Teil 2) Parallelmächte sind kein Widerspruch,
sondern Bedingung für einen Rechtsstaat
sondern Bedingung für einen Rechtsstaat
Denn auf was für Gesetze beziehen sich die Liberalen? Auf die
momentanen, die durch Bezug auf "Verfassungstreue" in quasi-religiösen
Status gehoben werden? Gesetze sind nie reine Formalwerke, und zu
beklagen, daß "pöhse" Richter sie interpretieren, ist gelinde gesagt naiv.
Kein Gesetz kann jemals erschöpfend sein, es ist immer nur Wegmarke auf
ein dahinterstehendes Gesetz, und jeder Richterspruch ist nur eine
Interpretation dieses inneren Sinns, des logos eines Gesetzes,
den Verbalisierungen immer nur in mehr oder weniger Deckungstreue
ausdrücken können. Wo ein Gesetz aufhört, sich auf diesen seinen inneren
(und das heißt: transzendentalen) Sinn zu beziehen, wird es zum
technischen Zuschlaginstrument. Jeder Staat braucht deshalb immer solche
Parallelmächte.
Nur in einem theokratischen Staat ist genau dieses Prinzip (der
Verbindlichkeit der absoluten Wahrheit) ausgeschaltet (zugunsten einer
zu Verhaltensrichtlinien erstarrten Dogmatik als Weltweg; der Islam -
aber bei weitem nicht nur der Islam; die political correctness
etwa ist eine ebensolche Religion - zeigt, wo das hinführt.) Und es ist
alles andere als ein Zufall, daß in einer in Autonomismus
(Individualismus) atomisierten Kultur, ind er man die Kirche in die
Bedeutungslosigkeit abgedrängt hat, solche Formen des Theokratischen
fröhliche Urstände feiern.
Nie, zu keinen Zeiten hat ein
Gesetzeswerk aus sich heraus auch die Grundidee, die allen Gesetzen
zugrundeliegt, das Gemeinwohl, die absolute Gerechtigkeit, schützen
können. Auch die Richter in der Nazi-Zeit haben sich auf
Gesetzesformalismen berufen. Gesetzeswerke können eben immer nur ein
inneres Gefüge schützen, aber niemals jene Legitimität bringen, die für
ein Volk außer Frage steht. Das macht den Umstand, daß jeder Richter
auch Recht SCHAFFT, nicht zu einem beklagenswerten, sondern zu einem
sogar wünschenswerten Umstand.* Auf den Formalgehalt, den
Buchstabengehalt von Gesetzen alleine zu pochen ist das, was die Römer
als "summum ius, summa iniuria" (die Summe aller Gesetze ergibt die Summe des Unrechts) bezeichnet haben. Anders als Tichy's Einblicke schreibt, sind also Parallemächte kein Widerspruch zum Rechtsstaat, sondern die Bedingung, daß ein Rechtsstaat zu keiner Diktatur des Formalrechts wird sondern eben - zu einem Rechtsstaat, den es nur gibt, wenn die Idee (und Vernunft) der Gerechtigkeit über dem Formalrecht steht.²
Morgen Teil 3) Der Liberalismus führt zur Theokratie - Die Anmerkungen
*050817*