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Freitag, 31. Juli 2015

Wie ganz Europa einer Fata Morgana folgte (1)

Es ist zum Lachen, wenn es nicht zum weinen wäre. Jahrelang wurde uns eingetrichtert, daß Finnland das Musterland der zeitgemäßen Schule wäre. Mühelos erklomm das Land nämlich im Jahre 2000 die Spitze im Pisa-Test. Ab da war der Mythos in Beton gegossen: Finnland führt uns vor, wie es zu gehen hat. Jeder der sich gegen die Reformpädagogik stellt, stellt sich dem Fortschritt in den Weg. Denn wie da unterrichtet werde, hieß es! Man habe es doch mit eigenen Augen gesehen, und Pisa bestätigt es: die Quadratur des Kreises ist möglich.

Ganz Europa sehnte sich alsbald nach finnischen Lehreren, nach finnischen Schulverhältnissen, wo Schüler an autonomen Schulen sich ihr Lernen völlig frei und selbständig im Kollektiv organisierten, die Lehrer zu bloßen Verstehern und Anleitern mutiert waren, und alles in brüderlichster, liebevollster, individualistischester Atmosphäre - samt den großartigsten Leistungsergebnissen, die Gott für den Menschen ausgedacht hat. Schüler lernten von anderen Schülern, und das alles fast ohne Hausarbeiten, in einer Gesamtschule bis zur 9. Schulstufe.

Auch hierzulande berief man sich natürlich auf Finnland, und verhöhnte alle Kritiker: Die Gesamtschule sei in Finnland erprobt, sie einzuführen ist also nichts als einem bewährten Weg zu folgen.

Seit 2000 pilgerten Experten und Politiker aus ganz Europa ins Paradies des Egalitarismus, des Endes des Frontalunterrichts, der Begabtenförderung und des Eingehens aufs Individuum - Finnland, Finnland, hoch preis ich Dich, sang die Linke (und in der Bildungspolitik gibt es ja nur noch solche, das System hat sich längst selbst reproduziert) abends, bei einem Glaserl Toskana-Rosé im lauen Sommerlüfterl, und alle fühlten sich bestätigt, auch unseren Schulen, die dem Glück der Menschheit so im Wege standen, den Todesstoß zu versetzen. Denn das ist es. So wie in Finnland, so muß es auch bei uns werden.

Und natürlich fühlten sich auch hierzulande viele eher traditionell Denkende irritiert. Der Widerstand gegen die Gesamtschule auch in Nicht-Linken-Kreisen schwand wie Butter in der Julisonne. Nur wenige blieben bei dem, was sie über Pädagogik und Lernen in seinem Zusammenhang mit Identität und Autorität wußten, die uralten Erkenntnisse über den Menschen und das Wesen seiner Erkenntnis schienen in Finnland seltsam widersprüchliche Wege zu gehen. Bei DEM Erfolg?

Die Jubel-Stimmen sind mittlerweile aber schon recht leise geworden. Weil in Finnland etwas Seltsames passiert ist.

Nein, damit ist nicht der Zusammenbruch von Nokia gemeint, das noch vor zehn Jahren den weltweiten Handymarkt beherrschte, und plötzlich mangels Innovationen weg von der Bildfläche war. Dann stieg Microsoft ein, auch nicht gerade Führer in Innovationen, und erstickt mittlerweile fast an dem Bissen. Man munkelt bereits von Aufgabe der Hardwaresektion überhaupt. Oder hängt das alles irgendwie mit dem finnischen Schulsystem zusammen? Klammern sich in beiden Fällen nicht Ertrinkende an Ertrinkende, um gerettet zu werden?

Denn mit einem Schlag fällt Finnland in den letzten Jahren in den PISA-Reihungen zurück, und zwar dramatisch. Plötzlich brechen die Schulleistungen ein. Und Umfragen ergeben, daß nirgendwo in der Welt Kinder so ungern in die Schule gehen, wie in Finnland. Zwischen 2003 und 2012 sank die PISA-Leistung des Landes um ganze 25 Punkte. Das ist der Lernerfolg eines ganzen Schuljahres. Also doch die Einwanderer, wie andere bereits wußten?

Was ist da passiert?

Nun, den Politikern, die in Massen nach Suomi gekarrt wurden, und dort ausgewählte Spezialschulen besuchten, die im Sonderstatus von staatlicher Lenkung freigestellt waren, war das natürlich nicht aufgefallen. Man mag Schulsysteme verändern, umbrechen, radikal umstellen - aber verstehen muß man ja doch nichts davon?! Der heutige Mensch ist doch schon prinzipiell darauf eingestellt, daß er von einem Moment auf den anderen ganz Neues in der Welt entdecken kann. Die der Vernunft widerspricht, aber was macht das schon? Die Empirie ist die Königin! Denken? Das war einmal. Wir bewußtseiteln ohne Regeln, dafür innovativ. Oder doch nicht?

Diese Frage - Was ist da in Finnland passiert! Woher kommt dieser Leistungseinbruch im Schulsystem? - stellten sich schließlich auch Bildungsforscher wie der Schwede Gabriel Heller Sahlgren, Research Director am Centre for the Study of Market Reform of Education (CMRE), und Affiliated research fellow beim Research Institute of Industrial Economics in Stockholm. 

Nicht ohne nationales Eigeninteresse. Denn Schweden hat ja wie so viele andere den vorgeblich so erfolgreichen Weg der Finnen nachgeahmt. Und schon erste negative Folgen zu verspüren. Etwa mit der Schulautonomie. Denn plötzlich müssen Schulen um Schüler werben, weil die Guten sich nur die besten Schulen aussuchen, was zu der schrecklichen Situtation geführt hat, daß es zwei Pole gibt - sehr gute Schulen, und sehr schlechte - aber keinen Mittelbau. Gleichzeitig wurden die Leistungen aber nicht besser, weil die Schulen nun damit zu werben beganne, daß auf ihrer Schule besonders viele Schüler mit guten Noten wären - was einer allmählichen Senkung des Leistungsniveaus zu verdanken war.



Morgen Teil 2) Eine Bombe schlug ein - 
Wer sich mit fremden Federn schmücken will, verleumdet einmal die Vergangenheit.  
Die wird erst zum Verursacher, wenn man versagt






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