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Freitag, 4. Dezember 2020

Ein neuer Faktor, eine verlagerte Beziehung

In dem Moment, schreibt Georg Simmel in seiner "Philosophie des Geldes", wo der Tauschhandel durch das Medium Geld ersetzt wird, schiebt sich ein dritter Faktor in die Beziehung der Wirtschaftspartner. Die direkte Linie der Verbindung zwischen ihnen verlagert sich auf die Beziehung, welcher jeder der beiden zur wirtschaftlichen Gesellschaft hat, die dieses Zahlungsmittel (dieses Geld) akzeptiert.

Wir haben es also ab dem Moment mit einer grundsätzlich veränderten Wirtschaft und damit Gesellschaft zu tun, in dem Geld eingeführt wird. Noch mehr, wenn es das Wirtschaften dominiert, gar, wenn es zum Ziel selbst wird.

Genau das ist in diesem besprochenen Zeitraum, der als Übergang Europas (als Kulturraum des Abendlandes) vom Mittelalter zur Neuzeit (also grob die Zeit des 15./16. Jahrhunderts) bezeichnet wird, auch passiert. Die Einführung des Faktors Geld in das alltägliche Leben* veränderte das Leben selbst durch ein neues Ziel - Geld und dessen Herstellung.

Um uns das vorzustellen müssen wir aber beileibe nicht in mythische Tiefen der Steinzeit zurückgehen. Noch tief bis ins 18. Jahrhundert hinein tauschten weite Teile der europäischen Völker und Menschen weitgehend geldlos. Erst mit der Enteignung der Bevölkerungen, die eigentlich die Folge der An-Eignung bislang gemeinschaftlicher Güter (Almenden) durch Einzelne war**, verloren weite Teile der europäischen Bevölkerungen die Möglichkeit, sich innerhalb von sozialen Gefügen rein aus zwischenmenschlicher Verbindlichkeit im Geben und Nehmen am Leben zu halten. Ja, innerhalb eines bescheidenen Wohlstands zu leben. 

Nie fiel somit die Erwerbsmöglichkeit unterhalb eine bestimmte Grenze, nie verlor die Nächstenliebe, das zwischenmenschliche Helfen und Beistehen ebenso wie das gemeinschaftliche Verzehren und Feiern, seine bedeutsame Realität. Wenn Geld notwendig war, dann nur für Wirtschaftsbeziehungen mit mehr oder weniger weit entfernten, vor allem aber fremden Partnern. 

Mit einem Mal war auch die nackte Existenzangst zum Schatten der Existenz der nicht-besitzenden Gesellschaftsschichten entstanden. Sie begann deren Leben zu bestimmen. War der Mensch des Mittelalters noch freimütig und in seinem Denken und Meinen Herr seiner selbst, trat hinfort ein neues Phänomen auf:  Die Vermassung von Menschen. 
Die mehr und mehr zwei Leben führten. Das der offiziellen Unterordnung aus existentiellen Notwendigkeiten unter ein fremdbestimmtes Sollen, und das des eigentlichen Lebenswollens. Zumindest tendenziell fiel auch der Wohlstand weil der über das Medium Geld bemessene und bewertete Lohn.

Somit war auch die Arbeit dem Prinzip nach nicht als mit Geld zu entlohnende Tätigkeit verstanden. Sondern in den Rahmen eines wechselseitigen Dienstleistens gestellt, dessen Maß eines des Moralgefühls - also der Ehre - war. 

Ab dem Moment aber, wo Gemeingut (und noch im 16. Jahrhundert war alleine mehr als die Hälfte des Eigentums in Europa im Besitz der Kirche) in individuelles Eigentum wechselte, verloren immer größere Teile der Bevölkerung ihre Verwurzelung. Das heißt, sie waren nicht mehr in der Lage, an dem Ort, an dem sie lebten und wohnten, auch zu überleben. So begann einerseits die Landflucht, in der die Menschen in die Städte zogen, weil ihnen gar nichts anderes übrigblieb. 

Und anderseits der Aufstieg des Geldes, das inmitten einer fremden Umgebung, die über soziale Beziehung nicht mehr zu ordnen war, welche erst jene Verbindlichkeit schafft, die kein Gesetz brauchte, sondern auf dem individuellen Ehr- und Moralempfinden fußte, das mehr oder weniger allen gleich war, eine neue Art des Umgang mit dem anderen einführte. Was etwas "wert" war mußte nun in das Medium Geld transponiert werden. 

Auch die Arbeit: Es begann damit die Lohnarbeit, in der der Einzelne sein Tun als Ware einzuschätzen hatte. Die es noch dazu im Überfluß gab, sodaß sie im Preis verfiel.

Selbst wenn man jene kurze Epoche berücksichtigt, in der die Pestepidemien die Arbeitskraft zu einem knappen Gut machte, stieg aber umgekehrt deren Geldeswert NICHT. Und warum? Weil sich die Besitzenden, die Eigentümer von Grund und Boden als Produktionskapital, mit der politischen Macht verbündete. Welch letztere per Anordnung die Verteuerung der Arbeitskraft verhinderte. 

Dieser Faktor war neu: Der Staat, der mit dem Beginn der Neuzeit wie nie zuvor in das Leben der Menschen eingriff und es damit gravierend veränderte. 


*Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist das Geld zu jener Zeit nicht "erfunden" worden! Die Menschen hatten nie aufgehört, seine Existenz zu berücksichtigen. Es spielte nur keine Rolle, man BRAUCHTE es buchstäblich nicht! Das änderte sich erst mit der Renaissance. Das änderte sich erst mit der Zentralisierung der Fürstenmacht. Das änderte sich erst mit der immer klareren Definition von Staat und Land. 

Und das änderte sich vor allem mit EINEM UMSTAND. Dem Umstand, daß die Zentralmacht begann, die Bezahlung von Steuern MIT bzw. IN GELD zu verlangen. Und zwar mit dem, was diese Zentralmacht selbst ALS GELD festgelegt hatte. Während gleichzeitig die Verbreitung von Geld durch die Auszahlung von Löhnen und Zuwendungen in jenem selbst "erfundenen" Geld erfolgt ist. Somit hat die Phase der Etablierung von Geld direkt mit dem Aufkommen von Soldaten- und Söldnerheeren, also der völligen Neudefinition von Krieg und Strategie zu tun. Denn die Soldaten waren es, die das Geld in den Alltag schwemmten.

Während die Bevölkerung in dem Maß nach Geld zu streben begann, in dem es Geld für seine Steuern brauchte. So bauten sich unsere Volkswirtschaften um, bis das Geld zum generellen ersten Ziel des Lebens und Arbeitens wurde.

**Wir können und müssen es beim Namen nennen. Diese Vorgänge waren die Folge der Enteignung der Kirche durch den Protestantismus, die "die Kirche" als Institution aufgaben und auf das jeweilige Verhältnis des Einzelnen zu Gott reduzierte. Große Teile des europäischen Vermögens fielen dadurch in die Hände der Landesfürsten und deren Günstlingen, also ins Eigentum des fürstennahen Adels und des Beamtentums. Historisch belegbar fiel der Wohlstandsverlust in den reformierten Ländern dementsprechend gravierend aus und schuf eine gewaltige Schichte von Verelendeten, die sich in den Städten ansammelten.


*031220*