Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 4. November 2020

Wider Enzykliken (1)

Die neueste Enzyklika von Papst Franziskus, "Fratelli Tutti", verstärkt den Eindruck, der einen angesichts der Kirche befallen muß, nämlich den der Erbärmlichkeit und Schwäche. Das schreibt der Amerikaner Richard Greenhorn in einem Artikel, der am Blog von William M. Briggs unter dem Titel "Against Papal Encyclicas - Gegen päpstliche Enzykliken" in diesen Wochen erschienen ist. 

Aber es ist nicht die Zuflucht zu irgendeinem - fremdverfaßten, damit nicht so deutlich der eigenen Verantwortung unterstehendem - Pejorativ, das den an kirchlichen Angelegenheiten noch Interessierten verlocken sollte, diese Ausführungen zu lesen. Sondern es ist die Gedankenlinie, die so bemerkenswert ist, daß sie dem VdZ die Wanderung in diese Bibliothek der Orientierungssuche inmitten einer verrückt gewordenen Welt wert ist. Der sie aufnimmt und in der respektlosen Art, die wir von ihm gewohnt sind, in sein Weiterspinnen einbindet.

Dabei schadet es nichts, sich die Anmerkungen von Greenhorn von vor einigen Wochen vor diesen, Fratelli tutti zum Anlaß nehmenden Gedanken zu Gemüte zu führen. Die unter dem vielsagenden Titel "Integralismus als Verzweiflungsakt des Liberalismus" erschienen sind. 

Das Greenhorn, das den Artikel verfaßt hat, meinte mit Integralismus, die aktuelle Diskussion in den USA, ob man nicht die Kirche (und überhaupt die Religionen) in eine Art von Mitspracherecht in der Politik ausstatten solle. An sich ist zwar die Verfassung der USA die einzige und erste, in der Kirche/Religion und Staat strikt getrennt sind (wir haben darüber hier, unter Bezug auf die Arbeiten von David Wemhoff, ausgiebig gehandelt), der Staat also eine rein weltliche, laizistische Angelegenheit ist. Das ist in der Praxis natürlich gar nicht möglich, weil Glaube und Religion immer eine Rolle, ja eine so große Rolle spielen, daß sie der Politik sogar Vorgaben macht, ja meint, machen zu MÜSSEN. 

Insofern geht es nun darum, der Kirche bzw. der Religion auch offiziell diese Rolle strukturell einzuräumen. Sie also in den Staat, in die Gesellschaft offiziell (wieder) zu integrieren. Denn bislang ist es möglich, und es wurde auch immer mehr der Fall, daß religiöse Motive bei Richterentscheidungen ausdrücklich auszuschließen und aus der Rechtsprechung herauszuhalten waren. Aber damit war die Mehrheit der Amerikaner so gar nicht zufrieden, und das ist ziemlich verständlich.

Wir sehen damit, daß dieser Integralismus nicht mehr als eine Spezialform dessen ist, was der VdZ mit Paul Hacker Inclusivismus nennt: Der Staat gibt von seiner Macht ab. Das heißt nicht weniger als daß man aus einer (vermeintlich) überlegenen Position heraus das Verlangen aufgibt, das öffentliche Bekenntnis zu einer hierarchischen Ordnung zu verlangen, in der man überlegen ist und großmütig zuläßt, daß die (in den eigenen Augen unterlegene) Position des anderen "auf Augenhöhe gestellt wird." 

Insoweit verschwimmen also die Begriffe, denn dieser Integralismus ist nicht nur Ausfluß des Liberalismus, er ist noch umfassender gedacht Inclusivismus. Und als solcher ist es bereits beschrieben, weshalb wir im weiteren Voranschreiten diesen Begriff verwenden werden. Weil er damit seine Aktualität besser vor Augen stellt.

Deshalb sehen wir uns verpflichtet, die Schrift von Paul Hacker, diesem großen deutschen Indologen (und die meisten Indologen von Weltruf sind interessanterweise Deutsche), zum Inclusivismus anzupreisen. Die dankenswerterweise von Gerhard Oberhammer 1983 herausgegeben und somit der Nachwelt zugängig wurde. 

Wo Hacker, der sich zeitlebens mit indischer Religion und Philosophie und Lebenswirklichkeit* befaßte aufgezeigt hat, daß die typisch indische Grundhaltung**, die wir gerne - aber irrtümlich! - als extrem tolerant und liebevoll (also liberal) einschätzen, aus einem Unterlegenheitskomplex geboren ist, den Indien über seine letzten tausend Jahre Geschichte kultiviert hat. In der es von lauter überlegenen Mächten bestimmt worden ist - vom Islam, vom Christentum und von der abendländischen Kultur, also dem Westen, in der Gestalt von Portugal, Frankreich, England, und zuletzt USA. 

Mit dem Grunderleben, daß das eigene Schicksal, das Weltschicksal immer noch von anderen Mächten bestimmt wird, OBWOHL Indien mittlerweile das einwohnerstärkste Land der Welt ist. Da wacht aber heute etwas auf. Wir sehen es in einer immer feindlicheren Haltung gegenüber dem Christentum. Und wir sehen es im Inclusivismus der Inder. Wer schon mit Indern zu tun hatte wird an deren ganz subtiler Arroganz erkennen, was der VdZ meint.

Inclusivismus ist, grob gesagt, eine Haltung, in der alles, was einem begegnet, mit einer stillen, nie wirklich explizit gemachten Theorie (die mehr eine Haltung, vor allem eine Behauptung einer Theorie, also mehr eine These denn eine durchgedachte Theorie ist) umfangen wird. Diese Behauptung lautet in etwa so, daß dieses einem begegnende Phänomen oder Theorie oder Philosophie oder Religion in der eigenen Theorie oder Philosophie oder Religion (oder in allem zusammen) längst enthalten ist. Deshalb ist man ihr DOCH überlegen. Auch wenn man das nicht durchsetzen (und schon gar nicht beweisen) kann.

Noch ein Gedanke soll wie eine Saite angeschlagen werden, auf daß im Kommenden ein Ton mitklingt, den der Leser hört, während er den Textgedanken folgt. Diese Integration, dieser Inclusivismus ist erst möglich geworden, weil die vordem unterlegene Seite dieser Trennung bewiesen hat, daß sie der überlegenen Seite nicht schadet. 
Das Wesen des Inclusivismus ist also auch, daß es der Unterlegene ist, der sich integriert. Obwohl er in Wahrheit meint, der Überlegene zu sein. 
Schwirrt Ihnen, werter Leser, nun der Kopf? Geduld. Es ist nicht so kompliziert. Es ist nur komplex, und nicht simpel. 

Nun haben wir endgültig das Bett des Flusses vorgegraben, in das sich die Gedanken des Greenhorns ergießen, dessen Ergüsse wir zum Anlaß weiterer Erörterung nehmen. So können wir die Richtung deutlicher machen, in die der Fluß des Wirklichen fließt. 

Auch hier geht es nämlich um Unterlegenheit, und einer daraus erwachsenen Beweis- und Behauptungshaltung, die aber von keiner Theorie wirklich getragen und zu tragen ist. Zu widersprüchlich, zu wirr sind die Wünsche, und um solche handelt es sich, die der Verfasser von Fratelli Tutti vorträgt. Schon gar, sieht man sie im Rahmen der katholischen Lehre, die seit zweitausend Jahren unverändert steht.


Morgen Teil 2) Der Kampf um Bedeutung und Autorität
- Was sich im Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzil wirklich geändert hat


*Aus welchem Durchmessen des geistigen Raumes des Menschen er zu seinem äußerst empfehlenswerten Alters- und Weisheitswerk "Das ICH im Glauben bei Martin Luther" kam.

**In ihrer religiösen Form bezeichnen wir Westler diese Lebenshaltung gerne als "Hinduismus", und nennen sie "Weltreligion". Kaum etwas könnte verfehlter sein. Wir tun das, weil wir es so gewohnt sind, aber in Indien ist es völlig anders. Hacker kommt aus der intensiven Befassung mit dessen Religion zu dem Urteil, daß man von "einer" Religion gar nicht sprechen kann. Praktisch hat nämlich jedes Dorf, manchmal jede Familie eine ganz eigene Religion. Alleine die Zahl der Hauptgötter und deren Interpretationen, die wenigstens noch so halbwegs durchgängig sind, beläuft sich auf mehrere zehn-, wenn nicht hunderttausend. Und sie sind mit unseren Denkkategorien kaum zu ordnen. 

Was uns in Europa als "hinduistische Religion" oder "Weisheit der Veden" etc. etc. vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet, ist, und hier teils beachtlich reüssiert hat (man denke nur an die Beatles und den Run, den diese ausgelöst haben), ist durch bestimmte Figuren geprägt und vor allem gemacht, die uns mit einer Religion (oder Religionen) bekannt gemacht haben, die es so in Indien gar nicht gibt. Die eine regelrechte Erfindung ist, die von diesen Leitfiguren bereits durch das Scheidewasser europäischer Philosophie gemangelt wurde. Denn diese alle haben in Europa studiert. Somit ist es eine Illusion zu glauben, uns würde in diesen Heilslehren und -lehrern eine uralte indische Weisheitsreligion begegnen, geprägt von uralten Schriften, den Veden. Nichts wäre falscher!


*141020*
Unterstützen Sie dieses Blog!