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Sonntag, 12. Juli 2015

Leugnen der Geistigkeit (2)

 Teil 2) Selbstverständlich gibt es eine generationenübergreifende Schuld - 
aber sie ist lösbar




Innerhalb dieser Zugehörigkeiten gibt es nun solche Ideen, von denen man sich nie lossagen kann - und das sind: die leiblich-fleischlichen (dazu behört auch die Taufe, die real-leiblich die Welt des Geistes mit der der Materia verbindet), und solche, die eine Absage möglich machen, so schwer das auch oft sein mag (gerade eben, weil sie sich bereits eine fleischliche, materiale Struktur gebildet haben). Darin liegt übrigens der häufig zu beobachtende "schreckliche" Ernst, mit dem etwa Religionsgemeinschaften (wie der Islam) einen "Abfall", ein Lossagen faktisch sanktionieren: es ist wie das versuchte Festnageln einer nur menschlichen Idee (und das ist jede Religion, außer dem katholischen Christentum als Reinform der Idee des Menschseins selbst) in das Fleisch, eine Imitation des Sakramentalen also.

Das Insgesamt eines Menschen bleibt uns freilich immer ein Geheimnis, nur dem Sein gegenüber offen - Gott gegenüber. Das ist besonders dort interessant, wo jemand eben einer solchen Idee (als ihn definierende Katergorie) nicht mehr zugehören möchte. Was nur bei gewissen kulturellen Hervorbringnissen möglich, aber oft als psychologisch schwer zu lösende Frage auftritt. (Jeder kennt es, wenn man sich von gewissen Dingen der Vergangenheit lossagt - wie lange sie nachwirken, und wie leicht sie auch wieder aufleben.)

Seine Psyche ist eben jenes faktische Geflecht, in dem sich in ihm alle diese Ebenen - "oben und unten" - begegnen. Mit allen Spannungen, Ungelöstheiten, aber auch Erlöstheiten. Es ist und bleibt für uns Menschen prinzipiell unerfaßbar, was sich hier alles in einem Menschen tatsächlich abspielt. Wir können bestenfalls einzelne Faktoren fassen, häufig unter der Gefahr, das Ganze durch Teilneurotisierung (-lähmung) erst recht zu verfehlen, das psychische Leben also noch komplexer, komplizierter zu machen. 

In jedem Fall sind es die geistigen Kategorien und deren Ordnungen und Rang, die definieren, was jemand "ist". Zuerst Ideen (wieder und wieder: Vorsicht vor diesem Begriff, Vorsicht vor seinen heutigen Konnotationen!) des Absoluten, und dann, abgestuft, menschlich-kulturelle Ideen, die in ihrer Wirkweise aber nicht unterschieden sind: Sie wirken als Handlungen ins Fleischliche (das natürlich dann wieder zurückwirkt, sei es in der Trägheit alles Materiellen, sei es in der Erkenntnis), und sie sind das Erste, das den Menschen, sein Sein, definiert. 

Das beginnt schon beim Menschsein selbst, und hört auf (so es überhaupt je aufhört) bei der Mitgliedschaft beim Taubenzüchterverband von Runzel an der Pöller, nur in Umfang, Herkunft und Inhalt der Idee (die im menschlich-kulturellen Geflecht auch zeitliche Dauer haben kann, was aber nicht umfassend oder automatisch die Folgen betrifft) unterschieden. Diese Kategorialität, die auch die Kategorialität des jeweiligen Denkens wie die eigentliche, erste Matrix der Psyche ist, wird ihn bestimmen, solange er ist, solange er Mensch ist. Und Mensch sein heißt: konkretisiert sein, fleischlich, leiblich, als Kulturwesen. Denn menschliche Welt gibt es nur als Kultur.

Eine Diskussion über Zugehörigkeiten ist deshalb primär eine Frage eines geistigen Ordnungsbildes und seiner Ebenen. Nur von dorther ist auch möglich darüber zu entscheiden, ob es zum Beispiel Kategorien gibt, von denen man sich lossagen kann. Aber wer sich als Muslim bezeichnet, oder als Türke, hat sich nicht davon losgesagt. Er ist untrennbar bzw. ungetrennt Teil einer Schicksalsgemeinschaft. Und wenn das unklar ist - ein gutes Beispiel sind die Protestanten, die eine sie alle umfassende, reale Kirche ablehnen, sondern eine solche auf jeden einzelnen, und zwar situativ-volatil, zurückwerfen - so nicht, weil es solche Zubehörigkeit nicht gibt, sondern weil sie nicht klar genug ist. Weil, wie so oft, die geistigen Kategorien, in denen man lebt und ist, andere sind als jene, die man bewußt denkt oder für zutreffend hält. 

Was wirklich mit einem Menschen, und genauso mit einem Ding, einem Tier, einer Pflanze, einem Stück Land usw. usf., los ist, erfährt man deshalb in erster Linie, indem man ihre geistigen Kategorien wahrzunehmen versucht. Das Faktische erzählt dann nur die Auseinandersetzung des wahrgenommenen Objekts mit dieser geistigen Kategorie.

Das heißt auch, daß diese kategoriale Zugehörigkeit weit mehr über einen Menschen erzählt, als seine momentane subjektive Befindlichkeit. Man ist zuerst Christ oder Muslim (bei den anderen sogenannten Weltrelgionen ist eine Zuteilung noch schwieriger, als sie es beim Islam bereits ist, der wenigstens in großen Umrissen so etwas wie eine Ideenstruktur hat; was im Katholizismus ja völlig anders ist: dort GIBT es diese eine Idee stellvertretend und real in einer Person) genau so, wie man zuerst Deutscher, Türke oder Albaner ist. Und DANN ERST ist man Hans Breitlinger, Ibrahim Ibn'alak, und Doktor Funzelhuber mit Gattin.

Alles trägt deshalb auch die Spuren der Geschichte an sich, denn aus ihr wurde es - alles HAT eine Geschichte, niemand beginnt bei Null. Aber wir haben die Aufgabe, uns je neu an dieser Ideenwelt zu orientieren. 

Das betrifft die Schuld "der" Deutschen und "der" Türken genauso, wie Siege und Erfolge und Ansprüche. Jeder Mensch steht deshalb unter dem Gesetz der Strafe und Sühne, die aus den Zugehörigkeiten (und dabei ist es zuerst einmal völlig gleichgültig, ob man das "bewußt-freiwillig" gemacht hat oder nicht) genauso, wie unter dem der Ernte von Früchten. Sühne und Strafe sind Elemente der Rückeinglieferung in die Ordnung des Seins (auf der Basis der Vergebung hier, der Reue und des Wiedereingliederungswillens dort), Fruchtnießung Folge einer erfolgten bzw. bestehenden Integration in eine Idee.

Es gibt deshalb zweifellos ein Kollektivschicksal, weil jede Idee ein solches Kollektiv ist. Eines der Menschheit genau so, wie eines der Badener, Franzosen oder Gesangsvereine. Und weil alles irdische Geschehen die Auseinandersetzung und Beziehung von Ideen ist, die in einer hochkomplexen, oft auch situativ bedingten Hierarchie stehen. 

Wenn also etwa eine Generation bestimmte Schuld (aus kollektiver Haltung**) auf sich geladen hat, diese Schuld aber nie aufgearbeitet hat (was ganz anders aussehen kann als Bedienen simpler Täter-Opfer-Schemata), wenn Opfer zu tragen waren, diese aber eigentlich noch gar nie aufgeopfert wurden, so kann Schjuld über Generationen, ja über Jahrhunderte und gar Jahrtausende weiterwirken, und sich sogar zunehmend komplizieren, eine Aufarbeitung und Überwindung (durch Annahme wie Transzendierung ins Geistige, um Sinn und damit Handlungskriterien für eines Gegenwart zu akzeptieren) also immer schwieriger machen.

Zu sagen, daß man also mit dem Sünden der Vergangenheit nichts zu tun habe, ist nicht nur dumm, weil es die Ahnungslosigkeit über das Menschsein offenlegt. Es ist das Leugnen der Geistigkeit des Menschen überhaupt, der auf die Stufe des Tieres, zumindest die des noch unentwickelten, unreifen (seiner selbst - im Geist! - nicht mächtigen) Kindes (neben der des Traumes eines Schlafenden) heruntergedrückt wird.





**Das kann nicht nur komplex sein, sondern auch ganz anders, als darzustellen versucht: Diejenigen, die eine wirkliche Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus verweigern oder verhindern, sind nicht "die Deutschen", "die Täter", sondern bestimmte Gruppierungen, wie die "Antifaschisten", aber auch jüdische Kreise. Durch Etablierung wie Pflege von - gewissen Absichten oder Teilinteressen nützlichen - Denkneurosen. Als psychologische Blockade des Zugangs zu den wirklichen (also: wirkenden) geistigen Kategorien. Das ist der wahre Grund, warum etwa Deutschland aus einer bestimmten "Kriegsschuldneurose" nicht freikommt: es fehlen der Diskussion die wahren, wirklichen geistigen Kategorien.




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