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Donnerstag, 6. März 2014

Großes entscheidet sich im Kleinen

Es ist zwar menschlich verständlich und verführerisch, große Wirkungen mit großen Ursachen in Zusammenhang zu bringen. Doch die Kybernetik zeigt etwas anderes. Sie zeigt, daß sich Systeme kleiner Teile durch die jeweiligen Rückkoppelungen lange Zeit in stabilem Gesamtzustand befinden, das Große sich also nicht ändert. Und dann, plötzlich, löst eine kleine Änderung, wie sie zuvor bereits viele male passiert ist, ohne etwas zu verändern, eine Gesamtkatastrophe aus - das Gesamtsystem kollabiert.

Alles, was etwas ist, jedes Seiende, hat in sich die Grundeigenschaft, im Sein zu bleiben, das heißt (um die sehr komplexen Überlegungen etwa Heinrich Beck's in "Der Akt-Charakter des Seins" auf einen simplen Leisten zu brechen, der nur illustrieren soll, keineswegs freilich die Gesamtheit der Überlegungen darstellen kann) daß das Wesen der Dinge ein sich selbst Ergreifen ist. Der Leitniz'sche Begriff der Monade hat hier seinen Platz. Denn ihn brachte diese Erkenntnis über die Grundwirklichkeit der Dinge zum Gedanken, daß alles beseelt sei. Das aber wollen wir hier nicht ausführen.

So erklärt sich das Bestreben alles Seienden, im Bestand zu bleiben. Und das heißt: es selbst zu bleiben. Denn im Bestand bleibt nur, was es selbst bleibt (und ist). Nicht Veränderung also ist das Wesen aller Dinge, und alles Lebenden, das diese Grundeigenschaft auf andere, höhere, je vollkommenere Weise (bis zur Vollform des erst im Geistigen voll dargestellten Selbststandes im Menschen) ausfaltet, sondern Bestand. Und in diesem Selbstsein Interaktion mit dem Angrenzenden.

Was hier so theoretisch - und dabei so vereinfacht - ausgesagt wird, zeigt sich in der Kybernetik. Das Zueinander je kleiner Systeme faßt sich in je größeren Systemen zusammen. Und diese werden nicht fließend, sukzessive verändert, sondern auch sie bleiben gleich, so lange es geht. Doch entwickeln sie sich durch die Interaktion der kleinen Teile zu kritischen und schließlich hochkritischen Systemen. Mit einer interessanten Folgewirkung: Eine (nur katastrophisch mögliche) Totalveränderung des Ganzen passiert nicht im Gleichschritt mit einzelnen Veränderungen, sondern sprunghaft.  Und zwar nicht durch große Ereignisse, sondern der Zustand der Spannungen der Einzelteile zueinander entlädt sich in einer Gesamtkatastrophe.

Der Leser möge nachsehen, es sei wiederholt: Es geht hier um eine Illustration, um ein Bild, das erahnbar, nicht in allem begründbar machen soll, was gesagt sein will. Als Verstehensansatz, der erhellt, was sich auf allen Ebenen und Dingbereichen abspielt. Zumal in einer Welt, die ein gigantisches, ja tatsächlich unendliches Zueinander von Teilfaktoren ist, wo alles mit allem zusammenhängt, sich alles aus unendlich kleinen (!) Wirkfaktoren aufbaut, die ihr Sosein aber aus je größeren Einheiten, ja eigentlich Beziehungen, erhalten.

Gesagt sein will Folgendes: Daß wir uns nach wie vor in sehr vielen Bereichen eine völlig falsche Vorstellung davon machen, was große Veränderungen bewirkt. Die ja, sind sie groß, das Endes des einen (die Katastrophe) und den Beginn eines Neuen bedeutet. 

Das betrifft alle Felder, mit denen wir zu tun haben.

Wenn heute in Kalifornien auf den Ausbruch des nächsten Supervulkans gewartet wird, weil er statistisch (!) kommen MUSZ, so stimmt das. Aber es ist nicht vorhersagbar, das hat die Erdbebenforschung mittlerweile erkannt, weitgehend zumindest, wann die gesamte tektonische Einheit der Erdkruste in diesem Bereich kollabiert und sich die Entladung der angesammelten Spannungen in einem Megabeben äußert. Denn eines weiß man mittlerweile mit Sicherheit: Daß es KEINE außergewöhnlichen, großen Anlässe sind, die auslösend wirken, sondern einer der vielen vielen, bislang problemlos absorbierten, aufgespeicherten Kleinspannungen sein werden.

Wenn wir also - wie in diesem Artikel im Standard - feststellen, daß sich an der Grenze der Erdzeitalter Perm und Trias eine katastrophische Artenumwälzung abspielte, in der 70 % aller Meeresbewohner und fast alle Landbewohner ausstarben, so gehen wir fehl, wenn wir dafür eine große Ursache suchen. Genauso wie wir fehlgehen, wenn wir - wie in diesem Artikel in der Kronen Zeitung - meinen, daß Windparks keine großen Veränderungen auslösen können. Weil sich die Wirkungen (Luftverwirbelungen, Vermischungen der Luftschichten, Temperaturerhöhung im direkten Umfeld) "meßbar" nur auf Kleinräume beschränkten, keine "meßbaren" Auswirkungen auf das "Erdklima" hätten.

Oder man nehme den Ausbruch des 1. Weltkriegs, der etwas Analoges darstellt: Über Jahrzehnte haben sich zahlreiche Teilspannungen aufgebaut. Niemand wollte einen Weltkrieg, die Entscheidung zum Krieg war jeweils nur noch ein kleiner Schritt, und jeder dachte sein Wirkung als begrenzt, überschaubar, klein - dem (gefühlten) Entscheidungsschritt gemäß. Aber man hatte nicht mit der Wirkung der davorliegenden 50 Jahre "Frieden" gerechnet. In dem es nie zu Entladungen von Teilsystemen gekommen war. Im Ganzen, im Zusammenwirken aller Faktoren, explodierte nunmehr der Kontinent, explodierten die Gesellschaften aller europäischen Länder, explodierte eine ganze Kultur.

Es ist das berühmte winzige Korn, das austreibt und zu einem riesigen Strauch wird. Es ist die Kleinheit der Geburt des Erlösers in einem lächerlichen Stall in Bethlehem, der die gesamte Welt durchdrang und grundlegend veränderte. 

Es sind die kleinen Fehler, die alltäglichsten Versagen, die kleinsten Naturwidrigkeiten, die große Katastrophen aufbauen. Nicht einfach summarisch, sondern in einer neuen Qualität.

Um es mit noch einem Beispiel abzurunden: Wenn Österreich heute mit der Hypo-Alpen-Adria-Bank vor einem Gesamtdesaster steht, das die Hälfte, wenn nicht zwei Drittel der gesamten Steuereinnahmen des Staates eines Jahres auffressen werden, so ist das die Summe zahlloser Fehlverhalten aus der Vergangenheit. Die für sich betrachtet nie groß genug schienen, um eine Gefahr für das Ganze darzustellen. Und doch, und plötzlich (noch 2007 war die FPÖ der Meinung, einen Milliardengewinn durch den Verkauf von Anteilen an die Hypo-Bayern einzufahren, die Presseaussendung aus der Zeit liest sich sehr erhellend!) entlud sich die ständige Aufspeicherung von scheinbar kleinen Risken, die man fortlaufend erhöhte, die beim Bankverkauf als Geldbeschaffungsmaßnahme für die Politik Jörg Haiders in Kärnten über sehr sicher völlig falsch geführte Verhandlungen im Rückkauf der Bank durch den Staat bis zum entscheidungsschwachen, furchtsamen laufenden Umgang mit dem Problem, das genau damit von Jahr zu Jahr größer wurde) zu einer wahrlich staatserschütternden Tragödie.

Die, die meinen, auf große Lösungen gehen zu müssen - Weltwirtschaft, Erdklima, Gender, etc. etc. - werden nicht nur nicht bewirken, was sie sich vorgenommen haben. Sondern ihre katastrophische Wirkung, die sich ganz anders entladen wird, als sie je vorhersehen werden, baut sich aus den vielen kleinen Veränderungen auf, die sie durch großen Regelungen bewirken. Und - es werden Katastrophen sein. Denn sie sehen Schimären, Phantome. Sie zerrütten das Kleine.




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