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Dienstag, 16. Februar 2021

Gut plus guter plus Guterstes ist gleich China, oder so (3)

Teil 3) Gegenwart gibt es nur mit Vergangenheit. Eine verlogene Gegenwart braucht also eine konstruierte Geschichte 

 

Mit dem allmählich aufflammenden Nationalgefühl**** versteifte sich der chinesische militärische Widerstand, und endete nicht nur erst im August 1945 mit der japanischen Kapitulation, sondern veränderte nachhaltig das Land. Denn inmitten dieses nun gewitterten "Großchina" formierten sich jene beiden Parteien - die Nationalisten hier, die Kommunisten dort - aus denen das China des Jahres 1949 hervorging. Wo Großchina als kommunistische "Volksrepublik China" unter Mao Tse-tung (nach siegreicher Beendigung des Bürgerkrieges gegen die Nationalisten, die nur in Taiwan ein Refugium behielten) sein Staatsbewußtsein in die Welt rief.

Die Vorfälle im Shanghai des Jahres 1937 waren also ein nicht ganz unwichtiges Ereignis einer mentalen Wende, in der sich China nicht mehr länger aufs Haupt schlagen lassen wollte. Und so die Grundlage für die Zukunft eines Landes schuf, wie wir es heute kennen. 

Siebzig, achtzig, neunzig Jahre später erleben wir aber nun etwas Interessantes. Wir erleben, daß sich mit dem Abstand zu den Ereignissen mehr China sogar zu einer der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aufwerfen möchte. Das ist den Vorgängen in Rußland ähnlich. Wenngleich es dort sicher ein gewichtigeres fundamentum in re hat. 

Aber das könnte man als Absicht hinter dem Film "Die Achthundert - The Eight Hundred" sehen. Zumalen die Filmwirtschaft in China ganz sicher gewissen "Formwünschen" der Partei als oberster Macht unterliegt. (Diese Kräfte haben ja auch bei uns schon zum Tod des Films als Kunstwerk geführt.) 

In welchem Gestus auch das Schicksal des heldenhaften Widerstandes einer Kompanie im chinesisch-japanischen Krieg (1937 bis 1945) seine filmische Aufarbeitung fand. Als einer der Goldkörner, die in den Zinken des Kammes, mit dem die Vergangenheit durchsucht wird, hängen bleiben. Zur Hebung eines aktuellen Lebensgefühls kann es da kaum besseres geben als die Versicherung, einem Geschlecht von Helden anzugehören. (Wie man hört und liest, hat China nun sogar eine männlichere Erziehung an den Schulen "beschlossen." Ein dem Trend im Westen praktisch völlig, auf hundertachtzig Grad entgegengesetztes Vorhaben!) 

Das filmisch (wie sollte es anders sein) ein glatter Knieschuß ist. Dessen Pathetik und triefende, symbolüberladene, durch filmische Stilmittel bis zur Lächerlichkeit ausgewalzte Rührstück ergeben hat. Auch (oder: gerade?) wenn man den chinesischen Filmen eine beachtliche Professionalität nicht absprechen kann, so macht sie das als Hilfsmittel der Ideologie und Volkssteuerung nur noch gefährlicher (Spielberg läßt grüßen!). Wobei Chinas Filme der letzten Jahre (soweit sie der VdZ gesehen oder bemerkt hat) von den meisten Filmländern gerade in der ehedem kommunistischen Einflußsphäre abstechen. 

Alle diese Länder kämpfen ja mit ähnlichen Legitimitäts- und Nationalproblemen, alle versuchen das Problem auf die gleiche Weise zu beheben, wenige aber tun das ohne in die künstlerische Müllkiste zu greifen. Die einen mehr (wie viele Filme Polens; man faßt diese Mischung aus Dilettantismus und Ideologie kaum), die anderen weniger (wie die Tschechei).

Aber China ist es gelungen, seine Filmindustrie sogar dem kaum noch zu überbietenden Großmachtbewußtsein wirklich anzupassen. Die dem wiedererwachenden Bewußtsein von Größe und Berufung zur Weltrolle ihre Legitimierung durch einen neuen Mythos geben soll. In dem dieses "Reich der Mitte", also dieses Herz der Welt**, das sich schon vor dreitausend Jahren voller Selbstvertrauen sogar als die Welt überhaupt verstanden hat, durch Anbindung an seine - nicht selten imaginierte, "neu gedeutete" - Vergangenheit wieder sein zu dürfen verlangt, was es immer gewesen zu sein meint: Die Mitte der Welt. An der gemessen der restliche Globus zu einer Peripherie wird, die dem Zentrum zuarbeitet und von dort beherrscht wird. Ein gutes Stück weit ist China auf diesem Weg ja bereits gekommen. Beängstigend weit sogar. 

Für diejenigen unter uns, die der chinesischen Originalfassung mehr abgewinnen können, gibt es den Film natürlich auch im Netz. Vielleicht wird über diese Methode der Betrachtung manches des oben Gesagte noch deutlicher. Denn durch ganz viel Senf auf der Gurke wird aus einem Film auch heute wieder Propaganda, auf die wir uns als Hauptgang im Menü ehemaliger Künste ohnehin bereits einstellen mußten. Was im heutigen Film - ob Ost, ob West - ist keine Propaganda?


*Kommunismus und Kapitalismus stehen auf ein- und demselben geistigen Bein, und können sich nur aufrecht halten, solange sie in der Dynamik eines Scheinkampfes stehen, dann enden beide, und gehen in ein neues Dasein über.  

** So hat etwa Sun Tsu schon im 3. Jahrhundert vor Christus über das Wesen des Krieges und die Natur des Sieges niedergeschrieben, was bis heute und unverändert gültig ist. Aber er hat uns vor allem eine ganz andere Natur überliefert: Die eines Volkes, die des Geistes, aus dem die Menschen in Ostasien leben, der die Mittel für jeden Zweck heiligt, und der mit extremem Pragmatismus alles integriert, was in dieser Welt (sic!) nützlich zu sein scheint. 
Der ganze Konfuzianismus, der in weiten Kreisen immer noch als "Weltreligion" definiert ist - nichts wäre falscher! er ist sogar das genaue Gegenteil! - in seinem Pragmatismus könnte auch das Programm der heutigen chinesischen Führung sein. Und ist es wohl auch. Was in China an Religion da ist, ist in jedem Fall dem politischen Staatsziel als Prinzip des Daseins eines Volkes unterzuordnen, und beansprucht (bis auf den Taoismus als Strömung) keinerlei Gründungslegende, sondern ist lediglich zufällig in der Geschichte wirkmächtig gewordener Einfluß von außen, wie einige Strömungen des Buddhismus, oder viele, vermutlich sogar sehr viele heidnische, gar nicht überschaubare Religionsformen. 
 
Das Christentum spielt im Übrigen nur eine ganz kleine Rolle, am meisten noch als Katholizismus, der aber jüngst ebenfalls ins Joch der Staatsmacht gespannt wurde: Wo er nützlich ist, darf er "sein". Das wird auch im Film "Die Achthundert - The Eight Hundred" ganz deutlich angesprochen.

***Dabei führte Japan das erste Flächenbombardement gegen eine Zivilbevölkerung der Geschichte. Das laut chinesischen Angaben achtzehntausend Menschenleben kostete.

****Auch wenn so mancher das nicht gerne hört, so ist die Form von Nationalgefühl, die im 19. Jahrhundert entstanden ist, Degenerationserscheinung und Ausfluß einer Entformung der natürlichen sozialen Gefüge. Ausdruck somit einer Entwurzelung des Einzelnen, und als psychogener Antrieb eine technizistische und zwangsläufig totalitäre Erscheinung.