Wahrscheinlich weiß Rora W. Collins gar nicht, was er da in seiner Studie schreibt, und was daraus gefolgert werden muß. In der er auf fast rührende Weise beruhigt, daß Pornographie gar nicht so schlecht ist, wie allgemein behauptet wird. Wo es da heißt, daß es um Mißbrauch auf beiden Seiten gehe - bei den Darstellern und Darbringern ebenso, wie bei den Konsumenten.
Wenn man aber die Pornographie als "bacchantisches Vergnügen" zu sehen beginne erschlössen sich viele positive Effekte, die vermutlich die negativen - darunter Verstärkung der Geschlechterstereotype (weshalb Feministen dagegen sind), Verlust des Gefühls für Würde und Integrität des Menschen und Stärkung der Affinität zu Gewalt.
Nicht zufällig fehlt unter den angeführten negativen Effekten einer: Der der von einer seelischen Einschließung ausgehend jeden sozialen Kontakt beschädigt oder verliert, weil er dessen Verbindlichkeiten mehr und mehr verweigert.
Und das ist auch die wichtigste Voraussetzung für jenen Vorteil, so Collins, der seines Erachtens nach alle Nachteile aufwiegt. Der da heißt, daß Pornographiekonsumenten eine nachweislich verstärkte Neigung zur Nicht-Akzeptanz gesellschaftlicher Hierarchien und Ordnungen aufweisen. Pornokonsumenten sind also rebellisch und letztlich anarchisch.
Deshalb ist Pornographie ein wichtiges Instrument zur Emanzipation des Menschen von der Gesellschaft anzusehen. Weil es den Einzelnen aus gesellschaftlichen Zwängen und Ordnungen heraustreten läßt. Weil es also Identität auflöst (weil von allem löst, das "übernommen" ist) macht es den Konsumenten frei, neue und selbstbestimmte (sic!) Identitäten anzunehmen.
Q. E. D. - Quod Erat Demonstrandum - Was zu beweisen war. Denn genau das behaupten wir ja.
Müssen wir solche Aussagen, daß Pornographie frei mache, weil es dem Sozialen die Verbindlichkeit nimmt, also noch weiter kommentieren? Genügt nicht der Hinweis, daß Identität und Lebenssinn maßgeblich über die Eingefügtheit in eine soziale Ordnung erfahrbar wird, ja gar erst erwächst?
Weil diese Verbindlichkeit (also der böse "Zwang") das schafft, was man überhaupt erst als soziales und stabiles soziales Gefüge bezeichnen kann: Das subjektive Gefühl und Moralempfinden, den sozialen Kreisen, in die man sich eingebunden findet (bzw. VORfindet), durch Obliegenheitsgefühle adäquat zu antworten. Um zugleich darauf vertrauen zu können, daß auch das Gegenüber sich solchen Verpflichtungen unterstellt sieht.
Das macht dann das aus, was man mit Verwurzelung bezeichnen kann, und den Einzelnen in einer Atmosphäre von Vertrauen und Vertrautheit leben und aufwachsen läßt.
Man muß also keine (weitere) Studie darüber anstellen, daß Pornographie identitätsauflösend, anti-sozial und entwurzelnd auf die Psyche des Pornokonsumenten wirkt.
Die Vertreter und Verteidiger der Pornographie als "Freiheitsäußerung" haben das selber herausgefunden.
Ja, das ist sogar der Grund, warum Pornographie als anti-soziale Waffe gesehen werden muß. Die sehr direkt einsetzbar ist. Und daß sie als Waffe zur Schwächung eines (Kriegs-)Gegners (also Feindes) nicht nur erkannt, sondern auch eingesetzt worden ist, bestätigen zahlreiche Überläufer aus kommunistischen Gesellschaftsordnungen. Die erzählen, wie die Welle der Sexualisierung (in der die Pornographie die entscheidende Rolle spielt) von den kommunistischen Kadern gezielt verwendet wurde und wird, um den Westen, den Klassenfeind, von innen heraus zu schwächen. Sodaß er irgendwann wie eine reife Frucht in den Schoß der sozialistischen Weltretter fällt.
Denn ohne "Zwänge", ohne allgemeine, übergeordnete und autoritäre, von außen kommende und von dort zu übernehmende Normen fehlt dem Einzelnen jede sachlich-objektive Basis in seinen verstandesmäßigen Urteilen. Er wird damit extrem leicht lenk- und beeinflußbar, weil er eigene emotionale Impulse, "Eingebungen", kaum zu erkennende Auslöser ("Trigger") nicht distanziert betrachten und damit als solche erkennen kann. Sondern in seinem traumartigen Zustand auf jedes direkte Gegenüber "spontan" und sofort "in einem Beantwortungs-Fluß" reagiert.
Weil niemand "aus sich heraus" ein artikuliertes Wertegefüge zu finden vermag, das genug Autorität hat, dem Begegnenden insofern Widerstand zu bieten, als es nicht dessen Willkür bzw. jeder mit Stärke (also Autorität, und sei sie durch Wucht vorgetäuscht) vorgetragenen Willensforderung wie eine Fahne im Wind ausgeliefert ist. Die große Täuschung besteht hier wie anderswo darin, die innere Bewegung eben deshalb, weil sie in einem selbst erfahren wird, auch als selbst-motiviert und damit frei gewählt anzusehen.
Wie beim Stockholm-Syndrom* wird der seinen Antrieben ausgelieferte Mensch diese Antriebe für eine freie Entscheidung halten. Er merkt nicht, daß die Basis dieses Motivs fremdgesteuert ist. Und zwar WEIL sie aus dem großen Insgesamt, das ein Insgesamt des Sozialen, der verbindlichen Beziehungen ist, herausgelöst und für sich gestellt wird.
Wenn es also einen perfekten Staatsbürger für ein autoritäres System gibt, dann ist es der "spontane", seinen subjektiven Impulsen und Gefühlen unreflektiert ausgesetzte Mensch. Dann ist es der Pornographie-Konsument, der zu einem hohen Prozentsatz (oft sogar sehr rasch) pornosüchtig wird. Und zu allem zustimmt, solange nur gewährleistet ist, daß er sich weiter ungestört seinem unstillbaren Verlangen ergeben kann.
*Das Stockholm-Syndrom ist nach einem Kriminalfall in den frühen 1970er Jahren so benannt. Wo sich bei einer Geiselnahme die Geiseln mit den Geiselnehmern solidarisierten, ja sich die Frauen sogar in diese verliebten. Und damit, nach beendeter Geiselnahme, das soziale Gefüge, das sie vordem gehalten hatte, nachhaltig zerstörten.
*101120*