"Es gibt heute eine gewisse Einsicht in die Tatsache, daß ein extremer relativistischer Individualismus eine soziale Katastrophe bedeutet und daß keine Zivilisation ohne einen gewissen Wertekonsens bestehen kann. Aber wo Erziehung im Sinne dieses Konsenses tätig ist ohne den Glauben an die Wahrheit dessen, was sie vermittelt, da handelt es sich nur um eine Konditionierung zugunsten eines Autoritatismus, der sich heute in der Regel als political correctness präsentiert. Er zielt auf Anpassung, nicht auf Wahrheit. Einsicht in Wahrheit aber gibt es nur in Freiheit.
Verhalten kann und muß gelegentlich erzwungen werden. Wahrheitseinsicht und Glauben können nicht erzwungen werden. Die Wahrheit spricht mit leiser Stimme. Wer die Behauptung historischer Unwahrheiten wie die Leugnung des Kreuzestodes Jesu oder die Ermordung der europäischen Juden unter Strafe stellt, der schwächt die Autorität der Wahrheit. Die Wahrheit ist - im Unterschied zum Irrtum - niemandes Eigentum. Ihre Geltung ist unbedingt, aber sie kann sich nur geltend machen im Medium der Freiheit."
Robert Spaemann, in "Wahrheit und Freiheit"
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