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Freitag, 26. März 2021

Wissenschaft als Zumpferlspiel

Im Jahr 1990, der VdZ hat wohl schon hier berichtet, hatte der VdZ als Bauunternehmer Aufträge im Wert von hundert Millionen abzuwickeln. Fehlte es an österreichischen Fachkräften, um diese Produktion zu stemmen, engagierte er, auf Vermittlung eines slowakischen Architekten, unter anderem ein Dutzend tschechischer Fachkräfte. Darunter einen Diplomingenieur J. Der mit nachweisbarem Hochschulzertifikat auch damit beauftragt war, die Produktionsunterlagen für eine Buswartehäuschen-Serie auszuarbeiten, denn der VdZ sah richtig voraus, daß dies einen nicht unbeträchtlichen Markt in Niederösterreich ergeben würde. Und dieser Diplomingenieur war ja Fachkraft für Holzbau. 

Nach einer Woche zäher Zeichentischarbeit, mit der endlich einmal Kalkulationsgrundlagen auf dem Tisch lagen, staunte der VdZ, daß die Dimensionen der Hölzer für die Konstruktionen ums drei- und mehrfache überdimensioniert waren. Unsichtbar und deshalb nur statisch von Belang, betraf nur diese Position gute fünf Prozent der Verkaufskosten. Völlig perplex guckte Dipl. Ing. J den VdZ an. SO hätten sie nie gedacht. 

Es fehlten Kriterien, ganz einfach. Es fehlten dem Sozialismus Kriterien des vernünftigen, also freien Wirtschaftens und Arbeitens. Und deshalb haben dem Diplomingenieur J jene Kriterien gefehlt, die sein Denken überhaupt relevant gemacht haben. Er hat studiert, aber sein Studium war sinnlos gewesen.

Auf so einer Basis läßt sich natürlich leicht von "Gleichheit" reden. Und - wie in den 68ern samt Nachläufern - vom Muff der Talare skandieren, mit denen man die Relevanz von Wissen, Denken und Logik entsorgte. Die dem eigenen Aufstieg im Wege standen. Jeder ausgebildete, erfahrene Zimmermann in den Reihen der Arbeiterschaft des Betriebs des VdZ war kompetenter. Interessanterweise schien das J zu ahnen, und er ordnete sich auch von Anfang an in diese Arbeiterschaft ein, suchte und fand seinen Platz in der Hierarchie der im Betrieb tätigen Menschen. Und war von Anfang an, getragen von dieser demütigen Haltung der Einordnung als Suche nach dem rechten Platz in der Welt, ein braver, verläßlicher Zimmermann, der in einem begrenzten Rahmen Verantwortung tragen konnte. Der VdZ erinnert sich gerne. Man mußte ihm nur die Aufgaben klar definieren, umreißen, begrenzen.

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Masha Gesten schreibt in dem spannenden exzellent geschriebenen (und übersetzten) Buch "Die Zukunft ist Geschichte - Wie Rußland die Freiheit gewann und verlor" über die Entwicklung der Naturwissenschaft in der UdSSR. Die in einer immer größer werdenden Frustration der Sowjetforscher endete. Ausgehend vom Primat und den damit ausgehenden Direktiven des Zentralkomitees der KPdSU wurde, schreibt Gesten, die Naturwissenschaft des gesamten Einflußbereichs der kommunistischen Parteien mehr und mehr irrelevant. Die Partei gab vor, was die Forschung zu ergeben hatte, die Ideologie (wie sie die Partei ausdefinierte, und das war nie berechenbar) bestimmte, was zu denken und zu "finden" überhaupt erwünscht und den Gesamtzielen der sozialistischen Gesellschaft zuträglich war. 

Das führte bis in die 1970er-Jahre zu einem immer deutlicheren Rückstand der "sozialistischen Wissenschaft" hinter der Forschung des Westens, schreibt Gesten. Ganze Forschungsgebiete waren eliminiert worden, die sich nun aber als elementar herausstellten. Aufbauend auf Geheimdienstberichten, war das der damaligen Führung der UdSSR endgültig klar. Sie beschloß  (gar nicht so sehr unter Chruschtschow, vielmehr unter seinem Nachfolger Breschnew) deshalb eine Wende. Es war die Wende zu Realen, zum Realismus. 

Natürlich aber getragen von jenem Pragmatismus, der seine Relevanz aus der Nützlichkeit für die politisch definierten gesellschaftlichen Ziele bezogen hat.

Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist der hier angefügte Film des Radio Berlin-Brandenburg (rbb) erst interessant. Denn die vorgeschobene "Erklärung" für das "Aufkommen der Rechten", auf die die Geschichte des Mauerfalls" reduziert wird, folgt nur dem üblichen Stumpfsinn. 

Der einer Gesellschaft entspricht, die eine Sendeanstalt aus politischem Willen und von Steuergeldern bezahlt, die nicht in der Lage ist, die Realität des Lebens adäquat zu beschreiben. 

Selbst wenn man anerkennen muß, daß eine Reihe von Tatsachen vorgestellt wird, die manche sehr richtige, unideologische Interpretation der Geschehnisse seit 1989/90 im Rahmen der "Wiedervereinigung" immerhin zuläßt. 

Wie doch das Grundkonzept scheitert. Der hauptsächliche Grund zur Kritik ist der Enttäuschung geschuldet, daß zur Erreichung von "sozialen Zielen" nicht und nicht das "Prinzip Leistung" den Platz in der Hierarchie zu bestimmen vermag. Wie interessant, daß dieses vorgebliche Siegprinzip des Westens gar nicht greift, wie die Ostdeutschen wieder und wieder erkennen mußten.

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Norman Dennis, Fernando Henriques und Clifford Slaughter zeigen in ihrer (zumindest in der englischen Sozialforschung) legendären Buch "Coal is our Life" einen interessanten Zusammenhang auf. Sind die englischen Kohlearbeiter mit ihren Sozialforderungen erfolgreich, steigen also die Löhne der (damals) hunderttausenden Kohlearbeiter, so fließen diese Gelder in jene Bereiche des Konsums, die diese soziale Gruppe bereits zuvor gekennzeichnet haben. 

Bei höherem Lohne, steigen etwa die Einkaufssummen in Supermärkten, die den Grundbedarf decken, aber es steigen auch die Ausgaben in den Pubs, wo die Männer sich darin überbieten, Runden für ihre Kumpels zu schmeißen. Denn dieses Ritual hat für diese soziale Gruppe enorme, hierarchiebegründende wie -erhaltende Bedeutung. Wer immer mit seinem Einkommen "gruppenidentitätsfremdes" Verhalten finanzieren wollte, fällt aus seinem Identitätskreis, wird nach einem Prozeß der Ächtung zum letztendlich Ausgeschlossenen. Und DAS versucht jeder unbedingt zu vermeiden.


Praktisch keine dieser Mehreinnahmen aber fließen in Bereiche, die den Sozial- und Identitätskreis dieser Gruppen übersteigen. 

Es werden keine neuen Gewohnheiten finanziert, es werden keine "höheren" sozialen Ziele angestrebt. Einkommen und Geld bleiben im Rahmen der sozialen Gruppe, der man über den Vater und damit über die wesentliche, gegenwarts- weil identitätsbegründende Tradition zugehört.



*200321*