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Freitag, 25. August 2017

Jede Kultur hat weil braucht Parallelmächte (1)

Es verwundert nicht, wenn es nach Hamburg gerade die Liberalen sind, die nach einem starken Gesetzestaat rufen. Wie immer, hat der Liberalismus Jahrzehnte und Jahrhunderte die Auflösung fester gesellschaftlicher Gefüge zugunsten einer "Freiheit für alle und alles" gefordert, um dann anhand von Einzelereignissen (wie das Chaos in Hamburg) an den Folgen zu erschrecken, und nach einer ordnenden Macht zu rufen. Die natürlich nur der Staat sein kann. In ihren Augen. Dessen Gesetzeswerk nun alle Macht zugesprochen wird. Gibt es nicht diese und jene Gesetze, die ... und so weiter.

Tatsache ist, daß es tatsächlich und immer "Parallelmächte" in einem Staat gibt und geben muß. Denn die weltliche Dimension - Gesetze, Ordnungsvorschriften - sind nur Ausfluß eines letztlich aus einer transzendentalen Ordnung aufsteigenden Weltdeutung. Erst diese ist jenes Vorbild, nach dem sich die weltliche Ordnung richtet und zu richten hat. Das ist heute nicht anders als früher. Als sich in der Institution Kirche (im katholischen Raum noch länger als im protestantischen, der aber auch viele Jahrhunderte noch von der alten katholischen Prägung gelebt hat) jene mahnende und wachende Macht konstituiert hatte, die der Staatsmacht kontrollierend und maßgebend zur Seite stand. Als Parallelmacht. Man vergißt, daß es nur so möglich war, eine Kultur aufzubauen, die wesentlich davon lebte, als es die Freiheit der Bürger vor der Willkür der Macht und Obrigkeit schützte. Und zwar weil sich die Mächte letztlich dieser transzendentalen Ordnung ebenfalls unterworfen sahen, dagegen nicht argumentieren konnten. Denn diese Ordnung der Kirche baute auf der Vernunft auf. Und die war es, das Europa, das Abendland so stark machte.

Die seit Jahrhunderten erst klandestin, dann immer offener - durch die weltliche Staatsmacht maßgeblich getrieben! -  betriebene Zerschlagung der moralischen, also auf die transzendente, in Gott gegründete Ordnung bezogenen Macht der Kirche war es, die diese Bezugspunkte nach und nach ins Pluralistische zerfallen ließ. Und den Individualismus, den Autonomismus des Menschen ausrief. Auch das in angeblichem Bezug auf die Freiheit, die in Wahrheit nur bedeutete, daß der Einzelne auf sich geworfen dem Ganzen des Staates (als letzter gefügter Einheitsmacht, gestützt durch sein Gesetzeswerk) gegenüberstand. Und so alle seine Macht verlor. Im Autonomismus hat der Einzelne also nicht einen Zugewinn an Freiheit zu verbuchen, sondern muß seine Ohnmacht zur Kenntnis nehmen, in der er den ordnenden Mächten gegenübersteht.

Heute haben wir es mit einer unübersehbaren Fülle von transzendenten Bezügen zu tun, aus denen die auf sich geworfenen, alleine gestellten Menschen ihre Handlungsparadigmata beziehen. Die ausgerufene religiöse Freiheit als Form der Lossagung von institutionalisierten Autoritäten (die, man vergesse das nicht, im Falle der Katholischen Kirche ihre Verankerung und ihren Prüfstein in der Vernunft an sich hat, der sogar der Klerus selbst unterworfen ist) hat bewirkt, daß sich jeder Einzelne nun als Reaktion aussucht, welchen Moralinstitutionen er sich temporär unterstellt. Er ist sich selbst zum Maßstab geworden. Und damit zerfällt unsere Gesellschaft in immer rascherem Tempo in zahllose (Pseudo-)Religionsgemeinschaften, denn solche sind es. So verliert das Gesetzwerk unserer Länder, das - auch das vergessen wir längst! - immer noch auf der christlichen Weltordnung (also: auf der Kirche) aufgebaut ist (denn von dort kommt der Gerechtigkeitsbegriff, an dem es sich orientiert), in immer rascherem Tempo seine Verbindlichkeit "für alle". 

Jeder, buchstäblich bald jeder sieht sich heute im Recht das bestehende Gesetzwerk zu hinterfragen und nötigenfalls zu ignorieren. Und das muß man wörtlich nehmen: Im Recht! Warum wohl? Woher bezieht er dieses Recht, dass ihm als moralischem Anspruch sogar über alles formale Gesetz steht? Gesetze sind eben durchaus etwas Fließendes, und jede Staatsmacht hat nur dann und so lange Macht, als seine Gesetze von (weitgehend) allen als auch für ihr Leben verbindlich angesehen werden. Ist das nicht mehr gegeben, werden Gesetze verhandelbar, volatil. Sie haben dann nur den Stellenwert eines einzukalkulierenden Faktors, den man aber so gut es geht im Sinne seiner wirklichen, wahren Gerechtigkeitsvorstellungen zu umgehen, auszuspielen, vor allem zu mißbrauchen, weil nur noch zu benützen sucht. 

Das wurde durch die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte nicht besser, im Gegenteil. Die Konsequenzen daraus haben sich verschärft. Schon deshalb verschärft, weil wir es mit neuen sich aufbauenden, jedes Gesetz und jede Gesetzesakzeptanz durch ganz neue, nicht christliche Maßstäbe hinterfragenden Mächten und Religionen zu tun haben. Die Frage kann eben nicht sein, ob es legitim und gut und richtig ist, daß der Staat Parallelmächte haben kann und darf, wie es auf "Tichy's Einblicke" (einem bewußt liberalen Medium) moniert wird, sondern die Frage muß sein, was uns auch an gesetzlichen Veränderungen ins Haus steht, und ob es überhaupt einen Zentralstaat geben kann - wie ihn nun die Liberalen in einem ihrer vielen Widersprüche fordern - der solche Gegebenheiten erfassen und ordnen kann. 



Morgen Teil 2) Parallelmächte sind kein Widerspruch, sondern Bedingung für einen Rechtsstaat





*050817*