Es besteht ein eigentümlich wirkender Widerspruch zwischen den in der heutigen Seele bestehenden Anspruch auf "Objektivität" und der äußerst weit verbreiteten Sichtweise, daß "alles subjektiv" (und damit: relativ) sei. Doch gibt es diesen Widerspruch nur scheinbar. Denn als Widerspruch zeugt er nur davon, daß man das Wesen der Wahrheit nicht kennt.
Das immer eines des persönlichen Verhältnisses ist. Insofern ist immer jede menschliche Äußerung "subjektiv". Aber das heißt nicht, daß sie damit "nicht absolut gültig" ist, also in gewisser Weise "alles relativ" ist. Wobei - es ist eben doch alles "relativ". Nämlich das Ergebnis einer Beziehung, einer relatio.
Aus dieser Tatsache findet der Rationalist freilich keinen Ausweg. Die "Objektivität" des Rationalismus und seines Relativismus, die des Liberalismus, der darauf fußt, ist ja ebenfalls relativ, und nur scheinbar "beziehungslos". Indem eine bestimmte subjektive (!) Sichtweise der Welt und Wirklichkeit als "objektiv" gesehen wird. In Wahrheit ist alles, worauf sich diese Objektivität bezieht, selbst wiederum Ergebnis zahlloser individueller Vorentscheidungen, häufig die Vorentscheidung zu einer Weltsicht der Zähl- und Meßbarkeit, das, was als "wissenschaftlich" so mißdeutet wird.
Aus diesem Dilemma gibt es offenbar keinen Ausweg. Und das ist kein Wunder. Denn die Wahrheit ist ihrem Wesen nach ... personal. Sie ist keine "rationale Datensammlung". Es gibt keine Daten, die als Daten zu Fakten gruppierbar wären (und Daten an sich sind aussagelos, völlig leer, ja als Daten selbst wiederum nur unter zahllosen subjektiven Vorentscheidungen in ihrer Relevanz erkennbar) ohne Vorentscheidungen hinsichtlich "Fakten" und die sie belegenden Daten.
Ohne deshalb an die Personalität der Wahrheit zu glauben, ohne diese erkannt zu haben, ist überhaupt kein Erkennen der Welt möglich. Und wer noch nie erfahren hat, wie ein und dieselbe "Tatsache" unter verschiedenen Stimmungen oder Einflüssen plötzlich etwas ganz anderes aussagt, als man gestern noch meinte, ist ob seines Mangels in der Reflexion nur zu bedauern.
Erst, wenn die Wahrheit als Person erkannt wird, erst wenn klar ist, daß es nichts außerhalb von Wahrheit gibt - denn sonst wäre jedes Gespräch, ja jedes Denken völlig sinnlos, niemand wüßte, wovon überhaupt die Rede ist, wäre nicht alles in Wahrheit bereits EINGEBETTET - und erst, wenn klar wird, daß es auf das Verhältnis zur Wahrheit ankommt, auf eine personale Offenheit für Wirklichkeit, und das heißt: eine heroische Haltung was immer kommt anzunehmen, erst dann kann begriffen werden, daß es sehr wohl eine Wahrheit gibt. Aber daß diese Wahrheit immer das Gesicht einer personalen Begegnung trägt.
Und erst wenn begriffen wird, daß diese Wahrheit als Person alle Welt in sich trägt, weil alle wirklichkeit, weil alles, was überhaupt jene Dynamis sein kann, das alles was immer es gibt in seinem (unsichtbaren) Grund trägt, hervortreibt, ausmacht, erst wenn der Einzelne begreift daß er in allem willkürlichen Wollen zu ersterben hat, dann läßt sich die Lösung finden.
Daß Wahrheit also zwar immer persönliches Gesicht trägt, aber daß es eine Personalität gibt, die die umfassende - und damit objektive - Wahrheit über die Welt in sich trägt. Wieder fällt also hier das Wort von der Sittlichkeit (wie so oft eben ...). Nur der Sittliche vermag die Wahrheit zu erfasse, aufzunahmen, sich nach ihr und damit IN IHR zu bewegen. Sie liegt außerhalb alles willkürlichen Wollens, und ist doch das einzig legitime, "gesollte" Zielobjekt allen sittlichen Wollens. Und sie übertrifft das "Richtigsein" noch unendlich, auch wenn die Wahrheit nicht außerhalb des "Richtigen" (es ist aber nur eine ihrer Eigenschaften, denn das Richtige selbst ergibt noch lange keine Wahrheit) zu finden sein kann.
Und damit wird sie formulierbar! Wenn auch oft nur in einer theologia negativa, als in dem, was ganz sicher NICHT wahr ist. Damit wird sie (vorsichtig) sogar artikulierbar. Damit wird sie (behutsam) festmachbar, und sei es im Ausschließungsverfahren. In allen Offenheiten weil ahndungsvollen Unvollkommenheiten, die der Mensch in sich weiß. Der sich doch zur Freiheit berufen weiß. Jener Freiheit, in der er der Wahrheit begegnen kann, uns AUS DER er die Wahrheit in sich zu tragen beginnen kann. Weil er in der Haltung der Wahrheit selbst genügt, die sich in dem Moment entzündet, in dem er wahrhaftig sein will, als Haltung, um so zur Erkenntnis der Wahrheit im Begegnenden zu tragen.
Deshalb kann, ja muß man sagen, daß jeder Mensch der Wahrheit begegnet. Das ist nie eine Frage gewesen. Die Frage ist nur, ob er aus subjektiver Disponiertheit frei genug ist, um diese Wahrheit in sich "enthusiastisch" (="voll von Gott") frei werden zu lassen, um so umfassend genug zu sein, um das Begegnende wahrhaftig zu erkennen.
Vielleicht wird so klarer, was es für die Menschheit heißt und hieß, daß Gott selbst Mensch wurde: Als Gestalt der Wahrheit, bei deren Anblick selbst bereits diese Wahrheit in einem Gestalt annimmt, und alles wahrhaftige Erkennen der Welt - als das umfassend "Objektive", also dem Objekt (immer in relatio!) gemäße - damit ermöglicht. Denn im Anblick geht das angeblickte Objekt (abhängig von der Haltung, in der ich es anblicke!) in den Betrachter (geistig, in der inneren Nachbildung, im Gehorsam dem Betrachteten gegenüber also!) über. Und so wird Wahrheit IN der Wahrheit (nur) erkennbar. Denn dann ist sie zwar "subjektiv", aber in jener Subjektivität, die (weil Gott) die umfassende Wahrheit IST.
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