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Samstag, 11. Juli 2015

Leugnen der Geistigkeit (1)

Man hört heute sehr oft, ja immer öfter, daß die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Gemeinschaft, Religion, zu einem Staatsvolk, einer Region, einer Familie (!), einer Sippe, einem Geschlecht, etc. etc. noch lange nicht heiße, daß einer für alle zu stehen habe. Man könne deshalb auch aus dem Verhalten einzelner Muslime nicht auf den Islam selbst schließen, man könne nicht aus einem Österreicher auf alle folgern. Zugleich wird damit auch die historische Kontinuität geleugnet. Was gehe also uns an, wenn Hitlerdeutschland Verbrechen verübte. Das seien nur konkret festmachbare Personen gewesen, mit denen wir Heutigen aber nichts mehr zu tun hätten. 

Die Beispiele ließen sich wahrlich unendlich verlängern. Sie sind deshalb interessant, weil sie in einer Zeit ablaufen, in der das Identitätsproblem von vielen Psychiatern, aber selbst von Genderbewegten, als "Kernproblem der Gegenwart" bezeichnet wird. Selbst die etwa in den USA besonders ausgeprägte Modeerscheinung, seine Vorfahren zu suchen, sagt es aus. Und wer die Gegenwart überhaupt zu lesen versteht, sieht, daß die Erkenntnis der Wurzellosigkeit der Menschen schon große Areale und Ebenen alltäglicher Erscheinungen bedeutend zu erhellen vermag. Doch auch sie hängt direkt mit dem oben genannten Ableugnen solcher Zubehörigkeiten zusammen. Und es läuft immer, auch hier, auf - die Verleugnung der Geistigkeit hinaus. Das ist sogar der Grund für Verirrungen wie Genderismus, das steckt auch dort dahinter. Weshalb es besonders befremdend wirkt, wenn die einen Genderismus ablehnen, aber im Namen einer diffusen "Humanität" gegen das "pars pro toto" auftreten (was übrigens häufiger der Fall ist, als man meinen könnte).²

Noch mehr verwundert es deshalb, wenn solche Töne auch aus der Kirche zu hören sind, ja diese Verleugnung der Geistigkeit als weltbegründende Macht sogar noch als Inbegriff christlicher Existenz dargestellt wird. Denn die Kirche selbst ist das lebendigste Beispiel dafür, daß diese Tatsache von Zubehörigkeiten sogar vom einzelnen, situativen Willen völlig unabhängig ist. Sie hat diese Zugehörigkeit ja gar als Sakrament begriffen, und sie ist selbst Sakrament - was nur heißt, daß solche Zugehörigkeit auf eine andere Ebene gehoben ist: die der unleugbaren fleischlichen, damit aber ganzmenschlichen Prägung sogar. Denn Kirche heißt: Gemeinschaft der "Ganzmenschen", erneuerte, fleischlich-sichtbare Verwirklichung (und damit: Zugehörigkeit) zur "vollen Idee" vom Menschen. Womit auch illustriert wird, daß "Idee" zugleich Auftrag, Gesolltes heißt. (Die Aufgabe der Kirche ist ja von Anfang an, ALLE zu taufen, in diese Zugehörigkeit in die Heilsgemeinschaft des erste Anfangs wieder hineinzustellen. Darauf beruht der Satz "extra ecclesiam nulla salus" - außerhalb der Kirche kein Heil.)

Wer aber solche Zubehörigkeiten als unwirklich und unwesentlich behauptet, wer damit eine subjektive Autonomie über seine Wesensbestimmungen behauptet, leugnet in Wahrheit die geistige Verfaßtheit des Menschen. Und das hat mehrere Gründe. Vor allem diesen, daß Geistigkeit nur noch als psychologische Erscheinung verstanden (natürlich nicht: begriffen) und damit zur Ungeistigkeit wird.

Denn selbstverständlich ist die Welt zu allererst von einer geistigen Ordnung geprägt. Alles, was das Christentum tut und fordert, bezieht sich ja nur darauf: Den Willen Gottes zu tun heißt, seine geistige Ordnung in die Welt tragen. Denn die Welt ist der Schatten des ideen Gottes. 

Zum Wort Ideen werden wir gewiß noch hier handeln. Denn auch dieses Wort wird meist schwer mißverstanden. Zum einen wird es als bloße psychisch-voluntaristische "Idee" gesehen, zum anderen zu leicht verbildlicht, also in eine ungeistige Ebene heruntergedrückt. Wozu das menschliche Bewußtsein, das Denken, allzu leicht neigt - immerhin ist das Portal des Menschen zum Geist die konkrete sinnliche Dinglichkeit. Und genauso, damit direkt zusammengehörend, ist die Leiblichkeit, die konkrete Fleischlichung, der "Gegenständliche", der Ort der Erfüllung.*

Wo immer ein Mensch geboren wird, wird er es deshalb als Teil einer geistigen Ordnung. Die ihm längst voraus geht. Ja, die ihn überhaupt erst konstituiert. Die Welt ist somit der Ort der Konkretisierung (Inkarnation) der Welt der Ideen. Sich davon loszusagen ist unmöglich. So ein Mensch wäre nicht. Schon der einfachste sinnliche vorgang weist darauf hin. Denn der Mensch sieht immer Ideen, ideierte Bilder (wieder der Verweis auf o. a. Vorsicht). Das unterscheidet ihn am grundlegendsten vom Tier, das eben in seiner Sinnlichkeit NICHT ideiert. Wer einen Berg sieht, sieht nur deshalb einen Berg, weil er eine Idee von Berg hat. Selbst die Sprachlichkeit (und damit das Denken) ist nur noch ein Bezug auf diese Idee.

Wer in Bad Salzuflen geboren wird, als Nachfahre des Horst Brinkmann und seiner Frau Klara, ist deshalb Bad Salzuflener genauso, wie er Westfale ist, und dann Deutscher. Als Getaufter ist er Christ, als Nachfahre eines Tischlermeisters (seit vier Generationen) und EKII-Trägers, im Kampf um Kursk erworben, trägt er in seinen Ansätzen das Verhältnis seiner Vorfahren zur Stadt Salzufleln genauso in sich, wie das seiner Famlie und des ganzen Landes zur Ukraine und zu den Russen in sich, etc. etc. etc. Alles ist eben mit allem verwoben. Und jeder wächst also in einem unendlichen Geflecht aus Vorgeprägtheiten aus Bezügen - Person IST immer im Bezug, nur so wird sie real! - heran. Und auf dieser Basis denkt er zunehmend selbst weiter.**

Morgen Teil 2) Selbstverständlich gibt es eine generationenübergreifende 
Schuld - aber sie ist lösbar


²Es ist nahezu unbedeutend, wie sich eine Idee historisch äußert. Historisch-relative Erscheinungen sind nur bedeutsam unter Bezug auf die Grundidee, die sie verwirklichen. Die meisten geschichtlichen "Kämpfe" spielen sich deshalb nur als Scheinkämpfe innerhalb derselben Ideenkonstellation ab. Es geht aber immer um die Ordnung der Ideen, nur die ist letztlich auch für eine Ordnung der Welt relevant, weil nur sie die wirklich bewegenden Kräfte sind. Im Praktischen kommt hier die Frage der Klugheit zum Tragen, für deren Chancen wie Gefahren die Kirchengschichte beredtes Beispiel gibt. Denn vieles, was man zu Recht an ihr kritisiert, ist mit dem Sprichwort "Wer sich mit Hunden zu Bett legt, wacht mit Flöhen auf" erhellbar. Mit dem Problem, daß übermäßiger Flohbefall zum Kollaps führen kann, in dem dennoch die Idee (als Gestaltquelle) immer, zumindst in Rudimenten, fleischlich-tatsächlich bleiben wird.

*Die erste Art der Begegnung des Menschen mit der Welt ist auch heute eine der Anschaulichkeit. Was als Erbsünde bezeichnet wird, ist der Bruch, der diese (rein organisch-sinnlich prinzipiell noch vorhandene) Sinnlichkeit mit der Ebene des subjektiven menschlichen Ich, der Geistigkeit verbinden soll. Hier steht dem Menschen nur noch die Deduktion zur Verfügung, das Ganze der sinnlichen Anschauung zerfällt ihm im Bewußtsein in Zeit und Raum, in Nach- wie Nebeneinander. Nur so ist dem Denken Sinn und Idee noch erkennbar. Gleichzeitig kann er dieser Erkenntnisbehinderung nicht entkommen, denn was sogar oft versucht wird - die Reduktion des Menschseins durch Ausschaltung der menschlichen Vernunft, oft einer Art "Medialisierungstechnik" vergleichbar - ist nicht möglich, sondern eine oft sogar schwerwiegende und folgenreiche Deformation des Menschseins (in seiner Freiheit, die eine Freiheit im Geist ist) selbst. Der Rationalismus (und das, was man als philosophischen Begriff als "Idealismus" bezeichnet) ist eine analoge Deformation, nur von der Denkseite her.

**Es soll hier ein für allemal gesagt sein, daß diese Gemeinschaften, Zubehörigkeiten bzw. Ideen NICHT - wie so oft gemacht - als eine Art "Wirklichungsfelder" über den betroffenen Menschen hängen. Das ist eine irrige Verdinglichung der Phantasie. Sondern der Ort ihrer Existenz ALS Idee ist im einzelnen Menschen, ihre Allgemeinheit (und deshalb ihre Zugängigkeit für alle Betroffenen) in der (je subjektiv anzustrebenden) Wahrheit begründet. Nicht in einem Quasi-Spuk-Sein. Daran ändert auch nichts eine allfällige reale(re), in gewisser Weise intersubjektive Präsenz in kulturellen Einrichtungen, nehmen wir Gebräuche, oder Denkmäler, oder Gedenktage. Weshalb rein weltlich-kulturale Einheiten auch wieder vergehen - oder entstehen - können.




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