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Freitag, 19. März 2021

Kriterium der Gemeinschaft

16. März 2021, 2 Uhr 18) Gestern ist in der Messe um halb zwölf etwas Seltsames passiert. Nachher saß ich wie immer noch einige Minuten im Gebet, da trat ein Mann, etwa Mitte vierzig, an mich heran und begann zu sprechen. Ich wandte mich zu ihm, tat erst so, als hörte ich ihm zu, unterbrach ihn dann aber und sagte auf Ungarisch, daß ich nur wenig verstünde, ob er nicht in Deutsch oder Englisch reden könne. Er stutzte, und sieh da, wie sich vor allem später herausstellte, sprach er recht gut deutsch. Immerhin ist er Dozent für Wasserwirtschaft an der hiesigen Hochschule.

Aber der Priester, bei dem ich zuletzt mehrmals beichten gewesen war - er spricht ausgezeichnet deutsch - und der gestern zelebriert hatte (ich hatte sogar etwas von der Predigt verstanden); er erklärte, warum man normalerweise die Kommunion nur in einer, nicht wie die Protestanten in beiderlei Gestalten empfange, warum aber heute - und das war dann der Fall - die Möglichkeit war, dies ebenfalls zu tun: Als Zeichen nationaler Einheit (sic!), als Zeichen der Gemeinschaft mit den Protestanten. (Erst jetzt, wo ich das schreibe, es ist kurz nach zwei Uhr morgens, wird mir dieser Aspekt in aller Schärfe klar.) 

Dieser Pater also hatte ihn angesprochen, er solle sich mit dem Mann in brauner Jacke und Bart unterhalten, mit mir also. Warum wußten weder er noch ich. Und wir sprachen freundlich und nett, aber es war uns etwas peinlich, denn wir hatten uns ja nichts zu sagen!

Vielleicht hatte er eine Intuition, meinte er, als wir gemeinsam rätselten, was er gemeint haben könnte. Und mir, für mich gedacht, kam etwas Mißtrauen, ob der Priester nicht etwas zu viel in den Aspekt des Subjektiven versunken war. Der leicht ins Irrationale abdriften läßt, und man dann "Intuitionen" hat, die aber schon ihrer Natur nach diffus sind, sodaß sie im Konkreten, Welthaften zu völlig falschen, unsinnigen und sinnlosen Kombinationen anregen. Man "fühlt" dann etwas, bringt es aber ohne nachzudenken mit irgendetwas Konkretem in Zusammenhang, das aber nicht zusammenhängt. 

Dann kann es sein, daß man Zusammenhänge "fühlt", die man durch die Art, wie man sie zusammenbringt, regelrecht zerstört werden! Weil sie auf einer anderen Ebene liegen, deren Zeit und Umstände aber gar nicht gekommen sind oder anstehen. Sondern erst nach einer bestimmten "durchlebten" Geschichte ans Tageslicht kämen, aber erst in der Zukunft. Ein bloßes "Gefühl" aber, das der Fühlende als Anzeige von Verbindendem identifiziert, ergibt erst dann Sinn und Konkretion, wenn der Fühlende und der ganze Moment in der rechten Ordnung steht. Diese Ordnung aber muß sich entwickeln, als Welt und in der Welt entfalten.

Also stellte ich einige Fragen, ganz konkret, um Anhaltepunkte zu erkennen, aus denen sich Gemeinschaft und Gemeinsamkeit ergeben könnte. Vielleicht war die Intuition des Priesters ja richtig, vielleicht war da etwas. Aber wir beide waren doch etwas erstaunt und wunderten uns, denn was immer wir ansprachen, wir hatten offenbar nichts gemeinsam. Vielleicht hier in der Messe, deutete er dann am Schluß unserer (sehr freundlichen) Unterhaltung, ehe wir uns verabschiedeten. Wir hatten nichts gefunden.

Vorhin, in diesem Wachliegen, ehe ich aufstehe, und das sich immer mehr in die Nacht zurückverschiebt, also "früher" ist, dachte ich über alles das noch einmal nach. Und ich überlegte, mit wem ich eigentlich Gemeinschaft hatte. Da kam der Gedanke glasklar vor Augen: Ich wollte Gemeinschaft nur mit Menschen haben, die in der Ordnung Melchisedeks lebten. Das heißt, in diesem Opfer zusammengeführt, in dem die Welt gipfelt. Habe ich lange gesucht, was für mich wirklich Kriterium ist, nach dem ich entscheiden und mein Handeln in der Welt ordnen kann, so habe ich es nun gefunden.

Und mit einem Mal hatte ich vorhin auch Sehnsucht, wieder an einer orthodoxen Liturgie teilzunehmen. Denn in jenen Monaten, also ich mich mit einem Übertritt befaßt hatte, war mir die historische Konkretheit des Glaubens aus dem Ozean des Diffusen aufgetaucht. 

Auch wenn ich schon länger jeden Gedanken an Übertritt endgültig wieder ad acta gelegt habe (weil ich mit der historischen Konkretheit als Kontinuität, die mir durch die Kirche heute, aber mit der Zeit ÜBERHAUPT DURCH DIE KIRCHE - welch Paradox! - umgehen gelernt habe), begreife ich die Orthodoxen, bei denen ich vor zwei Jahren ein gutes halbes Jahr den Jahreskreis mitgelebt hatte, als Teil des Katholischen. 

Aber als kleineren, ungenügenderen Teil. Es wäre mir Einschränkung, mich mit dem Orthodoxen zu begnügen. Denn was sie tun ist im Katholischen bedeutend erweitert, ausgefaltet worden, und alles das fehlte mir. Das Katholische umschließt also das Orthodoxe, ist dem Katholiken, der sich in Gemeinschaft mit Rom befindet weil darin verblieben ist, weiter geworden. 

Also auch mir. Der ich an diesem Punkt, in dieser Zeit lebe, und von diesem Entwicklungsstand geprägt bin. Der aus der Auseinandersetzung mit Gott in der Zeit stammt, ich habe keine Zweifel. Aber genau das habe ich vor zwei Jahren erlebt, und genau das fehlt mir manchmal: Die orthodoxe Liturgie frischt Aspekte, Teile auf, die im Katholischen manchmal vergessen wirken, die die Liturgiepraxis untergehen läßt und fast zum Verschwinden bringt. Und diese habe ich vor zwei Jahren regelrecht neu entdeckt.

Das wichtigste war der Opferaspekt. Der mir erst vor Augen gebracht hat, warum in den maßgeblichen Kirchen meines Lebens - die Pfarrkirche in der Pfarre, in der und auf die hin ich getauft worden bin, ebenso wie die Heilig-Geist-Kirche gleich vor meinen Fenstern, in die ich sehr oft zur Messe gehe - der gesamte Chor, das Presbyterium von Symbolen überquillt, die das jetzige liturgische Geschehen in den historischen Zusammenhang, vor allem aber in die historische Kontinuität des Opfers nach der Ordnung Melchisedeks stellt. Das dann über Jakob und Christus Jesus in diese Gegenwart führt: EIN Opfer, ein Geschehen, eine Quelle, von der ich trinken kann.

Und EINE Gemeinschaft, die sich unter den Menschen aufbaut. Die mit den Orthodoxen mal graduell schwächer, öffentlich nicht mit zu vielen aber prinzipiell gar nicht vorhanden ist.

Auch dann besteht diese wesentlichste Unterscheidung darin. Selbst mit so manchen, in deren Leben und Handeln (sic!) in der Heiligen Messe (als Teilhabe an der Liturgie) dieser Aspekt keine Rolle mehr spielt. 

Selbst hier, selbst unter uns, die wir da alle in der Messe sind, kann sich mitten in einer nie unterbrochenen Gemeinsamkeit des "Hierseins", also des "In der Messe-Seins" eine Spaltung herausgebildet haben, die noch kaum, aber eines Tages in voller Größe sichtbar würde. Und die über allen möglichen Streit weit hinaushebt, davon völlig unterschieden ist. Mehr noch aber: Eine Spaltung herausbilden, weil wir andere Zielsetzungen verfolgen, sie nach und nach eine andere Konkretion zur Folge haben. Und damit eine andere Liturgie, die zu einem anderen Ziel führt.

Wenn nämlich, dann würde ich darauf achten, gegebenenfalls sogar danach fragen, ob der andere (und damit auch der Mann von gestern) sich so wie ich in dieser Ordnung und Kontinuität begreift. Dann haben wir Gemeinschaft. Sonst nicht. Ja sonst stehen wir vielleicht sogar in verschiedenen Religionen, ohne es noch zu wissen. Sonst stehe ich vielleicht tatsächlich vor einem Protestanten, und nicht vor einem Katholiken, wie die Umstände vortäuschen könnten.

Und je länger ich nun darüber nachdenke, desto mehr halte ich es für wahrscheinlich, daß der Priester mit dem Hinweis für diesen Mann, der ihn und mich in diese peinliche Lage gebracht hat, eine freche, nein: Schamlose! Indiskretion begangen hatte.


*160321*