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Mittwoch, 1. Juli 2015

Wenn die Ehe nicht mehr selbstverständlich ist (1)

Der Mensch ist seinem Wesen nach ehelich. Aber nicht nur das: Die Ehe als schicksalshafte, unauflösliche Zuschreibung von Mann und Frau - im übertragenen Sinn: von Wort zu Fleisch, von forma zu materia - ist das Grundkonstitutivum der Welt überhaupt. Erst in dieser "Einheit in Zweien" wird der jeweilige Teil zu sich selbst - und damit wirklich. 

Das zeigt schon das Denken, das Begreifen. Als Begrifflichkeit, ohne die es diese unsere, die humane Welt - und ein andere gibt es nicht, jede Spekulation darüber ist müßig und in sich unmöglich, weil wir aus der Anthropomorphie nie aussteigen können - ja gar nicht gäbe. Aber in jedem Begriff steckt nicht nur das Positive, das "was ein Ding an sich ist", sondern auch das, was es nicht ist. Es wird automatisch mitgedacht, auch wenn es unausgesprochen bleibt. Es ist sogar so selbstverständlich, daß es sich unserem Erkennen nur ganz schwer darbietet, also ganz schwer verstehbar wird. (Denn es ist das Selbstverständlichste, das am schwersten begreifbar wird. Das Auge sieht sich nicht selbst, nennt es Viktor Frankl einmal, es sei denn, es ist krank.)

Aber mehr als das: Ohne ein Gesamtweltbild ist ein Ding nicht verstehbar, nicht erkennbar. Es wird alles also immer in einem Gesamtzusammenhang gesehen - der Mensch geht in seinen Sinnen zwar vom Einzelnen aus, und kehrt auch dorthin wieder zurück, aber er holt es in ein Insgesamt, und erst aus diesem erschließt es sich im Sinn. Umgekehrt geht er auf das Erkennen des Einzelnen ebenfalls nur aus dem Insgesamt heraus. Kein Begriff also, der "für sich, isoliert" bestehen könnte. Jeder Begriff, und damit das allen Begriffen Anschauliche, das Angeschaute also, steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit einem Ganzen.

Nicht anders ist es bei Mann und Frau. Sie sind nie (nur) für sich begreifbar, sie sind es erst, wenn sie in ihrem Insgesamt - als Mensch - gesehen werden. Dieses Menschsein aber ("als Mann und Frau schuf er den Menschen") ist eben nur in dieser Zweiteilung einerseits gegeben, anderseits aber nur in der Zueinanderfügung von Mann und Frau zu vollenden.

Helmuth Plessner zeigt in seiner Untersuchung "Der Stufenbau des Organischen" nunmehr, daß das Wesen eines lebendigen Dings in einer pulsierenden Bewegung beschreibbar wird. In dieser (es ist hier natürlich sehr vereinfacht, was Plessner in einem umfassenden Argumentationsgang darlegt) Polarität holt sich einerseits ein Lebendiges (das in einem inneren, raumlosen Kern steht, der zugleich in der Exzentrik - also: im Außenwerden - zwischen Innen und Außen rhythmisch pendelt) eine "feste Idee", um sie anderseits im Zurückpendeln in den Lebensgrund selbst hinein zu transzendieren, sie damit im Zurückpendeln wieder neu zu verlebendigen, zu wirklichen. Dieses Sinn- und Wesensbild aber ist immer ein Bezugsfeld, das jedes lebende Ding (bzw. überhaupt jedes Ding, nur Unbelebtes kann nicht aus sich sein) überhaupt erst zu einem "Ding" macht.

Etwas unsachgemäß, aber in der Hoffnung zu illustrieren, heißt das: Nur aus dieser Hineinordnung in Beziehungen sind lebendige Dinge überhaupt. Sie haben ihr Sein daraus, im Hineinsterben ihrer lebendigen Substanz einerseits, im Heraussteigen in die Gestaltenwelt anderseits. Daraus entwickeln sie sich immer in spiraliger Form nach oben, einer Vervollkommnung zu, die freilich nie abgeschlossen sein kann, weil sich die Bezugsgrößen ja gleichfalls mitändern, die gegenüberstehende Welt also immer nur dann lebendig ist, wenn sie je neu ist. Und doch - als ein Bezugsfeld in einer riesigen, unendlichen Ordnung geordnet ist, ohne die es nicht bestehen könnte, weil gar nicht wirklich wäre. Diese Bezugsfelder sind also der eigentliche Ort des gewirklichten Lebens, des Lebens überhaupt.

(Noch einmal: Der VdZ versucht der Illustration willen zu vereinfachen; den philosophisch hoch präzisen Gedankengang muß der Leser dieser Zeilen in Plessners Buch nachlesen - er ist überaus erhellend, und für jede nähere Auseinandersetzung auch notwendig! hier soll nur ein Bild nachgemalt werden, um einen Eindruck zu geben, aber nicht derselbe Fehler gemacht werden, wie er so häufig ist: Daß "fromme" oder "gefällige", phantasiereiche Konkretisierungen und Materialisierungen rein geistiger Vorgänge und Sachverhalte stattfinden. Wozu der Mensch ja sehr neigt.)

Darauf Bezug genommen, ist auch über dem Menschsein ein solches "Feld" zu denken. Das Mann und Frau je für sich erst dann zu sich selbst macht, wenn sie sich in dieses Feld hineintranszendieren. Der Philosoph Jörg Splett hat es unlängst so ausgedrückt: Das Selbstsein, die eigene Identität für Mann und Frau sind etwas, das sie jeweils durch den anderen bzw. vom anderen erhalten. Es ist nicht aus sich selber heraus mach- oder konstruierbar. Ihr eigenes Sein zu wirklichen, erhalten die Geschlechter jeweils also durch das Hin-sein auf das andere Geschlecht.

Oder, mit Martin Buber formuliert: Das Ich erwächst aus dem Du.

Aber dieses Selbstsein ist ontisch nicht ein relatives Ergebnis, das beliebig ausfallen könnte. Sondern es braucht eben ein "fixes" Zueinander als Wesensbild. (Und noch einmal: Vorsicht vor der Erstarrung in Bildern!) Das heißt, daß der Mann (der zum Mann erst werden muß) und die Frau (die zur Frau erst werden muß, als Prozeß, der bei beiden nie aufhört, erst im Tod) jeweils ein "festes" Zueinander haben. Das sich in der Leiblichkeit ausdrückt, als Hinweis, sozusagen. Und das heißt, daß Mann und Frau zueinander in einer Heiligen Ordnung (das heißt ja: Hierarchie) stehen. Die nicht stupid mit "Unterwerfungsordnung" verstehbar wird, sondern einfach einen nur von der jeweiligen Seite zu erbringenden ontischen Bezug darstellt. Und darin ist das Wort - des Mannes, die Form, der Materie zu- und ontisch VORgeordnet. (Gott schuf ERST den Mann.) 

Das Zueinander von Mann und Frau ist also nicht von jedem Paar separat und im Ergebnis beliebig auszuschnapsen - es ist jene Wesensvorgabe, aus der heraus und in den hinein erst der jeweilige Teil des Ganzen (Mann UND Frau sind erst Mensch) überhaupt lebt. Wie das konkret aussieht, hat immer eine historische Form, kann also nicht simpel "an Vorbildern aus der Vergangenheit" übernommen werden, auch wenn es sich dort in seinen Wesenseigenschaften mehr oder weniger gut zeigt. 

Daß sich das auch in der Neuschöpfung durch die Erlösung (in die Kirche, die societas perfecta hinein) nicht anders darstellt, belegt das Beispiel der Gottesmutter Maria, in ihrem Verhältnis zum Sohn, dem Mann Jesus Christus. Die Erlösung hat also NICHT die Auflösung der Wesensbilder gebracht, sondern im Gegenteil: Deren Erfüllung, als in der Gnade überhöhte Vervollkommnung der in jedem Geschlecht angelegten Eigentümlichkeit des Wesens. Hier das Empfangende - dort das zur Welthaftigkeit hin Spendende. Form - Materia. Mann - Frau.

Daraus ergibt sich, daß sich Mann und Frau in einer beide umspannenden, hierarchisch geordneten Formeinheit zusammenfinden müssen, um jeweils sie selbst zu werden. Und das ist ... die Ehe. Die Ehe ist damit das Konstitutivum des Menschseins! 

Sie ist also nicht, wie so oft getan wird, eine Art "Zusatzleistung", ohne die es aber auch ginge.*  Sie ist auch nicht etwas, das dem normalen Zusammenleben auf gut Glück halt auch einmal hinzugefügt wird. Ohne die Ehe in allen ihren Wesenseigentümlichkeiten (Unauflöslichkeit; Zuschreibung auf den Partner in der Hingabe, die eine Selbst-Weggabe des Mediums "Leib" ist; damit Offenheit für den Einbruch des Schöpferischen im Nachwuchs; etc. etc.) ist ein Menschwerden (der Teile) eines Paares, das sich sonst alle Eigentümlichkeiten des Ehelebens (Sexualität, gemeinsamer Lebensaufbau, Kinder, etc.) gar nicht möglich. 

WEIL dies eben eine anthropologische Kategorie ist, ist als Ehe natürlich auch die Naturehe mögliche Form, ihr fehlt freilich die Dimension der Übernatur, die nur in Taufe wieder an das Irdische eingeschlossen wird. Eine Naturehe wird also auch die entsprechend erkennbaren Mängel haben, die diese fehlende reale, ja fleischliche Dimension eben hat. Das drückt sich auch ganz konkret psychologisch (weil ontologisch) bzw. in der Art der Weltwirklichung aus. Aber das soll nur ergänzend (weil belegend) hinweisen.



Morgen Teil 2) Im Grunde ist damit alles erklärt -
Und: Warum die Ehe die Ehe macht




*Selbst der Zölibat (oder, wenn auch anders in der Poligkeit: die Ordensfrau) ist nur darin und daraus verstehbar, wenn man ihn als Verehelichung mit der Kirche (als weiblicher Leib einer Gemeinschaft der Gläubigen) betrachtet. Der zölibatäre Priester ist also nicht nur nicht "nicht verheiratet", sondern er ist es auch nicht "nicht mit einer Frau" - er ist es sehr wohl mit einem Weib, nur ist dieses Weib die Kirche.





*010715*