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Dienstag, 21. Februar 2017

Die Wüste, die die Reformation hinterließ (2)

Im selben Zug kam es zu einer enormen Konzentration von Kapital, zuerst also in Grund und Boden und Immobilien. Zum ersten Mal wurde dieses Eigentum nicht nur absolut gesetzt weil immer gefährdet, weshalb man auch psychologisch (tiefen-seelisch) unter gewissem zeitlichen Druck stand, es auszubeuten, davon zu profitieren, sondern es wurde nun auch exakt spezifizierbar, absolut meßbar, und sogar notwendig eingegrenzt. Erstmals wurden riesige Ländereien umzäunt, die zu einem guten Teil zuvor allgemein nutzbare (Allmende) Flächen gewesen waren. Alles hatte nun einen exakten Preis, erstmals auch die exakt spezifizierbare Arbeitskraft. 

Zugleich versiegten die früher flächendeckend vorhandenen, von der Kirche unterhaltenen Quellen der Wohlfahrt für Alte, Kranke, Erwerbsunfähige, Waisen. Kinder und Frauen (Familien) wurden kaum noch zu ernährende Lasten. Nunmehr galt überall das Gesetz jeder gegen jeden, denn die zunehmende Zahl an erwerbslosen Bauern und Handwerkern konkurrierte um die immer weniger gewordenen Arbeitsstellen der industrialisierten Produktion, die die Landwirtschaft ersetzt hatte. Das drückte die Löhne noch weiter. Gleichzeitig fielen die Auslandspreise für die produzierten Güter, allen voran Wolle, denn es wurde ja nun viel mehr von ihnen produziert, was - wie in Florenz im Jahrhundert zuvor - zu weiteren Lohnkürzungen führte, sodaß ein normaler Arbeiter schon alleine kaum noch von seinem Lohn leben, eine Familie schon gar nicht ernähren konnte. Frauen- und Kinderarbeit waren die bekannte Folge.

Es ist auffällig, daß wohl überall auf der Welt und zu allen Zeiten Geldakkumulation und Kapitalismus auf der Textilbranche aufbaute. Was zu einer Trennung von Geld und Produktion führte, indem sie beide zum für sich bestehenden Mechanismus, ja zum Selbstzweck machte, den letztendlich nur Technik aufrechthalten und weiter steigern konnte, was zu allen Zeiten den Anfang vom Ende einer Kultur bedeutete.

Landflucht setzte ein, denn die nunmehr erwerbslosen Bauern und deren Familien suchten nach Überlebensmöglichkeiten. Und sie suchten diese Chance in den Städten, wo sonst. Diese quollen über, aber wie! Elendsviertel mit katastrophalen Lebensbedingungen entstanden, Kinderhandel, Prostitution und alle möglichen fraglichen Gewerbe breiteten sich aus, denn es fehlte noch dazu an Institutionen (Kirche!), die sich um diese Menschen früher gekümmert hatte. (Aber es in diesem nun entstehenden Ausmaß auch gar nicht mehr hätte können.) 

***

Dennoch reichte das Geld für Heinrich VIII. nicht. Er versank immer mehr in Schulden, bis er nicht einmal mehr in Antwerpen bei den Fuggern Geld bekam. Also wurde das Geld verschlechtert, erst durch Verringerung der Größe, dann durch gleichzeitige Verringerung des Silbergehalts, wobei man die Bürger daran band, weiterhin den Nominalwert zu akzeptieren. Importware wurde für den einfachen Bürger unerschwinglich, Inflation setzte ein, aber er mußte einer fortlaufenden Enteignung tatenlos zusehen. Nur wer international tätig war, konnte diesem Dilemma entfliehen, wenn er geschickt war.

Da beauftragte er 1552 Thomas Gresham, sich um seine Finanzen zu kümmern. Direkt in Antwerpen, dem damaligen Weltfinanzzentrum, ja dem damals größten europäischen Handelszentrum, das in dieser Epoche täglich zwei- bis dreitausend Schiffe an seinen Hafenanlagen und in der Schelder liegen hatte, die be- und entladen wurden.

Und der Mann war äußerst geschickt, nutzte Methoden und Mittel der Finanzwelt, die selbst heute noch maßstäblich sind. Erst einmal schaffte er es, durch Umschuldungen auf niedriger verzinste Kredite Erleichterung zu verschaffen. Dann schuldete er auf längere Laufzeiten um. Aber die Zinslasten waren für den König bald ebenfalls nicht mehr zu bedienen. Auf Dauer ließen sich bestehende Kredite nicht durch neue, notwendig noch erweiterte Kredite auch nicht mehr finanzieren, selbst die Fugger streikten, die damals der Inbegriff des Reichtums waren, "Fugger" war damals ein Wort wie heute "Krösus".

Also ließ Gresham Woche für Woche auf geheimen Wegen 1300 Pfund Silber aus England nach Antwerpen schiffen und verkaufen, wo er mit holländischen Gulden ... englische Pfund kaufte. Das ließ die englische Währung im Wert steigen. Was wiederum die Preise für den Export künstlich fallen ließ. Die englische Produktion mit künstlich niedrig gehaltenen Löhnen (bezahlt mit entwerteter Währung) boomte. (Hier, wie immer, zeigt sich exemplarisch, wie sehr immer und überall der Staat, die Regierungen, die Politik direkt mit dem Kapitalismus verbündet und in Wahrheit - gegen alle Beteuerungen - gegen einen freien Markt gerichtet ist, weil er nur bestimmte Interessen mit Staatsmacht fördert.) Binnen dreier Jahre hatte Gresham das Vermögen des englischen Königs aber auf diese Weise verdoppelt. 

Dazu kamen Zwangsanleihen in England selbst, besonders von den Profiteuren dieser Manipulationen, den Kaufleuten, denen man für den Fall der Verweigerung die Sperre ihrer Flotten (v. a. nach Antwerpen) androhte. Sie mußten in Antwerpen Gulden-Anleihen zeichnen, die ihnen später in England in (entwerteten Binnen-)Pfund zurückbezahlt werden würden. Dazu schuf die englische Krone die Bedingungen für ein Bleimonopol, das sie sich dann teuer bezahlen ließ. Und dann blieb immer noch ... die Piraterie. Tatsache war, daß sich auf diese Weise das englische Königshaus tatsächlich, wenn schon nicht entschulden konnte - die Auslandsschulden stiegen ja weiterhin beträchtlich - aber doch ganz beträchtlich an Bonität gewann. Die Grundlagen für die Expansion zum British Empire wurden in genau diesen Jahrzehnten gelegt. Aber nicht durch Entschuldung. Selbst die gigantischen Goldmengen, die englische Piraten der Krone durch Raubbau von den Spaniern (Habsburgern) zuführten, konnten das Land nicht entschulden, alles diente nur den laufenden und immer größer werdenden Staatsausgaben.

Das ganze übrige Land fiel ins Elend, während eine immer kleiner werdende Schichte immer reicher wurde. Die engstens mit dem König zusammenarbeitete, der ihnen einerseits absoluten Schutz für ihr nun für absolut erklärtes Eigentum gewährte, auch Aufstände der Armen unterdrückte, wofür sie ihm anderseits Geld liehen und loyal blieben. Eigentum wurde nun als jenes Gut definiert, per Gesetz, mit dem jeder anstellen konnte, was er nur wollte. Die Dinge und ihre Handhabung wurden aus allem sozialen Gefüge herausgelöst. Der einzige Zweck des Wirtschaftens und Arbeitens wurde - Geld.

Selbst protestantische Schriftsteller jener Zeit konnten nicht umhin, die direkten Zusammenhänge zwischen der Reformation und der einsetzenden Verelendung breiter Bevölkerungsschichten Englands zu sehen. Binnen weniger Jahrzehnte war aus einem allgemein prosperierenden, blühenden Land eine entsolidarisierte, entsozialisierte Ruine aus Elend hier, gewaltigem Reichtum dort machte: Den vorläufigen Schlußpunkt setzte 1696 die Gründung einer von der Krone garantierten Bank of England, einer Staatsbank, die endgültig das Volk, die Arbeit der Menschen (als das, was Wert schaffen kann, denn Geld kann keinen Wert schaffen, bestenfalls Preise) in Haftung für die Geldgeschäfte der Banken nahm.

Innerhalb von zweihundert Jahren hatte sich die Sicht auf die Wirtschaft und das gesamte kulturelle Klima in England (und zunehmend in ganz Europa) völlig verändert. War wirtschaften immer mit Arbeit und Menschen und Sinn verbunden gewesen, war sie nun ein Mechanismus, der nur einen Zweck hatte: die vermeintliche Quelle allen Wohlstandes - Gold, Geld - herzustellen. Gold, auf das sich alles nun konzentrierte, und sei es durch Piraterie. 

Das Beispiel England zeigt nämlich, wie der Kapitalismus immer und zuerst auf Diebstahl und Unmoral zurückgeht. 

Die Alchemie in jeder Form blühte. Wirtschaft war zur Magie, zur Technik mutiert, denn Geld IST Magie. Im 18. Jahrhundert war England das Land des Elends entsittlichter, entkultivierter Massen, die bei Hungerlöhnen im Dienste der Geldproduktion der staatlich gestützten Reichenschichten ausgequetscht wurden.  Die Faust-Legende verbreitete sich rasend schnell. Geld ist der Zugang zu allem Irdischen, zu Macht und Befriedigung. Es hat allerdings einen Preis: Den Verkauf der Seele.

Staat im Dienste von finanziellen Interessen, unter Zwang gestellt durch die Zinsen, die ein Volk den Geldherstellern ausliefern - DAS ist der Kapitalismus als Kulturkatastrophe, von dem hier die Rede ist.

Wird fortgesetzt! 


*110217*