Wieder einmal mit Shakespeare, diesmal "King Lear", als Aufzeichnung einer Aufführung des Wiener Burgtheaters, unter der Regie von Luc Bondy, mit Gerd Voss in der Titelrolle. Aber anders als die Zeitungskritiken ist die Meinung des VdZ zu dieser Inszenierung (die er vor Ort gesehen hat) keineswegs so positiv, und die schauspielerische Leistung von Gerd Voss in seinen Augen recht fragwürdig. Oder, um es mit den Worten einer dem VdZ bekannten Regisseurin zu sagen: "Der schreit doch nur!"
Ja, leider ist auch das Schauspiel heute oft recht verkommen und methodisch (bzw. eigentlich "methodistisch") verkümmert. Aber es wäre ein Fehler, dafür die Schauspieler verantwortlich zu machen. Sie versuchen vielmehr oft, mit viel Expressionismus eine der Inszenierung und schon gar WEIL DAMIT (das Ganze ist es, das das Einzelne vorgibt, als Licht, das aufleuchten läßt, was in den Elementen auf der Bühne "da" ist) ihrer Figur fehlende Logik der Entwicklung und Seelensituation zu ersetzen.
Das ist umso tragischer, als genau dieses Insgesamt - bis hinein ins kleinste Detail der Figuren und Charaktere - bei wahrscheinlich keinem Schriftsteller der abendländischen Kultur dermaßen wahrhaftig (und bühnengerecht entfaltet) ist wie bei Shakespeare.
Vieles an dem Schreien - auch von Gerd Voss, der doch, das steht außer Frage, ein großartiger Schauspieler "an sich" ist - ist somit eine verzweifelte Suche nach Halt in einem großen, gähnenden Nichts, in das die Darsteller gezwungen werden. Das kann dann zur Manie, zum Habitus werden, dem auch ein Voss verfallen ist. Und zwar weil er in langen Jahrzehnten der "Zusammenarbeit" mit Klaus Peymann, dem großen "Meister" des Regietheaters, an solch eine Art des Schauspiels gewöhnt, durch viel falsches Lob verlockt worden ist. Was bleibt dann einem Mann wie Voss noch übrig als sein Handwerk so gut es geht zu betonen?
Jaja, das Regietheater ... in dem sich ein Regisseur (oder die Bühnenintendanz, oder beide) selbst zu verwirklichen sucht, anstatt das Stück, die Intention des Autors umzusetzen, die sie bei Klassikern noch dazu oft schon gar nicht mehr verstehen, weil es ihnen an Geist fehlt.
Ob Peymann, der das Desaster seiner Inszenierungen bis heute nicht mitbekommen hat, weil er die Kritikerszene mit seiner Eloquenz genauso eingewickelt und geblendet hat wie die Zuschauer, sodaß er die institutionalisierte Kritik (sieht man von wenigen Ausnahmen ab, der VdZ denkt da an Karl Löbl) verbildet und kastriert hat, noch einmal begreifen wird, worin er gefehlt hat, darf man hoffen, aber als unwahrscheinlich bezweifeln. Zu sehr hat er sich in seiner eigenen Wirklichkeitsangst bereits eingewickelt, in der sich sein Narzißmus (die leibhaftigste Reaktion auf Wirklichkeitsangst aus mutter-gebundenen Kuschel-Embryonalismus) einen bombenfesten Kokon gesponnen hat.
So wie es ein anderer großer Name des Regietheaters, Peter Zadek, in seinem letzten Lebensjahr, in der Katharsis seiner Krebserkrankung, noch geglückt ist, wie er in seinen dreibändigen Memoiren bereuend analysiert. Wo er bekennt, wie sehr er alle - und sich - getäuscht hat. Indem er kaltblütig auf dem Pferde des nachkriegs-verschüchterten Deutschland "als Jude" zur Entfaltung seiner kindischen Frechheiten förmlich ermuntert wurde.
Während er sich zuvor in England, das in seiner ungebrochenen, verbindlichen (sic!) Bindung ans Publikum - der Voraussetzung für die Liebe, die auch für das Theater unabdingbar, wiewohl gerade nicht Ohrenbläserei ist - all die lächerlichen Theatermoden des Festlands verabscheut hat, nicht nur nicht durchsetzen konnte, sondern wegen seiner Unbildung und Inkompetenz regelrecht verjagt wurde.