"Nach des Verfassers Überzeugung muß man sich gegen das, was man als das Böse erkannt hat, bestimmt erklären, und kann er die Toleranz in diesem Falle nicht nur keineswegs rechtfertigen, sondern muß sie mindestens als Schwäche tadeln. Von dem Europäischen Standpuncte aus aber erscheint das in Nord-America vorherrschende Bestreben als entschieden feindselig, als in einem schneidenden Widersprüch gegen alles Dasjenige, worauf unsere ganze Civilisation beruhet.
Die in Nord-America herrschende Tendenz ist in einem bestimmten Kampfe mit unserer Religion, mit unsern monarchisch-aristrocratischen Interesse und Gesinnungen, und eben daher kann der Verfasser alles dasjenige, was auf dieser transatlantischen Basis beruhet nicht anders als verderblich nennen.
Eine sehr falsche Folgerung aus diesem offenen Geständnisse würde es seyn, wenn man darin einen Haß gegen Nord-America als solches suchen wollte.
Die Vertheidiger der herrschenden Europäischen Politik sind zufrieden, wenn unser Welttheil von dem nicht heimgesucht wird, was America angehört.
So lange es jenseits des Oceans bleibt, wollen wir es nur als fremd betrachten; aber bekämpfen müssen wir es, wenn es sich in Europa eindrängt, wenn es feindlich und stöhrend gegen unsere ersten und theuersten Interessen auftritt. Niemand würde es, (um den bekanntesten Repräsentanten der in den Nordamericanischen Freistaaten herrschenden Principien statt aller andern anzuführen), dem General Lafayette verargen, wenn er dort ein neues Vaterland gesucht, wenn er Frankreich, wenn er Europa entsagt hätte, um jenseits des Oceans einen politischen Zustand zu finden, den hier zu erschaffen er sich vergebens bemüht hat.
Aber er, und mit ihm alle diejenigen, welche in Frankreich, in Spanien und überhaupt im westlichen Europa mit dem Namen der Liberalen bezeichnet werden, und die alle mehr oder weniger der herrschenden Europäischen Politik entgegenstehen, werden mit Recht als die Feinde der Religion, des Staates und der gesellschaftlichen Ordnung betrachtet; sie werden mit Recht als solche angeklagt, verfolgt und bestraft, da sie seit dreißig Jahren bemüht sind, alle religiös-politischen Institutionen, auf denen die Europäische Civilisation beruhet, zu vernichten, und uns einer allgemeinen Gesetzlosigkeit, den Folgen der Aufhebung jeder Autorität preis zu geben.
Mit wie viel Bestimmtheit, mit wie viel Strenge gegen diese verderblichen Bestrebungen verfahren werden solle, muß natürlich der Weisheit der Regierungen überlassen bleiben, und mag die Klugheit es anrathen, in der Praxis hier mit mehrerer, dort mit minderer Mäßigung zu verfahren.
Aber von Mäßigung kann nur in der Anwendung die Rede seyn. Das Princip kennt diese Schranke nicht, und kann nie mit zu großer Strenge aufrecht erhalten werden."
Aus dem Vorwort des Buches von Johann Georg Hülsemann, "Geschichte der Democratie in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika", Göttingen 1823.
Hülsemann, in den 1830ern österreichischer Botschaftssekretär und später Botschafter in Washington, geht darin auf die im Rahmen ausgedehnter Reisen und Aufenthalte in Nord-America gewonnenen Eindrücke ein. Und kommt zu dem Schlusse, daß dieses Land mit Europa und im besonderen mit Österreich in einem antipodenhaften Gegensatz stehen. Es heißt zwar nicht, daß in einzelnen Punkten zwischen Liberalen (und Nord-America ist in seiner Grundidee ein liberales Land) und Conservativen - als die, die ein Continuum im Menschen vom Anfange an suchen und bewahren - nicht Übereinstimmung herrschen könne.
Das heißt aber auf jeden Fall, daß sich beide Civilisationen nur in principieller Feindschaft gegenüberstehend betrachtet werden können. Die sich nur deshalb nicht im Kriege äußern, weil ein Ocean dazwischen liegt, und die politischen Interessen beider Länder sich nicht berühren. Sobald das aber nicht mehr so sein sollte bleibt ein Krieg unausweichlich. So, wie es dann im Ersten Weltkriege erstmals, in einem folgerichtigen Continuum aber endgültig im Zweyten geschehen ist. Dem eine Colonialisierung Europas folgte.
Dies vor Augen darf die Frage erlaubt sein, welcher Haltung sich Hülsemann in diesen Tagen befleißigen würde. Wo sich der thätige, ja aggressive Einfluß Nord-Americas über die ganze Erde erstreckt.
Um sich die Konsequenzen daraus vorzustellen genügt es, seine obigen Worte genauer zu lesen. Ganz klar nämlich hat Hülsemann erkannt, und er war beyleibe nicht der einzige Denker, der zu diesem Urtheile kam, in welch unvereinbarem, ja feindlichem Gegensatze die americanische Lebensweise und Weltanschauung mit der abendländischen, also europäischen Cultur (Civilisation) steht.
Europa und Nord-America können deshalb niemals nebeneinander bestehen, es sey denn, sie hätten keinerlei Interessensconflict und civilisatorische Berührung. Österreich und die Vereinigten Staaten von America sind Antipoden in dem Sinn, als sich die Grundlagen von Lebensweyse, Religion und Civilisation unvereinbar und als Gegentheyle gegenüberstehen.
Wo aber Europa auf einen gewissermaßen mit dem americanischen Liberalismus "vereinbaren" - was in ganz ausgesuchten Theylbereichen (man denke an das gemeynsame Vorgehen gegen China im sogenannten Boxerkriege) aber aus diplomatischen Gründen sogar noch möglich wäre - oder gar "vereinten" Weg einschwenkt, steht es somit im Gegensatz zu sich selbst, und wird der Vernichtung anheimfallen, wird zur Colonie des Landes jenseits des Atlantik werden.
Damit fiel Europa unter den Herrschaftsstab einer Ideologie eines universalistischen "Americanismus", die Pius XI. 1928 noch als schwer häretisch und anti-civilisatorisch verurteilt hatte, als sie sich in ihren treibenden Kräften aber bereits in Europa auszubreiten begonnen hatte, und 1933 namentlich in Deutschland ebenfalls an die Herrschaft kam. Wo sie sich lediglich anders benannte - als Nationaler Sozialismus.