Dieses Blog durchsuchen

Montag, 27. Juli 2015

Von der Krankheit des Horrors

Kein gesunder Mensch kann Horror lieben. Das macht die kaum faßbare Verbreitung der Vorliebe für Horrorfilme bei jungen Menschen so erschreckend. Darin drückt sich vielmehr eine mangelnde Durchdringung des leiblichen Selbst durch das höhere, geistige Ich aus - die hier viel zitierte Zweitwirklichkeit also, in der sich der Mensch befindet. Der Mensch ist nicht in sich geeint, er ist gespalten.²

Deshalb braucht er das Erleben, und das ist ihm nur in der Überraschung möglich, ind er er seine rationalen Kerker durchbricht - wie im Horror, eine Form der Sucht nach Neugierde und Sensation. In dem ihm das Rationalistische (und das hießt: NICHT rationale, vernünftige; der Rationalismus ist vielmehr eine Art, sich via Sprache, via "Selbst-Benedictio" im Sein, via stets nachzufüllendem, neu zu entfachenden Willensimpuls über dem Nichts zu halten) zur Bewegung tief ontologischer Angst wird, in der er sich in der "Welt" hält. Die ihm natürlich nur Gedanke bleibt. 

Kein Liebhaber des Horrors also, der nicht diese unüberwundene Kluft zwischen Leiblichkeit und psychischem Selbst hätte.* Der Horror als Genre ist nunmehr der Versuch, über (stets neu zu erfindendem, denn er braucht das Nicht-Gekannte, Überraschende; Horror, Horroreffekt ist nach dem erstmaligen Sehen kein zweites mal wirksam) Erlebenseffekt diese Kluft zu schließen. Eigentlich also ein Hilferuf, die innere Kluft zum sinnlichen Wirklichkeitserleben zu überbrücken. Und sei es für die Dauer eines Films. Der Leib, der ihnen nicht gehört, der nicht in die Vernunft integriert ist, wird so angeschlossen. Der Horrorliebhaber erfährt wenigstens für einige Momente sich selbst als Ganzes.

Der sich selbst besitzende Mensch hingegen kann nur das Sein lieben - und deshalb die Schönheit. Wenn er sich auch nicht vor dem Schrecken fürchten "muß", etwa weil er so stark in das Schöne eingebunden ist, daß er ihm völlig vertraut, so wird er ihn niemals suchen, und in jedem Fall trachten, sich vom Schrecklichen nicht überwältigen zu lassen. Denn das Schreckliche ist das Antlitz des Nichts. 

Wer das Nichts sucht, ist zuwenig, und zwar ist er zu wenig in den eigentlichen Merkmalen des Menschseins, der Vernunft. Denn das Sein ist das Welthafte, das Etwas, über dem Nichts.**





²Das eigentliche humane Problem ist damit das Fehlen einer einenden, lebendigen Weltidee, der lebendigen Wahrheit, die ja weit mehr, ja etwas anders, höheres ist als ein "gedachtes, erklärendes Weltbild", wenngleich in sich immer rational. Kant spricht hierbei sogar vom Apriori einer "transzendentalen Synthesis", die jeden Menschen im Geistigen grundlegt. Alles sonst dazu zu Sagende wäre damit bereits gesagt. Gerade der Rationalismus, der in Wahrheit eine verweigerte
Vexierbild - Man sieht immer aus einem Ganzen
Sittlichkeit ist, ist deshalb immer von unwiderstehlicher Neigung zu irrationalen, hermetischen, esoterischen Rändern gekennzeichnet, in denen dieses kategoriale, im realen Leben sich als transzendenzbedürftig äußernde (aber nur persönlich-ganzhaft erfüllbare) Wesen des Rationalen erkennbar wird (s. u. a. Gödel, der übrigens Spiritist war). Ohne diese Einheitlichkeit, diese synthetisch-transzendentale Apriorität, wäre gar kein Weltauffassen weil gar keine Gegenständlichkeit von Dingen möglich, das ist zumindest eine überprüfbare empirische Tatsache. (Man nehme nur ein Vexierbild, an dem man das jederzeit erfahren kann.) Weil also der Mensch (schon rein psychologisch feststellbar) IMMER in ein Ganzes hinein ergänzt, zeigt sich in der Struktur seines Tuns auch die Zugehörigkeit dieses ihm zugrundeliegenden Ganzen - beim Horror: zum Nichts, das ein Ich konstruiert, was ihm natürlich nur aus Weltdynamik möglich ist: der Horror "schleudert" ein Ich heraus, das aber rasch oder sofort - die Rolle der Spannung als Erfahrung eines Werdens! - wieder zu Boden fällt. (Beim Gesunden ist es umgekehrt.) 


*Deshalb spielt auch die Pornographie, die "sexuelle Phantasie", eine so große Rolle. Sie ist genau so zu begreifen, ist deshalb sogar das Gegenteil von "Sinnlichkeit", mit der sie oft gerechtfertigt werden soll. In dieser Form der (pseudologischen, rationalistischen) Sexualität spielen aber lediglich - archetypische, aber nie ins Vernunftganze des Selbstseins als Selbstbesitz integrierte - situativ "gespielte" (=eine Funktion der Erinnerung) Vorstellungsbilder die Funktion des "Rammbocks", der diese innere Spaltung überwinden soll. Deshalb ist sie auch nie in sich "fertig", nicht wirklich befriedigbar, sondern strebt immer nach mehr, nach Erweiterung der Grenzen, um zu einem wenigstens kurzfristigen Leib-Seelisch-Ganzen durchzudringen, denn das pseudologische Ich "bleibt" nicht, es wird nur durch den Atem getragen, der es ausspricht. Diese Form der Sexualität tendiert deshalb aus sich selbst zum Horror, mit dem sie sich in ihren extremsten Formen dann offen vereint (bis zum Tod, bis zu offen satanischen Ritualen, in denen die personale Natur der bzw. dieser Nichtungsbewegung offenbar, ja für sich real wird), denn sie stammen aus derselben Wurzel.

**Die in früheren Zeiten instinktiv gefühlte Nähe von Nichts, Hölle, Bösem, und der sogenannten "fallsucht", der Epilepsie, ist deshalb keinswegs Narrheit unwissender Vorfahren. Sondern eine sehr richtige Ahnung realer Zusammenhänge von Chaos, Vernunftverlust in Unordnung und kollabierendem System, und dem Nichts, der Hölle, dem Schrecken. Ordnungsverlust, der Seinsverlust ist und geistige Krankheit sind Synonyme. Denn Sein ist nur ALS bzw. IN Ordnung, also: Vernunft, denn sie hat personale Qualität, ist keineswegs ein schlichtes rationales Gerüst, vielmehr stammt ihre Kraft zum Sein aus einem anderen, weltlegenden Impuls der Liebe, der Gutheit, der Schönheit.




***