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Mittwoch, 18. November 2020

Kernschmelze im Reich der Mitte (1)

Endlich ein Einblick ins Reich der Mitte, weil man dem Vermittler glaubt. Professor Dr. Siegfried Englert ist nicht nur studierter Sinologe, sondern war auch viele Jahre in verantwortlicher Position in China tätig. Er kennt nicht nur die aktuellen Vorgänge, er kennt auch die Werdegänge, er kennt die Geschichte dieses riesigen Landes. Und man merkt auf bei dem was er sagt, weil es großartig erhellt.

Wir wollen nur einige der Punkte herausgreifen, die Englert in diesem Vortrag an der Uni Koblenz erzählt. Und dabei prüfen, wie sie sich ins Gesamtbild fügen, das sich bei uns zu bilden beginnt. Nachdem wir von den ersten Hollywood-Erzählungen über Glanz und Glorie eines kommunistischen Landes, das angeblich den freien Markt des kapitalistischen Westens (welch ein Euphemismus - freier Markt oder gar Freiheit und Kapitalismus!) entdeckt hat, erholt sind. Die uns den Blick so schwer getrübt haben, daß wir Schwierigkeiten haben, ein konsistentes Bild von China zu formen.

Bei Englert dürfen wir endlich aufatmen. Denn in seinen Ausführungen finden wir jene Linie, die das Phänomen zusammenhält - China. Diesem Land, das von sieben Personen (sic!) gesteuert wird, die nicht nur auf einem Sockel von zweihundertfünfzig Abgeordneten und noch einmal neunzig Millionen Parteimitgliedern der KPCh stehen, sondern die selbst wiederum an einem Punkt zusammenlaufen, dem Kern.

Und dieser Kern ist eine Person. Xi Jinping. 

Der einen Zentralismus, einen Despotismus bedeutet, wie er seit je den Osten des eurasischen Riesenkontinents bestimmt hat. Sämtliche Völker und Länder des Ostens, ob nah oder fern - ob das was wir heute als muslimischen Raum bezeichnen, ob Südostasien, Ostasien, Mittelasien ... - haben seit je eine Tradition der gottgleichen Stellung eines Alleinherrschers. 

Die so attraktiv und "praktisch" ist, daß sie immer schon europäischen Herrschern eines ähnlich ehrgeizigen Zuschnitts wie den des Stauferkaisers Friedrich II. oder in der Erscheinung des Absolutismus (sämtlich von Friedrich II. übrigens vorbereitet, das eine hätte es ohne das andere nicht gegeben, Machiavelli war dazu nur die passende Kommentarfunktion), auch für diesen Kontinent des Abendlandes eine große Versuchung bedeutet hat.

Dieser Alleinherrscher ist heute Xi Jinping. Und was er im kommunistischen System, das in seiner Machtpraxis einem Zirkelschluß gleicht, aufgebaut hat, ist selbst wiederum das Destillat russischer Zustände. 

In beiden, in nucleo kommunistischen, aber kapitalistisch verbrämten Ländern hat sich der momentane Herrscher gewissermaßen "verewigt", also das System so angepaßt, daß nicht nur aktuell alle Fäden bei ihnen zusammenlaufen, sondern das auch so lange bleiben, bis sie tot sind. 

Denn selbst, wenn wir (und so ließe sich selbst ein Scholl-Latour mißverstehen) die geopolitische Lage Rußlands (und Chinas) aus dem Selbstbehauptungsinteresse der Länder "verstehen", dann vertreten wir nichts als jenen Total-Relativismus, der sich auch in China manifestiert. Und warum? Weil er keine absolute Ideenbasis kennt, sondern alles Sein aus der Geschichte gezeugt wird. Die als Emanation des absoluten Geistes gesehen wird. 

Und das, werte Leser, steht hinter den bei uns von manchen ("rechten") Kreisen propagierten Vordenkern wie Alexander Dugin oder Martin Heidegger (auf den sich Dugin selbst bezieht) ihr "Identitäts- als Selbstbestands-Recht" aller Völker ist nicht nur nichts als Relativismus, sondern es ist der Materialismus des Hegelschen Systems.

Es ist absurd, und zwar im wahrsten Wortsinn, wenn WIR mit den Augen DES ANDEREN denken. Und das hat sich bei uns längst eingeschlichen und etabliert. Bei den "Putin-Verstehern" oder den "China-Verstehern." Womit wir uns schwer tun ist dies als das zu begreifen, was solche Denkweise von Anfang an war: Strategisch etablierte Denkweise aus dem Kommunismus heraus.

Dabei spielt das Unverständnis, das der abendländische Mensch für die Mentalität dieser (östlichen) Völker und Menschen hat, eine bedeutende Rolle. Denn uns ist nicht nachvollziehbar, was diese Länder und Menschen im Innersten charakterisiert. 

Die nicht kommunistisch "wurden", sondern die aus sich heraus jene Strukturen und Gerichtetheiten aufweisen, die sich unter dem Deckmantel des Kommunismus am besten zur Gestalt bringen. Aus dem sie ihrer wesenhaft eigenen Ausrichtung auf die Beherrschung der Welt - was meint der Leser, woher der von den Chinesen selbst geprägte Begriff "Reich der Mitte" kommt?! - den "wissenschaftlichen Unterbau" hinzufügen konnten. 

Und dieser, in der Aufklärung längst auch unserer gewordene Wissenschaftsbegriff in seiner gesellschaftlichen, politischen Stellung und Anspruchskraft ist ein Zwangssystem. Das den Menschen mit der Behauptung aufoktroyiert wird, daß er das "alte, überholte" System der Wahrheit der Kirche weil tauglicher ersetzt und ersetzen muß. Daß der Rationalismus sich nicht nur nicht aus sich selbst begründen kann, sondern daß er genau deshalb auf einem Glauben aufruht, wurde gefließentlich übersehen (wenngleich tatsächlich "wissenschaftlich" bewiesen!). Er ist eben Zwang. Und Diktatur. 


*181020*