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Freitag, 11. Dezember 2020

Wie sich Politik und Geld vermählten (1)

"Das Ergebnis war, daß die in Privathand befindliche Bank (Bank of England, Anm.) die persönlichen Schulden des königlichen Souvereigns (William I. von Oranien) in eine Schuld des Staates umwandelte. Die somit sogar zu einer staatlichen Währung wurde. Die Besiegelung dieser Transformation privater in gesellschaftliche Produktion von Geld (als Forderung demjenigen gegenüber, der eine Münze oder eine Banknote herausgibt) wurde durch einen Wandel im Machtgefüge erkauft. Die jenes historisch einmalige hybride Konzept eines "Königs im Parlament" hervorbrachte, die wir in England bis heute haben. 

Mit diesem Vorgang in England nahmen 1697 erstmals in der Geschichte Europas Institutionen für die öffentliche Produktion von Geld Gestalt an, die von einem immer wieder zu suchenden Gleichgewicht von wirtschaftlichen und politischen Interessen getragen wurden. Der Staat wurde nunmehr durch Anleihen bei einer mächtigen Geldgeberklasse finanziert. Und der Ort dieses Interessensausgleiches war eine öffentliche Bank. Somit hatten beide Seiten Interesse daran, daß die jeweils andere Seite langfristigen Bestand hatte."

Das schreibt Geoffrey Ingham in "The Nature of Money" über jene historische Phase, in der sich Politik und politische Macht erstmals mit dem Großkapital insoweit verbündete, als sie - in einem fortan geeinten Willen, in welchem sie dem "gemeinen Volk" gegenüberstanden - das Schicksal einer Nation bestimmten.

Dieser Punkt war das fast unvermeidbare Ergebnis einer seit dem 14. Jahrhundert immer drängender werdenden Verschuldung der englischen Könige. Die unter Heinrich VIII., der seine Vorfahren an Prunk- und Luxusliebe (bei gleichzeitigem Ehrgeiz in außenpolitischen Angelegenheiten, was im Klartext heißt: Kriegen) noch weit übertraf, so drängend wurde, daß dem König* "keine andere Wahl" blieb, als die Kirche zu enteignen. Die damals (rechnet man es in Geld um, wenngleich das niemandem eingefallen wäre außer ...) geschätzt die Hälfte der Vermögenswerte Englands besaß. 

Er nützte dazu geschickt kircheninterne Parteiungen, entledigte sich elegant moralischer Probleme**, samt den damit verbundenen schwerwiegenden Problemen der Legitimation seiner Herrschaft, und nannte diese Zerschlagung der Sozialgefüge samt der darauf folgenden Entwurzelung seines Volkes - wie wir Heutigen - nach lutherischem Vorbild "Reform" bzw. "Reformation". 

Für die Bevölkerung freilich änderte sich damit Gravierendes. Denn der Kirchenbesitz war im Wesentlichen Allgemeingut, und bis zur Reformation unter Henry VIII. war es jedem Briten jederzeit möglich, wenigstens seinem existentiellen Grundbedarf zu decken. Denn jeder konnte auf dem Kirchenbesitz ("Allmenden") ein paar Tiere halten, oder etwas anbauen, von dem er wenigstens grundsätzlich überleben konnte. Damit war nun Schluß. Denn fortan war alles Privatbesitz, und aus einst freien Bürgern wurden lohnabhängige Arbeiter. Sofern sie überhaupt Arbeit bei den neuen Herren fanden.

Die noch einen Preis vom König ausgehandelt hatten - den des absoluten Vorrangs des Schutzes des Eigentums. Der unter den gegebenen Voraussetzungen wie die Sanktionierung des Raubzugs an Land, Volk und Kirche wirkt.² Dieses Zusammenwirken von Staat und Kapital war die Voraussetzung für die Entwicklung des Kapitalismus selbst. Der die Macht des Staates braucht, um die Verbindlichkeit des Schuldners in ihrer Absolutheit auch durchzusetzen.³ Während dem Kapital - dem Geld - die soziale Verantwortung (also seine Aufgabe im Gemeinwohl) abgenommen wurde.

Als Wert zu Geld wurde

Noch wichtiger und meist nicht hinlänglich reflektiert - zu sehr wurden wir bereits umerzogen - ist dabei aber ein anderer Umstand: Es geht um die Etablierung von Geld als mathematische, rechnerische Abstraktion von "Wert". Diese Bedingung der "Sanierung" der Finanzen des Königs (die aber nur wenige Jahre hielt, und stattdessen die Notlage der Könige noch weiter verschärfte) veränderte völlig den Alltag der Menschen. 

Die bis dahin (und auslaufend bis ins 18. Jahrhundert) in einer Gesellschaft der "ständigen wechselseitigen Verschuldung" lebten, die aber in moralischer, persönlich zu bedienender Schuld bestand - also nicht in "Geld". In dieser wechselseitigen Verschuldung und Verschuldungsbereitschaft lag der Mörtel dessen, was wir mit "Sozialem Zusammenhalt" bezeichnen können. Worin er wiederum gemäß der christlich eingeforderten Nächstenliebe und Solidarität mit diesem Nächsten gestaltet war.

Geld, das nun aber aus zwei Quellen stammte, die sich zu einer vereinten bzw. wechselseitig konvertierbar wurden. Öffentlich (staatlich-königlich, seit dem frühen 18. Jahrhundert defacto als Metallstandard) und privat, durch die Banken und deren Kredit (vor allem im Wechsel) geschaffenem. Wo eine Seite gewissermaßen für die andere - und über die Steuern der Bürger für alle beide - bürgte. Denn Geld ist immer, wie gesagt, Schuld weil Leistungsversprechen. Das zwischenmenschlich auch ohne jede Münze fungiert, dort nur Ritus, Ritual, Symbol braucht. 

Die Münze ist lediglich das Symbol für ein Leistungsversprechen, entsprechend der Erfüllungswahrscheinlichkeit geschätzt und wertvoll. Und die Krone festigte den Wechsel, das Privatgeld, durch strenge Gesetze und - die Münze. Noch heute ist (auch bei uns) ein Wechsel sehr rasch und einfach einklagbar, und im Insolvenzfall bevorrechtet, hat also höhere Bonität als reines Buchgeld. Er ist, als privates Geld, somit sehr leicht in staatliches, königliches Geld - die Münze, den Geldschein - konvertierbar.

Der Metallgehalt der Münzen, den niemand geringerer als Isaac Newton als Schatzminister Englands reformierte und solide machte, war freilich nur im Austausch mit ausländischen, fernen Leistungen von Bedeutung als Zahlungsmittel. Dort aber oft auch nur der Metallwert. Münzen aus Edelmetall waren somit ein probates Mittel, um Wert aufzubewahren, nicht, um zu bezahlen. 

Dem einheimischen Bürger war auch das Edelmetall nur wirkmächtiges Symbol der Kaufkraft generell. Das zeigen die Münzen, die im Alltag in Gebrauch waren: Vom Metallwert her wertlose (Kupfer-)Münzen, die Kaufkraft per Konvention und deshalb nur in sozial homogenen (sic!) Räumen hatten, soweit eben persönliches Vertrauen herrschte. Aber in solchen begrenzten Räumen akzeptiert wurden, und somit als Zahlungsmittel taugten. Silber und Gold blieben dem Alltag fremd. Nicht selten hatte das Lokalgeld einen einzigen Bezugspunkt als "Wert" - und zwar dessen, was ein Arbeiter täglich (oder in einem bestimmten Zeitraum) zum Lebensunterhalt benötigte.

Alle diese Lokalwährungen (Anführungszeichen) wurden aber im königlichen Pfund vereint, das überall akzeptiert wurde: Es war zwar von einer (privilegierten) Privatbank herausgegeben, aber von der Krone (in Gold) garantiert worden, und war so der Hauptanker aller übrigen Banken und Zahlungsmittel. 

So nebenbei: Diese Balance der Macht, die in England zwischen diesen beiden Schichten stattfand, Finanz mit Finanzadel und Krone, war aber die Basis für Englands Aufstieg zum Weltimperium. Während zu viel Macht - wie im absolutistischen Frankreich, oder den kleinen italienischen Stadtstaaten - den Staat unfinanzierbar machte (s. o.). In England war eben nun das Parlament verantwortlich, ob Kredite aufgenommen und Zins und Tilgung durch Steuern eingehoben werden sollten oder nicht. Was alles im Frankreich auch des 18. Jahrhunderts der König höchst selbst entschied. 
Während somit der Staat in Frankreich immer noch Mittel der Bereicherung von Einzelpersonen war, war er in England bereits zum Mittel geworden. Das den allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand durch hohe Flexibilität in der Schaffung von Geld (sic!) durch Kredit ermöglichte. 
Es ist auffällig, daß bis ins 20. Jahrhundert die Staaten mit der höchsten - zählbaren - Wirtschaftsleistung auch die Staaten mit dem nachhaltigsten, größten und dynamischesten Kreditwesen waren, nämlich England und die USA. In diesen beiden Staaten verschmolzen Staat und Privat (mehr oder weniger) in einer Aufgabenstellung.

Ohnehin war Münzgeld stets (und in allen Völkern) lediglich und immer schon bekannter Ausgleich "an den Rändern". Und dort vor allem an den Berührungspunkten mit "den Fremden", also den Nicht-Engländern, den Ausgestoßenen, den "Anderen". Einmal etabliert, und zwar schon dadurch, daß die eingeführten Steuern fortan nur noch in Geld (!) zu bezahlen waren, setzten einen Kreislauf in Gang, in dem jeder Bürger imperativisch fortan nach Geld (und NUR nach Geld) zu streben hatte. Bis alles Streben nur noch dem Gelde diente, der Mensch sogar sich selbst (und seine Liebsten) in Geld bemaß und (sogar buchstäblich) verkaufte.***

Innerhalb von hundert Jahren war aber aus einem Land, das noch im 15. Jahrhundert bekannt dafür war, daß es jedem seiner Bewohner mehr oder weniger gut ging und das seiner Gastfreundschaft und Mildtätigkeit wegen gerühmt wurde, ein Land mit einer riesigen Schichte Elender. In dem eine kleine (und durch Konzentrationsprozesser immer kleinere) Schichte immer reicher wurde.

Aus ihren Heimaten**** expedierte Menschen suchten ihr Überleben in den Großstädten (vor allem in London). Dort vegetierten sie mehr denn sie lebten, zu sagenhaften Bedingungen. Erstmals gab es Massen an Lohnabhängigen, an Menschen, die ihre Arbeit als Ware (und darin zunehmend als abstrakte Funktion) betrachten mußten, die sie zu verkaufen hatten. Erstmals entstand also das, was man als Proletariat bezeichnen konnte. Zumal durch die neuartige Konkurrenzsituation der Arbeitenden auch die Löhne so stark fielen, daß man selbst mit Arbeit kaum mehr als notdürftig existieren konnte.

Morgen Teil 2) Die ungeschminkten Anmerkungen



*091220*