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Montag, 18. Januar 2021

Oh, dieses Übel der Natur (1)

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Der Originaltitel der hier beigefügten Zeichnung von James Gilray lautet "Farmer Giles and his Wife showing off their daughter Betty to their Neighbours on her return from School", und er hat sie im Jahre 1809 angefertigt. Sie zeigt eine mit ungeheurem Scharfsinn getroffene Situation, in der das sichtlich entzückte Bauernelternpaar die (durch die Reaktionen der übrigen Personen erkennbare) dilettantischen Fähigkeiten am Klavier präsentiert. Das Ehepaar demonstriert damit seinen sozialen Aufstieg, den es durch Geld erreicht zu haben meint. Sichtbar wird das durch den Edelmann (siehe die Perücke, also die "whig"). So sind also die neuen Zeiten, in denen neue Mechanismen wirken, die den Menschen ihren Ort zuweisen, der ihnen fortan ihre Identität gibt. Ein Ort, den erworbenen Fähigkeiten, also Schulen, schulische Titel und Ausbildungen definieren.

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Großartig wird aber vom Maler vor allem eines getroffen: Die Veränderung des sozialen Gefüges, die durch den Umbruch des Selbst- und Identitätsverständnisses durch ein grundlegend verändertes Weltbild bewirkt hat. Durch die Aufklärung, die weithin als neuer autoritativer Maßstab eines veränderten Verständnisses von Welt Raum griff, brach auch die Identität ein. 

Von einer vorgegebenen Einheit eines Ortes, der Identität nicht nur gab und zuteilte, sondern durch diese Identität auch ein nahezu vollständiges Bündel an Verbindlichkeiten und Rechten der Umwelt gegenüber festlegte wie forderte, von einer Gabe der Welt an das Individuum selbst also veränderte sich das Bild eines gesellschaftlichen Gefüges zu einem (buchstäblich) irgendwie" sich findenden Mosaiks, das aus "Eigenschaften", Tätigkeiten, für sich zu sehende "Begabungen" erwuchs. Und zwar im Sinne von "sich (irgendwie) von selbst finden". 

Es ist auch jene Epoche, in der der Wirtschaftsliberalismus zur dominierenden Sichtweise von Wirtschaft und Volkswirtschaft wird. Und es ist auch jene Zeit, in der Napoleon dieses Konzept einer sich "irgendwie" aus faktischen Begabungen und Kräften zusammenfindenden Weltordnung in die Tat umsetzte. Und nicht nur ganz Europa neu ordnete, sondern - Gott sei's gedankt - die gesamte Welt neu zu ordnen versuchte. 

Wäre er nicht schon bei den ersten Versuchen dieser Art jämmerlich gescheitert - und zwar an den realen Kräften seiner Marine und seiner Armee. Abukir, Trafalgar, Spanien, Haiti und der gesamte karibische und den Süden Nordamerikas erfassende Raum (mit einem nächsten Opfer, nämlich Mexiko), wo das französische Konzept einer Revolution von unten gestiftet wurde, um dann entweder zu Chaos (Haiti) oder (und) zum Recht und zur Legitimation eines neuen Stärkeren, der Vereinigten Staaten, wurde. 

Wenn es also eine Charakteristik gibt, die das 19. Jahrhundert wirklich kennzeichnet, dann ist es die Suche nach einem neuen Ort. Die ausgehend von der Zerstörung jedweder alten auf sämtliche Bereiche des Menschseins übergriff. Im Windschatten dieser Entordnung aber konnten sich auch neue bestimmende Hierarchien etablieren, die sich im kapitalistischen Wettbewerb, legitimiert durch eine grundsätzlich neue Schöpfungsordnung, nämlich der einer Evolution "aus sich heraus", in der das Prinzip des Stärkeren zum Weltprinzip überhaupt wird. 

Das neue Paradigma war fortan Rücksichtslosigkeit, das neue Idealbild wurde die Bildungslosigkeit, die sich als das Fehlen jedweden zwischenmenschlichen Feingefühls als erstes zeigt, und damit die Auflösung jedweder Kultur zum neuen Maßstab macht. Sieger wird nun der, der mit den herumfliegenden Trümmern, in denen das Echte weil ontologisch im Wesen des Menschseins (als Kulturwesen) begründete Sein um Halt und Boden ringt.

Kehren wir nun zum Bild zurück. Das Mary Douglas so klarsichtig mit einem neuen Titel versieht. Den der erste Titel des Bildschöpfers zwar bereits enthält, der aber die Größe des Kunstwerkes schon damit erkennbar macht, als es über die Zeit hinaus seine Gültigkeit im Darstellen des Wirklichen und damit Zeitlosen - als Schema, als Archetyp menschlicher Kultur - beweist. Die Anthropologin nennt in "The World of Goods" das Bild

"Farmer Giles and his Wife Put Their Daughter Through Her Paces for a Prospective Husband".

Denn die Bauern haben (in ihrer Schläue) sehr gut begriffen, was diese neue Ordnung erst zu einer solchen macht: Und das ist die Verheiratung. Zwar müssen wir feststellen, daß deren Stellenwert auf kaum noch zu überbietende Weise gesunken ist. Doch zugleich können wir sehen, wie das Dämonische langfristig wird: Weil es in sich widersprüchlich ist, ruft es langfristig immer das Gegenteil dessen hervor, was zu erreichen es ursprünglich auszog. 

Denn es war zwar das Ziel der Revolution, die alten Ordnungen zu zertrümmern. Doch zeigt sich gerade in der Ehe, daß die Folge keine neue Ordnung war und ist, sondern die völlige Orientierungs- weil Ortslosigkeit aller Menschen. Die Ehe ist ja dem Menschsein - das eine Existenz als Mann und Frau ist, die im jeweils anderen zu sich selbst finden ("Das Ich liegt im Du") - so grundsätzlich, daß man sie "konstitutionell" nennen muß. In ihr wird zugleich sichtbar, wie sehr das Menschsein generell auf die Umgebung, auf die Gesellschaft also ausgerichtet ist. Denn die Ehe steht wie jede Identität auf zwei Beinen. Der des Subjekts, und der Gesellschaft, die dieses Subjekt als "jemand" erkennen will. 

Nur dann kann sie die Beziehung überhaupt erst gestalten, und nur so wird "das andere" ebenfalls zu sich selbst. Eine Individualisierung ohne Gesellschaft (ohne Ehe bzw. einer der Ehe gleichzustellenden Zugeschriebenheit wie bei Ordensleuten oder bei Menschen mit einer Aufgabe, einem Ort, der sie ganz umfaßt und einbegreift ohnehin) ist also gar nicht möglich.

In der Beziehung von Mann und Frau wird aber noch eine Eigentümlichkeit der Identität sichtbarer als sonst, und das ist die Gegebenheit von Identität DURCH den anderen bzw. die anderen. Denn die Frau ist in ihrer Identität völlig auf den Mann* (bzw. eine den Ehe-Mann real ersetzende Person) ausgerichtet. Sie muß ihr in der Welt-sein vom Mann erhalten. Was am klarsten in der Ehe geschieht, und in den Ritualen der Eheschließung bis zum heutigen Tag ausgedrückt, wenn auch kaum noch gewußt wird. In diesem Fall: Wenn der Vater (als der erste "Mann") die Hand der Braut dem (neuen) Mann in dessen Hand übergibt, und die Frau fortan die Identitätsform des Mannes - dessen Name FÜR die Welt, also dessen Namen - trägt.**

Douglas hat die Heiratsdaten in England im 20. Jahrhundert analysiert. Und sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sich Frauen und Männer in der Wahl ihrer Partner bemerkenswert unterscheiden. Männer sind "standes-konservativ", aber auch ihrer Macht bewußt, eine Frau Identitär zu bestimmen und damit "zu heben". Das heißt, daß sie statistisch signifikant Frauen heiraten, die entweder ihrem Stand gleich oder diesem unterlegen sind. Das heißt, sie heiraten auch "Frauen von unten". Anders Frauen. Sie tendieren nicht nur deutlich dazu, entweder einen Mann ihres bereits bestehenden Standes zu ehelichen, sondern sie neigen dazu, einen Mann in einem Stand "über ihnen" zu heiraten. Gleichzeitig aber verweigern sie die Heirat mit einem Mann aus einem Stand "unter ihnen". 

Das führt aber noch weiter. Und was hier herausgefunden wurde ist interessant, denn wir haben es hier mit einem brandaktuellen Thema zu tun. Wenn Frauen keinen Ehemann (als Anker und Quelle ihrer Identität) aus ihrem oder einem übergeordneten Stand finden (vielleicht, weil sie bereits zum obersten sozialen Rang gehören, dazu noch unten) und heiraten 

- der Leser sei erinnert: In dieser Proportion herrscht zwangsläufig Ungleichgewicht, also Mangel; weil Männer bei der Frauenwahl auch "nach unten" greifen, entsteht für Frauen (deren substantielle Identität vom Vater stammt) ein Mangel an Männern des gleichen und in der Folge auch des überlegenen Standes - 

heiraten sie GAR NICHT. Was in jedem Fall heißt, daß sie kein stabiles soziales Gefüge finden, das ihnen einmal Identität und dann auch die Erfüllung genuin weiblicher Früchte bringt. Das sind namentlich Kinder. Die selbst ja wieder auf stabile Elternverhältnisse angewiesen sind, wollen sie seelisch-geistig gesund bleiben, und das heißt wirklich produktive, schöpferische Elemente in einer Gesellschaft sein.

Morgen Teil 2) Walle walle manche Strecke, guter Topf,
denn es kommt noch mehr Krötenbein dazu, ehe das Bild sichtbar wird


*140121*