645 Klöster, 90 geistliche Kollegien, 110 Spitäler und 2374 Stiftungskirchen und -kapellen wurden ab 1525 in England enteignet und gingen in den Besitz des Königs über, der sich zum Oberhaupt der Kirche machen ließ, weil er sonst seine speziellen privaten Vorlieben bezüglich Frauen nicht umsetzen konnte.
Wer da nämlich glaubt, daß die englische Reformation religiöse Gründe hatte täuscht sich gründlich. Wie insgesamt die Frage zu stellen ist, wieweit nicht die GESAMTE Reformation im Grunde eine einzige Bereicherungsaktion weltlicher Fürsten war, der theologische Konstrukt (und natürlich die beliebten Schwachstellen, deren die Kirche leider immer genug hatte, weil sie überall aus Menschen besteht) als Rechtfertigung nachgeschoben wurden. Die in Deutschland nur deshalb nicht so deutlich in diesen Grundzügen ausfiel, weil Deutschland anders als England (und Frankreich) nicht so zentralistisch regiert, die Macht nicht so konzentriert und durch die katholischen Kaiser überhaupt anders - den Einzelfürsten in ihrer Gier hinderlicher, gewissermaßen - gelagert war.
Daraus erwuchs, das so nebenher gesagt, ein völlig neuer Begriff von Eigentum und Besitz. Wer raubt hat Angst, daß ihn der andere wieder berauben könnte. Wo Eigentum nicht in Gott gründet, damit in einer Relativität bleibt, die im Verhältnis zu ihm gründet wie auch davon abhängt, damit auch von der Gottgefälligkeit abhängt, seinem Willen somit, in der es verwendet wird - wird es zum reinen Spielball und Werkzeug menschlicher Interessen, und damit auch seiner Schwächen und Laster, der Gier, dem Geiz, der Ausbeutung, der Verschwendung. Eigentum wird dort absolut, wo nicht Gott das Absolute bleibt.
Das erfolgt mit zwingender Logik und ergibt sich aus der Verfaßtheit des Menschen als Seiendes vor dem Sein selbst, das sein Sein (alles Seiende hat damit ein relatives Sein, nur soweit es am absoluten Sein teilhat) diesem absoluten Sein verdankt.
Nur aus Gott läßt sich somit Besitz überhaupt ableiten, nur in ihm auch jene Sorgfalt in der Verwendung als Pflicht (weil man sonst des Dings verlustig gehen kann) sehen und fühlen, die in der Natur des Dings, das man besitzt, die eigentlichen Parameter seiner Verwendung sieht. Mit anderen Worten, und illustriert: Wer die Dinge und die Verfügung darüber (im Besitz, im Eigentum) als von Gott her stammend sieht, sieht das Handeln ihrer Natur gemäß als unabdingbare Pflicht, ja als religiöse Pflicht. So abstrakt das klingen mag - der Aufstieg der Kultur des Abendlandes zu jener Höhe, die sie als die größte und weltumspannendste Kultur der Weltgeschichte erkennen läßt, verdankt sich praktisch ausschließlich diesem Grundsatz. Beziehungsweise verdankt sich jede andere Kultur in diesen ihren metaphysischen Prinzipien.
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Der Eigentumsbegriff im Abendland (und damit auch in England) war immer ein relativer Begriff, der die Dinge nie von ihrer sozialen Wirkung und Einbindung loslöste. England war vor der Reformation unter Heinrich VIII. noch im 15. Jahrhundert als Land mit quasi unbegrenzter Gastfreundschaft und Freundlichkeit bekannt, in dem es keine Armen, zumindest kein Elend gab. Wo immer heute Darstellungen das Mittelalter als Elends- und Lumpenzeit darstellt, handelt es sich um Geschichtsfälschung, die irrtümlich oder willentlich geringere Quantität an Dingen mit Armut und Elend gleichsetzt. Lügen und Verleumdungen, die genau mit dem Rechtfertigungsdruck der Reformation(en) einsetzten, wo die Kirche, die über achthundert Jahre und mehr durch Arbeit Werte kumuliert hatte, die praktisch ungeteilt der Allgemeinheit zugute kamen, völlig enteignet wurde. Umso effektiver griff diese Verleumdung, als sich zentralistische Macht mit den Mitteln moderner Medien verbündete - der Buchdruck, mit dem noch dazu ein völlig neues, entpersonalisiertes und autonomistisch subjektiviertes Verhältnis zum Wort, zur Sprache einsetzte, spielte dabei seine fatale Rolle.
Wie konnte der König nun diese Besitztümer in Geld umsetzen? Denn Geld brauchte er, mehr als er hatte, und immer mehr. Denn er lebte maßlos und verschwenderisch, und er führte ständig Krieg, unter anderem mit Frankreich. Denn das Fatale an den Kirchenvermögen war, daß sie nur Vermögen waren, wenn sie auch verantwortlich - "nachhaltig" - bewirtschaftet wurden. Erst einmal wurde aus den Kirchen alles geraubt, was nicht niet- und nagelfest war. Von sakralen Gegenständen angefangen, über Buchdeckel (wobei wertvollste Kulturgüter in Massen verloren gingen), aus denen alles herausgebrochen wurde, was verwertbar war. Bares war ja nie viel vorhanden. Als nächstes wurden die Kirchenimmobilien zu Spottpreisen an die Noblen und Vornehmen verkauft, denn wenn, hatten nur sie das Geld, und wenn auch nicht in großen Mengen.
Schlagartig änderte sich der Charakter dieser Immobilien. Nun waren sie nicht mehr von Gott überantwortete Böden, die naturgemäß zu bewirtschaften waren, sondern fortan waren sie pure Mittel des Gelderwerbs. Oft genug bereits unter dem Druck, daß Immobilien erst dann zu Geld gemacht werden können, wenn sie belehnt (oder verkauft) werden. Denn Immobilien sind im Grunde wertlos, wenn sie nicht richtig verwendet, bewirtschaftet werden, sie sind der Grund und Boden jeder wirtschaftlichen Tätigkeit. Das Geschäft der Geldverleiher, der Banken blühte auf, und die für den Kapitalismus (als staatsgedeckter Wucher, NICHT als "Freie Wirtschaft", die ist er nicht!) so typische Dichotomie entwickelte sich zur vollen Blüte: Einerseits prosperierende Wirtschaft durch Geldumlauf, anderseits eine immer weiter steigende Verschuldung. Letztere ist es, die die Kapitalien immer mehr in immer weniger Händen konzentriert.
Sofort wurden die Pachten für die landwirtschaftlichen Flächen erhöht, teils drastisch. Das führte dazu, daß immer mehr Bauern ihren Grund und Boden verlassen mußten, denn diese Pachten waren nicht mehr zu verdienen. Statt der üblichen nachhaltigen Landwirtschaft zog überall Monokultur ein, etwa durch die industrielle Schafzucht. Denn Wolle war ein äußerst begehrtes Gut, europaweit, und es ließ sich sofort in Geld umsetzen. (Später sollte sich auch das Verhältnis zu den Bodenschätzen völlig ändern. Der brutalste Kapitalismus der europäischen Geschichte machte sich breit, noch brutaler als der des römischen Kaiserreichs, wo es ja schon zu ähnlichen Entwicklungen gekommen war.)
Unter dem Druck der nunmehrigen nationalen wie internationalen Konkurrenz, den Krediten und Zinslasten, aber auch der puren Gier, wurde aus einem früher umfassend Tätigen - dem Bauern - die neue Art zu produzieren zur Angelegenheit purer "Handlanger der Schritte der Arbeitsteiligkeiten". Diese waren billig zu bekommen, und sei es aus dem Ausland. Erstmals entstand wieder echtes Proletariat.
Wird fortgesetzt!
*110217*