damals, man stelle sich das vor, noch gar nicht als Weltmacht gesehen wurden.
Zwar also trieb Japan seit seiner Invasion von der Seeseite her, unweit von Shanghai und noch dreihundert Kilometer von Nanking, der damaligen Hauptstadt Chinas, die chinesischen Truppen unter Tschiang Kai Schek vor sich her, doch gab es in dessen Taktik des Ausweichens Ausnahmen, wie hier. Wo eine kleine Einheit Versprengter nun isoliert und nun eingekesselt war. Immerhin hatten die Japaner schon bei der Eroberung der Stadt, für die acht Tage geplant waren, drei harte Monate gebraucht, die sich als Häuserkampf gestaltet hatten. Zu guter Letzt stießen die Soldaten des Tenno auch in dieser letzten Bastion auf erbitterten Widerstand, der nur der Ehre wegen geleistet wurde, weil die Lage aussichtslos und für die Verteidigung Chinas militärisch gesehen wertlos war.
Die zusammengewürfelten Achthundert verschanzten sich in einem gut gefüllten, in manchen Gebäudeteilen (in denen Geld gelagert worden war) wie ein Bunker ausgebauten Lagerhaus, das nur durch den Huang Po getrennt der von Japan eingeräumten Internationalen Sicherheitszone von Shanghai (in die sich mittlerweile hunderttausende Chinesen geflüchtet hatten) gegenüber lag.
Die Mittel, die die japanischen Truppen im Versuch, diesen vermeintlich unerheblichen Soldatenreste zu besiegen, blieben vorerst zurückhaltend. Weil Japan verhindern wollte, daß es unter der nur durch den Fluß geschützten weil vom Lagerhaus getrennten extraterritorialen Zone Opfer gab. Das wäre einer Kriegserklärung an alle die beteiligten Staaten gleichgekommen. Das schien nicht notwendig, angesichts der in Shanghai liegenden siebzigtausend Mann starken, voll ausgerüsteten Armee. Da sollte es doch ein Leichtes sein, dieses letzte kleine Glutnest des chinesischen Widerstandes auszutreten. Vorerst setzte man aber noch auf Dauerbeschuß durch Scharfschützen und gelegentliche Infanterievorstöße.
Aber die Eingeschlossenen wollten sich nicht ergeben. Zum einen waren sie gut versorgt, zum anderen wußten sie sich in einer Art Schaufenster der Welt, und hofften auf Hilfe in diesem Kampf. Dem die Welt über die damals noch jungen neuen Medien (vor allem Photographie und Film) wie in einer Theateraufführung beiwohnte. In der Faszination dieser neuen Unwirklichkeit, schlossen viele Zuschauer sogar Wetten über den Ausgang der zu erwartenden Lagerhauseroberung ab.
Es gibt ja kaum ein Archetyp das mehr Identifikation ermöglicht wie das des David gegen den Goliath. Der Mensch ist gewissermaßen grundsätzlich überall und zu allen Zeiten in der Lage des David, und wünscht sich umso engagierter den Sieg.
Dieser David dachte also nicht daran, dem Beispiel des Großteils der durch Rivalitäten und Unvereinbarkeiten (ein Teil war die kommunistische Kuomintang) uneinheitlich geführten chinesischen nationalen Armeen zu folgen, zurückzuweichen oder gleich zu kapitulieren.
Nach einer Woche nahmen die eingesetzten Mittel Japans schließlich keine Rücksicht mehr auf die Ausländer am gegenüberliegenden Ufer, oder auf das Urteil der so leicht zu sentimentalisierenden Weltöffentlichkeit. Selbst angesichts der Gefahr durch einen im Lagerhaus befindlichen Gastank, dessen Explosion ganz sicher auch Teile des Ausländerviertels vernichtet hätte, sollten schließlich sogar Bombenflugzeuge und schwere Artillerie eingesetzt werden.
Vor diesem sicheren Ende, und durch Versprechen der Briten ermutigt, sie in der Internationalen Zone in Sicherheit zu bringen, kam es in der Nacht vor dem erwarteten Großangriff zu einem verzweifelten Ausbruchsversuch der Achthundertschaft. Die unter vollem Beschuß der Japaner über die Brücke zu entkommen versuchte, die ihr Ufer des Huang Po mit dem Botschaftsviertel verband. Es war ein Blutbad. Nur einige wenige erreichten die rettende Flußseite.
Aber das Ereignis blieb nicht ohne psychologische Folgen, und ein Jahr später errang Tschiang Kai Schek tatsächlich den ersten Schlachtensieg gegen die zuvor für unbesiegbar gehaltenen Japaner. Nicht zuletzt die vielen Photo- und Filmaufnahmen, die die Verteidigung des Lagerhauses zu einer medial hochgeschriebenen Heldentat stilisierten, hatten auch in den USA eine Stimmung geschaffen, in der man die chinesischen Nationalisten unterstützen wollte. (Ehe sie 1945, vermutlich auf Drängen Stalins, den man damals noch nicht verärgern wollte, nicht nur Tschiang Kai Schek fallen ließen, sondern fortan gar den Kommunisten Mao Tsetung unterstützten.*)
Morgen Teil 3) Gegenwart gibt es nur mit Vergangenheit. Eine verlogene Gegenwart braucht also eine konstruierte Geschichte
*110221*