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Samstag, 19. Dezember 2015

Vom Ende der Politik

Die Kunst der Politik besteht darin, Verhältnisse nicht so festfahren zu lassen, daß schließlich nur noch eine Möglichkeit offen steht, an die Stelle der Entscheidung zwischen Möglichkeiten also der unausweichliche Zwang getreten ist. Wenn das "Auchanderskönnen" dem "Nichtanderskönnen" zum Opfer gefallen ist, dann ist Politik am Ende.

[...] Politik legitimiert sich zusehends mit Ausweglosigkeit, also damit, daß sie keine andere Wahl gehabt habe, ohne sich der damit ausgesprochenen Bankrotterklärung und ihres Versagens als Politik bewußt zu sein.

[Wenn aber alles an einem Abgrund steht, dann hilft nur eines: Ein paar Schritte zurückzugehen, steht man in einer Sackgasse hilft nur: zum Ausgangspunkt zurückgehen! Doch ist heute ein strenges Verdikt über das "Re" verhängt, jedes Zurück steht unter strengstem Verbot.] Früher wurden alle gesellschaftlichen Neuorientierungen mit Nomenklaturen versehen, die mit einem "Re" begannen: Renaissance, Reformation, Revolution. Heute werden gesellschaftliche Neuerungen unter den Generalnenner der Innovation subsumiert, womit unmißverständlich deutlich gemacht wird, daß man sich als Zurück gänzlich aus dem Richtungssinn geschlagen hat. 

[Solche Bewegungsunfähigkeit aufzubrechen braucht es Bewegungen, die solche sind und bleiben. Man könnte sagen, daß sich heutige Soziale Bewegungen ihre Bündnispartner auch unter den Toten zu suchen hätten, in der Rück-Sicht, in nicht zum Zuge gekommenen Möglichkeiten.]

Nur so läßt sich wieder Spielraum, Bewegungsraum - zum Beispiel durch Verlangsamung - wiedergewinnen, lassen sich Handlungsalternativen eröffnen, und nur das kann man Soziale Bewegungen nennen. Denn wer in Alternativlosigkeiten feststeckt, inmmitten einer vielleicht gar noch globalisierten Mobilmachung auf nur noch ein vorgeschriebenes Ziel, bewegt nicht mehr, sondern wird bewegt. (P. Virilio) Was bewegt wird, steht still, ist gefesselt inmitten entfesselter Kräfte. Die allgemeine Innovation und Mobilität, wie sie heute verstanden wird, erfüllt den Tatbestand der Gleichschaltung im geschichtsträchtigsten und heillosen Sinn des Wortes. Seit den Zeiten der Friedens- und Umweltbewegungen ist eine regelrecht paralysierende, lähmende Wirkung zu beobachten.

Im Widerstand aber ist die Quantität völlig bedeutungslos. Wer es auf Quantität anlegt, will der Macht Gegen-Macht bieten, und bleibt damit exakt in der bereits bestehenden Wirklichkeit, und Macht kämpft gegen Macht. Gegen Ohnmacht ist Macht hingegen machtlos, sie kann sie nicht unter ihre Spielregeln zwingen, das einzige Metier, das die Macht beherrscht. Dem Widerstand bleibt deshalb nur das Symbol, ihm bleibt nur der Abstand, die Kluft, denn er bezieht seine Kraft aus dem Legitimationsdefizit der Macht.

Dabei hat auch das frühere Mittel - die Aufdeckung, die Skandalisierung, die Veröffentlichung - längst seine Kraft verloren. Die heutige Macht ist schamlos, man kann sie nicht mehr beschämen, Schamlosigkeit ist Prinzip geworden, man zielt auf die Vergeßlichkeit, alles wurde zum Public Relations-Prozeß und funktioniert nach den Gesetzen der Werbung. Die Macht bestimmt auch die Wichtigkeit und nimmt Bewegungen damit ihre Bühne. Unterwerfen sich Bewegungen den Gesetzen der Medien, lassen sie sogar zu ihrem Existenzbeweis werden - ich bin im Fernsehen, also bin ich - bestimmen bald diese ihr Handeln, und in dem Moment, wo auch die Macht sie integriert, haben sie ihr Wesen verloren und sind unschädlich gemacht. Gestalten, bewegen kann aber nur, wer selbst Daten zu setzen vermag.


Sinngemäß und wörtlich aus Marianne Gronemeyer,
"Simple Wahrheiten und warum ihnen nicht zu trauen ist"




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