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Montag, 7. Dezember 2015

Von der Entgeldung des Lebens

Man hat oft die Frage gestellt, wie es für die meisten Ungarn möglich ist, zu überleben. Nach westlichen Maßstäben nämlich "kann sich alles nicht ausgehen". Die Einkommen stehen in keinem Verhältnis zu Leistungen, die der Westen als "Konsum" für unabdingbar hält.

Die Antwort ist vielleicth viel einfacher, als man meint, und mit "Schwarzarbeit" nicht wirklich getroffen. Die Schattenwirtschaft ist im Westen nämlich auch nicht kleiner. Vielmehr ist es das, was ein Weg für jeden ist, sein Leben zumindest in Teilen von der Geldwirtschaft zu entkoppeln. Dazu braucht es ganz einfach Eigenmöglichkeiten. Die in der subjektiven Arbeits- und Problemlösungskraft am klarsten erkennbar sind. Wenn es sich noch auf Haus- und Grundeigentum erstreckt - umso besser. Und zwar geht es hier nicht um "marktwerte", sondern schlicht und ergreifend um die Dinge selbst. Denn gewiß, ein Haus zu erhalten kostet - im Westen - sehr viel Geld. Aber was, wenn man diese Erhaltung durch Eigenleistung erbringen kann? Dann kostet sie zwar nicht weniger subjektive "Energie", also Leistung, aber sie braucht kein Geld.

Und so leben auch viele viele Ungarn. Man staunt, in welchem Ausmaß jeder jemanden kennt, der ihm Produkte, die er in Eigenleistung erstellt hat, zu liefern vermag. Man staunt, wie viel die Ungarn selbst produzieren. Und hier vor allem die Haushalte. In den Supermärkten nehmen deshalb, gerade im Herbst immer wieder erstaunlich zu sehen, Einlagerungshilfsmittel große Angebotsflächen ein. Man erwartet nicht für jeden und in allen Fällen ein Altersheim, die Familien haben noch mehr Kraft und Willen in der Selbsterledigung von Aufgaben. Man braucht einander, und dieses Brauchen ist es, was auch den Menschen sagt, wozu sie da sind. Sie werden gebraucht. Da nimmt es auch nicht wunder, wenn sich in so einem Volk mehr Selbstbewußtsein, mehr "Nationalbewußtsein" bildet. Denn man erlebt das Land als Raum, in dem man gebraucht wird, und vor allem auch: das man selber braucht.

Eigenarbeit, Eigenleistung. Das ist es auch, was Arbeitslose sehr rasch - und je nach Fall mehr oder weniger - von Geldarbeit unabhängiger machen kann. Es sei dem Leser überlassen, diese Geschichte fortzuspinnen. Sie wird nämlich die Zukunft bestimmen. Nicht, weil phantastischen Theorien des nahenden Totalzusammenbruchs gefolgt wird. Solche Thesen sind zu nichts nütze, und noch häufiger Ausweis weitgehender Wirklichkeitsfremde. Weil deren Vertretern allzu deutlich das Wisssen darüber fehlt, wie Dinge werden und entstehen. Solche Thesen sind deshalb sehr häufig Ausweis einer bereits weit ins Einzelleben eingreifenden, ja dieses Einzelleben ersetzenden, unsichtbar gemachten Staatsmaschinerie, der gottähnliche Macht zugeschrieben wird. Sodaß das Spektakel der Verschwörungstheorien den Geschichten um die Götterränke im Homerischen Kosmos äußerst ähnlich sind.
 
Deshalb auch klar und deutlich: Nein, der VdZ ist kein Abschwörer des Geldes, er hält es NICTH für bloßes Papier, und schon gar nicht ist der Vertreter der grotesk unsinnigen These, daß nur Gold Geld sei, und was es an Grillen mehr gibt, die herumschwirren. Aber es braucht die Distanz dazu, es braucht die Besinnung auf seine eigentliche Funktion. Und deren Pervertierung ist das Problem. Denn Geld wurde und wird nicht mehr dazu benützt, um Wechselseitigkeiten zu verstärken - das vielleicht poetischeste Moment sogar an Schulden - sondern um sich aus Wechselseitigkeiten ZU LÖSEN.

Das also ist nach den Beobachtungen des VdZ auch der wahre Grund, warum so viele Ungarn selbst in dieser - nach westlichen Begriffen - "unmöglichen" Situation überleben, ja gar nicht so schlecht leben. Ihr Alltag ist weniger vom Geld abhängig, das man ja nur braucht, um Leistung zu kaufen, die man vielleicht aber sogar selber oder im sozialen Verbund der Wechselseitigkeit erbringen könnte. Es ist die hier schon oft zitierte "Bückwirtschaft", als unsichtbares Parallelsystem. Denn solche Produkte und Leistungen erhält nur, wer "wen kennt". Und man entwickelt mit der Zeit Verständnis für die im Westen kaum mehr bekannte Neigung zu "Hamsterkäufen", sobald ein Produkt einmal wirklich günstig angeboten wird.

Kaum ein Haus (vor allem wenn sie älter sind), dessen Besitzer nicht Weinstöcke oder Birnbäume im Garten zieht, oder Pfirsichbäume hegt. Zahlreiche Junge, die oft in Gemeinschaften Gärten bebauen oder Wein herstellen. (Sogar hier im Haus, in dem der VdZ wohnt.) Viele Bauern, oft Nebenerwerbsbauern, die nur für den Eigenbedarf sowie den einer ausgewählten Kundenschar Schweine hält oder Hasen züchtet. Lastwagenchaffeure, die ihre Fahrpausen für ihre 3000 Quadratmeter großen Obstgärten nützen oder Tierherden betreuen, Lehrer mit im Westvergleich lächerlich kleiner Pension, in deren Töpfen es am Wochenende unüberbietbar duftet, weil sie aus geheimer Quelle ein riesiges Stück Hirsch organisiert haben, deren Tochter sie Privatunterricht in einer Fremdsprache geben. 

Es geht nicht ums Geld, schon gar nicht alleine ums Geld, will der Mensch gut leben. Das soll damit gesagt werden. Weshalb ein Staat außerordentlich verwerflich ist, der zu verhindern trachtet, diese letzten Refugien einer "geldlosen Lebensmöglichkeit" zu erhalten oder zu bilden. Sie sind in Wahrheit letzte, aber dafür umso festere Reserve eines Volkes, in allen Wechselfällen der Geschichte überleben, ja weiterhin leben zu können.

Fast die gesamten Sozialstaatsausgaben sind nämlich nur diesem Punkt zuzuschreiben: Der Aufhebung der sozialen Abhängigkeit, der Umlegung von Eigenarbeit in ein Produkt, das es zu kaufen gibt. Und eiderdautz - keine Volkswirtschaft kann sich so einen Sozialstaat überhaupt leisten! Er muß zwangsläufig in ein Kreditwesen übergehen, das den berühmten Kettenbriefen aufs Haar gleicht. Das so lange funktioniert, bis ausreichend Käufer gefunden sind, die selbst keine weiteren Käufer mehr finden. Sie zahlen dann die Zeche für alle anderen, die in der Pyramide über ihnen stehen.




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