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Samstag, 30. Januar 2021

Kein Leben außerhalb des Tanzes (1)

Was ist nützlich? Vielleicht wird mancher Leser, Gott hab ihn lieb, verblüfft sein, wenn dieser Frage die Frage nachgeschoben wird, was dieses "nützlich" denn überhaupt sei? Aber dann wird es transparenter, wenn der Leser sich beim Denken zusieht. Er wird nämlich sehen, daß er dazu ein Menschenbild sowie eine Interpretation der Geschichte (sogar der Welt) aufruft. Erst vor deren Hintergrund wird definierbar, was nützlich sei. 

Wenn man den Nutzen nicht nur in Hinblick auf ein Gesamtziel der Geschichte (die den Menschen einbegreift) abschätzt, sondern auch den Willen mitdenkt, daß die Erreichung dieses Zieles einem weiteren, noch umfassenderen Ziel dient. (Und sei es: Das Überleben oder Bestehenbleiben der Menschheit.) Diese Antwort ist deshalb als "letzte" Antwort zu finden, weil sie den Bereich des rein Materiellen verlassen muß. Sie muß also transzendent werden, den Interpretationsrahmen der bloßen Physik verlassen, und das gesamte physische, materielle Geschehen in einen geistigen Rahmen einbetten. 

Damit ließe sich das Leben der Menschen auf einen Punkt bringen: Daß es seinen Sinn nicht nur als das letztlich jedes Einzelhandeln motivierende Ziel ("auf - zu") erkennen läßt, das auch Prioritätenhierarchien aufstellt, die nicht nur dem Urteil als Grundlage dienen, um im Entscheidungs- und Wahlfall zu erkennen, was wichtiger, besser ist als etwas anderes, sondern gleichermaßen das menschliche Handeln (als das Weltbestimmende; denn es wäre über Sinn menschlichen Handelns gar nicht entscheidend - sondern höchstens resignativ als Suche nach einem "was habe ich sonst vielleicht doch davon?" - nachzudenken, wenn die Vorgänge, das Schicksal der Welt vom Menschen gar nicht beeinflußbar wären), sondern daß dieses Ziel als Gerichtetheit und Kriterion des Handelns aus einer menschlichen Zielsetzung, also aus einem menschlichen Akt stammt. Ja mehr noch. 

Es wird nun erkennbar, daß die Gestalt und Struktur menschlicher Gesellschaft durch diese Zielsetzung zur Kultur wird, weil nicht nur alles Handeln, sondern auch jede Institutionalisierung (als die entscheidenden Fix- und Fundamentpunkte) aus einer Sinngebung folgt. 

Daß dieser Sinn einem vorliegenden Sinn folgt, ist ein Nebenprodukt dieses Erkennensweges. Es ist insofern von Bedeutung, als das Gelingen menschlichen Handelns aus dem Erreichen dieses vorliegenden Sinnes - dem der menschlich definierte, somit zur expliziten Norm gesetzte Sinn "Gehorsam" sein muß und folgt - beurteilt wird. 

Die menschliche Welt - und eine andere gibt es nicht - ist eine Symbolwelt

Aber damit wird auch klar, daß das menschliche Handeln, die Gestalten und Dinge, mit denen der Mensch seine Welt als der Bühne seines Welttheaters "vollstellt", eines ist: Symbol. Was bedeutet, daß in ihm - noch einmal: In jedem Handeln, in jedem "Produkt", in jeder festgesetzten Institution, in der wiederum ein Gelingen angestrebt, gewissermaßen "garantiert" wird - ein Sinn mit einem konkreten Material verschmilzt. Sym-bol. Es paßt etwas zusammen, das als Einzelstück Scherbe eines Ganzheitsbildes ist. Was im tiefsten Sinn sogar einem Rechtsakt vergleichbar ist (und im antiken Griechenland auch in diesem Sinn verwendet wurde).

Sinn und Materie. Sinn als Formierendes, als Informierendes (was bereits ein actu der Form ist) von Materia, die erst dadurch zur Gestalt wird. Es ist somit der - dem Transzendenten entstammende - Sinn, der die Welt zur Welt der Kultur macht. Und damit die Welt insgesamt in ein Sinngefüge hineinstellt, das einem vorgegebenen Sinn folgt und im Grad des Gelingens mehr oder weniger entspricht.

Damit kehren wir endlich wieder an den Ausgangspunkt zurück. Wo wir die Frage nach der Nützlichkeit gestellt haben. Um festzustellen, daß diese Nützlichkeit von einem transzendenten Sinn abhängt, den der Mensch setzen muß. Was gleichbedeutend mit Kultur ist. Was wiederum bedeutet, daß die Welt des Menschen, die immer eine Welt der Kultur ist, nur in dem Grad eine Welt der Kultur ist, als es gelingt, Sinn zu erfüllen. Und zwar durch Dinge, durch Gestalt, die der Mensch setzt, und die Symbol ist.

Das ist auch der springende Punkt in den Untersuchungen des Ethnologen Marshall Sahlins. Der sich mitten in der 68er-Revolution des vorigen Jahrhunderts gegen ein materialistisches, marxistisches Kulturmodell ausspricht. Weil er in all seinen Fall- und Feldstudien der Welt, sei es bei sogenannten primitiven, sei es bei sogenannten zivilisierten Völkern (also bei "uns", zumindest bewerten es die meisten so - daß wir das "Bessere" in unserem Besitz haben), entdeckt hat, daß sich im menschlichen Handeln egal auf welcher Ebene eine Priorität des Transzendenten einerseits, und eine Kultur als Kultur gesetzter Symbole anderseits abgezeichnet hat. Es sind nie die materiellen Bedürfnisse, gewissermaßen, es ist nie der Satz "erst das Fressen, dann die Moral", sondern es ist ERST die Sinnerfüllung, und DANN das "zu Fressende", das durch den Sinn eben genau das nicht mehr ist: Fressen. 

Morgen Teil 2) Das Schöne ist auch gut. Tanz und Moral sind Geschwister.


*260121*