Alle Rechte - Die Presse |
Kardinal EB Schönborn im Gespräch mit Joachim Meierhoff über das Theater der Liturgie in der Presse. Mit lesenswerten Aussagen, die auch von dieser Seite die absolut gemeinsame Quelle von darstellender Kunst und Liturgie bestätigt. Und erstaunlich umfassend die ungemein gleiche Erfahrungswelt des Künstlers und des Priesters beschreibt.
Ich wollte nicht viel kürzen, weil auch die da und dort etwas umständlichere Aussagenfindung dazugehört.
Meierhoff: Beschreiben Sie einmal, was ist eine schlechte Vorstellung für Sie?
Schönborn: Ich sage, was eine gute Vorstellung ist. Die Liturgie ist ja ein
Ganzes. Die Liturgie ist dann eine gute gewesen, wenn die Spannung nicht
wegbricht.
Die Liturgie ist als Ritual dadurch, dass es jedes Mal wieder den Gehalt finden muss, tatsächlich gefährdet wegzubrechen?
Ja.
Und dann wird sie ein hohles Ritual?
Sie bleibt immer ein erfülltes Ritual, weil im Unterschied zum
Theater in der Liturgie das Sakrament da ist. Das heißt, was gespielt
wird, ist auch wirklich da. Aber wenn das Spiel schlecht ist, wenn die
Akteure zum Beispiel innerlich einfach nicht dabei sind, wenn sie hohl
sind, wenn die Gesten mechanisch sind, dann ist der glühende Kern oft
wirklich nur mehr mit dem nackten Glauben zu fassen - gegen alle äußere
Trockenheit.
Das ist eine sehr gute Beschreibung einer schlechten
Theateraufführung. Wenn es hohle Gesten werden, der glühende Kern nicht
da ist, die Beseelung nicht stattfindet, dann gibt es bei uns, da haben
Sie wahrscheinlich recht, nicht einmal die Hostie, in der sich noch für
sich etwas verbirgt.
Und das Spannende in der Liturgie ist eben, dass der Teilnehmer trotz
der schlechten Performance der Akteure und der Hohlheit ihrer Gesten
und ihrer Worte zu dem glühenden Kern durchstoßen kann, weil der real da
ist.
Aber vielleicht ist das genau das Risiko. Weil das im Zentrum
real da ist, gerät man drumherum in die Hohlheit. Weil man weiß, dass
das Zentrum, wenn man denn glaubt, intakt ist.
Sie können sich im Theater viel weniger leisten, dass die Akteure
nachlässig werden. Natürlich merken auch wir, wenn das Publikum
wegbleibt. Das hat etwas mit dem eigenen Versagen zu tun.
Für mich hat es ganz stark mit der Sprache zu tun, der Text ist oft schlecht.
Ja.
Wenn wieder einmal über Licht und Dunkel gesprochen wird,
habe ich das Gefühl, dass man in diesen relativ einfachen lyrischen
Metaphern doch irgendwie unterbedient wird.
Es gibt eine Erfahrung bei der Predigt, die kennen Sie vom Theater auch, wenn die Stille dicht wird.
Natürlich. Das sind große Momente.
Wenn sozusagen atemlose Stille da ist, dann merkt man, dass das Wort
getroffen hat, man merkt aber auch, dass einem eine Verantwortung in
die Hand gegeben ist, mit der man nicht leichtfertig umgehen darf.
Wenn ich eine schlechte Vorstellung spiele, dann kommt
danach der Regisseur und benennt das. Und dann wird er sich die nächste
Vorstellung ansehen und kontrollieren, ob ich das versuche anders zu
machen. Wie ist Ihr Zugriff?
Gering.
Sehr gering?
Zu gering. Es fehlen die Kontrolle, das Feedback. Manchmal trauen
sich die Gläubigen, das zu benennen. Aber es wird viel zu selten
gemacht. Wir arbeiten deshalb jetzt mit allen Akteuren der Liturgie -
nicht nur den Priestern, sondern den vielen anderen Akteuren wie etwa
Lektoren - an einer Erhöhung der Professionalität. Das braucht es
einfach.
Haben Sie das Gefühl, das wird zu laienhaft gemacht?
Zu wenig liebevoll den Empfängern gegenüber. Wenn ich eine
Wertschätzung für das Publikum habe - in diesem Fall für die Teilnehmer
an der Liturgie -, dann wird es mir ein ganz großes Anliegen sein,
dass der Dienst, den ich in dem Schauspiel mache, dass der wirklich
beseelt ist, dass der gut wird.
Das Wort „beseelt" hat bei uns im Theater wirklich auch eine
große Bedeutung. Es ist entscheidend, dass die Dinge beseelt sind. Das
trauen Sie sich zu sagen?
Das traue ich mir sofort zu sagen. Wenn ich will, dass etwas
sprachlich und physisch und intellektuell durchdrungen ist, würde ich
da den Gesamtbegriff der „Beseeltheit" wählen, ich würde sagen, dass
eine Rolle dann beseelt ist.
[...] Das Stück, das wir aufführen, spielen wir seit 2000 Jahren, und im
Durchschnitt ist der Publikumserfolg nicht nachlassend. Das kriegt kein
Theater zustande.
Oh doch! Wir spielen doch Stücke, die sind auch so alt.
Ja, aber nicht jeden Tag und an so vielen Spielorten.
[...] Ich würde zuerst einmal sagen, ich repräsentiere etwas, was Sie nicht
unbedingt als Schauspieler repräsentieren. Sie haben eine Rolle, aber
ich habe eine Repräsentation. Ich war in Sri Lanka in einem kleinen
Bergdorf bei ganz armen Teeplantagenarbeitern. Die hatten ungeheure
Vorbereitungen gemacht, es war das erste Mal, dass ein Kardinal in
dieses Dorf gekommen ist. Als wir zur kleinen Dorfkirche kamen,
flüsterte der alte Jesuit, der Pfarrer dort, ein großartiger Mann, mir
ins Ohr: „Glauben Sie nicht, dass die Leute das für den Christoph
Schönborn gemacht haben, das haben sie für Jesus Christus gemacht."
Der sagte: Nimm es nicht zu persönlich.
Ja, nimm es nicht persönlich. Du repräsentierst für diese Menschen
Jesus Christus. Und darum haben sie diesen unglaublichen Aufwand
betrieben.
Ich merke, dass wir am Theater durchaus aus dem christlichen
Kontext entliehene Worte verwenden: Das hat mit Demut zu tun, gegenüber
einer Rolle, einer großen, fantastischen Rolle.
Ja, diese Rolle, diese Repräsentationsrolle, erfordert Demut. Aber es
gibt dann ja auch die Zeit, wenn ich zum Beispiel bei meiner Familie
einfach der Christoph bin. Oder auch im Kreis von Freunden.
Und haben Sie dann das Gefühl, es ändert sich für Sie auch etwas?
Ich erlebe mich selber durchaus in meiner Repräsentation als so
unzulänglich gegenüber dem, den ich repräsentiere, dass es mir nicht
allzu schwerfällt, in die Alltäglichkeit meiner selbst zurückzukehren.
Empfinden Sie das als Belastung? Die dann abfällt - jetzt
kann ich wieder nur ich sein. Es muss ja anstrengend sein, 24 Stunden am
Tag Jesus Christus zu repräsentieren.
Ja und nein. Es ist natürlich auch etwas Berührendes, wenn man sich
bewusst bleibt, dass es wirklich Repräsentation ist. Mir hat Nixons
früherer Finanzminister einmal gesagt: „Das große Elend ist, wenn
Repräsentanten ihre Repräsentation mit ihrer Person verwechseln."
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