Allfälligen Feierlichkeiten rund um das 150-Jahr-Jubiläum der "Gründung des Deutschen Reiches" etwas abzugewinnen braucht schon ein eigen Gemüt. Das in den Augen des VdZ mit darauf aufbauen sollendem "Patriotismus" nicht sehr viel anfangen kann. Doch während wir darauf nicht weiter eingehen wollen, sollen zwei der zahlreichen fragwürdigen Meilensteine auf dem Weg zu diesem (nie legitim gewordenen) "Deutschen Reich", auf dem immerhin das heutige "Deutschland" beruht, mag man es drehen und wenden wie man will, aufgegriffen werden. Deren Auswirkungen auf das europäische Gefüge katastrophal waren. Und nicht nur darauf, sondern auch auf das Schicksal der deutschen Völker, vor allem derer in heute nicht mehr zu diesem Staat gehörenden ehemaligen "Ostgebieten". Allen voran ... Schlesien.
Schlesien war zu einer Zeit, in der nicht mit der Blechmünze von Nationalstaaten gehandelt wurde, stets Teil der böhmischen oder der mit dieser (wie mit der ungarischen) stets eng verbundenen polnischen Krone verbunden. Mal gehörte es dieser an, mal jener. Was insofern unbedeutend war, als der geographisch viel größere mitteleuropäische Raum kulturell einheitlich war. Über Sprache als Kriterium hatte da niemand nachgedacht. Und das Schlesisch verschmolz an den Rändern mit seinen Nachbarvölkern. Wie den Polen, wie den Tschechen, wie den Sudetendeutschen, wie den Westpreußen, wie den Sachsen.
Eine "nationelle Zugehörigkeit", wie sie im 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert als angebliche politische Angelegenheit aufkam, wurde, wie sollte es anders sein, aus verlogenen Gründen des Machtpragmatismus von Kardinal Richelieu eingeführt, als es darum ging, die Okkupation von Lothringen mit der Tatsache zu rechtfertigen, daß das dortige Volk mehrheitlich "französisch spreche". In einem 17. Jahrhundert gesagt, wo sich nirgendwo jemand Gedanken darüber gemacht hatte, daß angeblich Sprache, nicht Geist und Lebensweise, daß "leibliche Abstammung", nicht das Prinzip geistiger Vaterschaft über Volk und Kulturraum bestimmt hatten.
Das gilt auch für Schlesien. Denn dieses "deutsche Volk" war seit je entweder unter polnischer, oder unter böhmischer Krone oder (wie später und in gewisser Hinsicht) "Staatszugehörigkeit" gestanden. Nach nationalem Begriff war Schlesien wunderbarerweise also gar nie "deutsch" gewesen! Und das sagt ein Halbschlesier ... ausgerechnet.
Naja, ab 1526 war es ja "österreichisch". Oder? Nein, eben nicht, sondern "habsburgisch". Der Herrscher war der Vater, das Volk seine Kinder. Vor allem in Oberschlesien war deshalb die "ethnische" Struktur des Schlesiervolkes recht gemischt.
Wobei: Gemischt war eher die Sprachigkeit, die sich in Oberschlesien zum (leider) von den Niederschlesiern oft recht verachteten "wasserpolackisch" verschmolzen hatte.
Einer Sprache, die im wesentlichen einer deutschen Grammatik folgte, aber von polnischen Begriffen und Eigenheiten durchzogen war. (Wäre alles so geblieben, wer weiß, ob wir es heute nicht mit einer eigenen Sprache zu tun hätten, wie beim Niederländischen, oder wie es beim Hoanzischen, dem "Deutsch" der ost-mitteleuropäischen Deutschen, die ehedem im Bereich der Habsburgermonarchie gelebt hatten, wohl gekommen wäre.) Dies eingefügt, um die Fragwürdigkeit und Komplexität eines "Spracharguments" beim Bestimmen eines "Volkes" ein wenig anzuleuchten.
Ein Jahrhundert nach Richelieu hatte sich freilich der Preußenkönig, der aus dem Hause der Hohenzollern stammende Friedrich II., den Kreisen wie die oben genannten Reichsbewunderer, gerne als "Der Große" bezeichnen, ebenfalls über all das noch keine Gedanken gemacht. Auch hier wurden solche Sichtweisen erst einiges später eingeführt um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen war. Daß es sich hier (wie zuvor schon bei der Besetzung Sachsens) um reine Beutezüge handelte. Denn wie Sachsen, war auch Schlesien ein reiches Land, mit Bodenschätzen, und einer zahlreichen, sehr arbeitsamen und wachen Bevölkerung.
In insgesamt drei Kriegen hatte Kaiserin Maria Theresia (und bei ihr war der Titel legitim, weil er sich auf den Kaiser, ihren Ehegatten, bezog, dessen Geschäft sie gewissermaßen stellvertretend, "von seinem Stuhle aus" erledigte) versucht, diese ihre "Perle in der Krone" zurückzuerobern. Und fast wäre es gelungen, hätte nicht buchstäblich in der letzten Sekunde eine neue Zarin den Regentenstuhl in St. Petersburg besetzt. Die Friedrich und seinen aufgeklärten (das heißt: prinzipienlosen, technischen) Sinn bewunderte, und ihm den Rücken stärkte. Sodaß Schlesien 1763, nach dem dritten Schlesischen Krieg, wirklich und definitiv an Preußen fiel. An dieses Königreich ohne Volk, denn "Preußen" (als gewissermaßen ethnisches Volk) gab es damals schon gar nicht mehr in "Deutschland", sondern nur noch "preußische Könige." Aber das ist ein anderes Thema.
Aber wer da meint, es wäre dem Wiener Kaiserhaus nur um Reichtum und Einfluß gegangen, oder um ein paar schöne Städtchen, der irrt gewaltig. Denn anders als die Preußen, die es nie lernten, war das Haus Habsburg gewohnt in gesamteuropäischen Dimensionen zu denken. Und so gesehen, hatte das Herausreißen Schlesiens aus der böhmischen Krone (und nur darum ging es, denn die Habsburger waren auch seit 1526, nach dem Schlachtentode des Ungarnkönigs bei Mohacs gegen die Türken, die Könige Böhmens) verheerende Auswirkungen auf das Gleichgewicht in Mitteleuropa. Unter dessen Verlust Europa - GESAMT-Europa - bis zum heutigen Tage schwer leidet.
Gleichgewicht heißt, daß eine gewisse Stabilität gewahrt bleibt, die darauf aufbaut, daß die Interessen einzelner Völker nicht unter die Räder geraten. Das geschah aber nun mit dem sogenannten Frieden von Hubertusburg. Denn mit dem Verlust von Schlesien als Teil der böhmischen Königskrone begann ein nächster Stein zu wackeln. Und er tat dies im nächsten Jahrhundert, bis es zur nächsten Katastrophe kam. Die Rede ist hier vom Sudetenland.
Die Rede ist davon, daß mit dem Wegfall von Schlesien im Prager Hradschin, der "Reichs- und Ständeversammlung", die Deutschen plötzlich in die Minderheit gerieten. Zum ersten Mal wurden die slawischen Tschechen die bestimmende Mehrheit! Damit wurde nicht nur der ethnische Nationalismus sogar initiiert - denn sein Aufkommen hat mit dem Zerfallen des Volksbegriffs als Familie zu tun, die mit leiblicher Abstammung nicht primär zu tun hat - sondern er wurde den nunmehr (auch territorial ausgedrückt) zu Randexistenzen zurückgedrängten Sudetendeutschen zum tragischen Schicksal.
Nicht nur, daß er sich selbst wiederum auf Schlesiens Situation ausgewirkt hat - auch dort war im 20. Jahrhundert die historische und angestammte Rolle der deutschsprachigen Menschen in ihrem größeren geographischen Raum (Böhmen) geschwächt (sodaß sie heute in der Tschechei wie in Polen wie historische Fremdkörper, wie "fremde Okkupanten" dargestellt werden) - hat es diesen ganzen Raum in ein labiles Ungleichgewicht gestürzt, das sich bis heute durch besondere Empfindlichkeiten auszeichnet.
Ein weiteres Mal hat Preußen eine ähnliche Katastrophe über die deutschen Völker gebracht. Und das geschah 1866 mit Königgrätz, das geschah 1871 mit der "kleindeutschen" Lösung, also einer Reichslösung ohne die Habsburgervölker. Nicht nur hat damit dem "Kleindeutschland" die Legitimation des Kaiserhauses gefehlt, sondern ein gutes Drittel der Menschen in deutschen Volkschaften kam im Habsburgerreich unter die Räder, und wurde nicht nur (außen-)politisch geschwächt, sondern führte zum letzthinnigen Zerfall der Ordnung im gesamten Mittel- und Osteuropäischen Raum, mit zahllosen Tragödien der Vertreibung speziell nach 1945 und 1946. Dem nicht nur seit 1918 ein Prinzip der Ordnung fehlt, sondern in dem Millionen Menschen getötet, drangsaliert und vertrieben wurden.
Auch das, werte Herrschaften, wird der Herr und Gott einmal auf der Rechnung der Preußenherrscher finden. Ob die da noch als "groß" gelten werden bleibt freilich zu bezweifeln.