Tatsache bleibt, daß es so war. Und das "es" schrecklich war. Denn man war ganz auf die jährliche Ernte angewiesen, und zwar sowohl an Lebensmitteln als auch in der Vorsorge fürs Saatgut fürs nächste Jahr.
Man produzierte JUST IN TIME. Das heißt immer so viel, wie gerade gebraucht wurde. Denn es fehlte nicht nur an Lagermöglichkeiten, sondern niemand dachte daran, weil die Umstände für beherrschbar gehalten wurden.
Es waren so wenige Arbeiter übrig, schrieb ein anderer, daß niemand wußte, wo er Hilfe bekommen würde.
Ob das aber der Krankheit wegen (oder "nur" ihretwegen) war, ist nicht so einfach zu sagen. Vielmehr verbreitete sich wie ein Beifahrer zur Pest überall und in gleicher rasender Geschwindigkeit das Gefühl einer zerstörten Zukunft.
Als hätte diese Stimmung auf einen Anlaß gewartet, nicht umgekehrt. Und diese Stimmung steigerte sich zu einem Orkan der Untergangsgewißheit, der eine Art Wahnsinn der Hoffnungslosigkeit verbreitete.
Ein bayrischer Chronist aus Neuburg an der Donau überliefert, daß Männer und Frauen wie verrückt umherwanderten und das Vieh vernachlässigten, weil "niemand sich um die Zukunft sorgen wollte." Die Felder wurden nicht mehr bestellt, im Frühjahr nicht gesät. Mit der schrecklichen Energie der Natur kroch daraufhin die Wildnis über große Teile gerodeten Landes, Deiche verfielen, und Salzwasser säuerte die tiefgelegenen Weideflächen.
Mit den weniger verbliebenen Arbeitskräften, die das Werk von Jahrhunderten erhalten oder wiederherstellen wollten und konnten, ergaben sich nach den Worten des erwähnten Chronisten die Menschen der lähmend deprimierten Einsicht, "daß die Welt nicht mehr so reich wie vorher werden könne."
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Ob gestern, ob heute, wen kümmert's. Geschehen ist immer das Spiel des Umgebenden mit der Emanation zeitloser Wirklichkeit als unsichtbarer Quelle von allem.
Wovon deshalb auch hier die Rede ist, ist dem Leser sicher schon längst erkennbar. Es geht um den Ausbruch der Pest im 14. Jahrhundert. Aber waren Sie, werter Leser, in der bisherigen Lektüre nicht doch auch manchmal unsicher, ob die Zitate und Aussagenkompilationen nicht doch die in Jahreszahlen aktuellste Gegenwart meinen?
Das wäre nämlich so gar nicht verwunderlich, denn genau das war der Grund, warum der VdZ diesen Beitrag und warum er ihn so verfaßte. Der Passagen aus Geschichtswerken aufgreift, die über die Pest berichten.
Die - vermutlich von den Karawanenwegen ausgehend, die auf der Krim aus Asien und vor allem China kommend eintrafen, wo asiatische Kaufleute Handel mit den Kaufleuten aus Nord-, Süd-, Westeuropa und Kleinasien trieben - im Jahre 1348 in Messina (Sizilien) erstmals auftauchte, und sich binnen weniger Monate über Marseille und die Rhone, über die Fluß- und Seewege nach England und von dort nach Skandinavien kam, und die sich von Genua und Venedig aus über die Alpen bis nach Ungarn schlich.
Es waren genau genommen zwei Weisen, wie sich die Beulenpest genannte Infektionskrankheit zeigte. Eine war die buchstäbliche Beulenpest, die sich in Armbeugen durch eigroße Geschwüre äußerte, welche schließlich unter furchtbarem Gestank aufbrachen. (Gestank, furchtbarer Gestank war überhaupt eines der Kennzeichen von Pest.) Die andere zeigt sich in den Lungen und verbreitete sich über Atemansteckung.
Die den Papst in Avignon zu einer Berechnung veranlaßte, dergemäß von zwanzig Millionen Toten zu sprechen sei. Das wäre ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas gewesen.
Eine Größenordnung, die aber recht sicher auch und sogar eher symbolisch zu verstehen ist, und sich nicht zufällig mit dem "Drittel der Erde" aus der Offenbarung des Johannes deckt.
Wie gesagt, es ging dem Mittelalter (und es geht in Wahrheit auch heute) um Wirklichkeiten, nicht um Erbsenzählereien. Und das Zeitgefühl damals war ... Endzeit, Verfall, Wende, Neubeginn ... Reset, wie man heute sagt. Und das ist, wie dem Leser nun vielleicht klar ist, längst nicht die einzige Parallele zum Zeitalter der Pest.
Zuvor hatte man von diesen schrecklichen Krankheiten, die die Befallenen binnen Stunden hinwegraffen konnte, nur aus Berichten über ferne Länder im Osten und Südosten gehört.
Dort war sie erstmals ausgebrochen, diese heimtückische und geheimnisvolle Krankheit, die ebenso plötzlich verschwand, wie sie in Europa aufgeplatzt war. Sie kam, das kann man heute recht sicher sagen, von der Krim, einem der weltweit bedeutendsten End- und Distributionspunkte der von den Karawanen herbeigeschafften Lieferungen von Seide, Gewürzen, Aloe.
Bezahlt mit Gold und Silber aus Europas Bergwerken. Denn sonst hatte das damalige Europa noch recht wenig an tauschfähiger Ware zu bieten. Doch mit Bodenschätzen konnte bezahlt werden. Die mit einem Wort für Produkte des hohen Wohlstandes abgebaut wurden, wie er sich in Teilen Europas in uns heutigen wohl erstaunendem Maße bereits gebildet hatte.
Im ganz fernen Osten war diese Krankheit entstanden, die dann über den Handel, zuletzt mit Frachtschiffen Genuas, diesem Zentrum des in den Kapitalismus aufbrechenden Abendlandes, ins Zentrum des Kontinents kam, und zu dessen apokalyptischer Plage wurde. Die Hölle war losgebrochen. Und das konnte nur der Wille Gottes sein, als das göttliche Strafgericht wegen der Sünden der Menschen.