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Montag, 26. April 2021

Als die Lebens(t)räume billig wurden (1)

Der geneigte und Leser würde vermutlich an der Nachricht nichts erkennen was ihr Wichtigkeit geben könnte, um sie in den ambrosius.konnotationen zu verorten, das sich doch mit "ach so geistigen Themen" befaßt. Aber regelmäßige Leser wissen schon, daß es auch eine der selbstgestellten Aufgaben dieser Seiten ist, in oft den kleinsten, nebensächlichsten, alltäglichsten Dingen die tiefsten Zusammenhänge zu sehen. So ist es wohl auch bei der Meldung, daß in Oberösterreich bei einem Einfamilienhaus der Balkon abgebrochen ist, als ihn drei Frauen mit einem Kleinkind betreten hatten. Man sieht es vor Augen, die Oma, die Tochter, eine Freundin mit dem vierjährigen Hansi-Burli. Alle (außer dem Buben; so ein Kindel läßt noch genug Raum für den Schutzengel, den drängen erst die gescheiten Erwachsenen aus dem Leben) sind schwer verletzt, die Mutter sogar lebensgefährlich. 

QR Balkonstory auf oe24

Diese scheinbar simple Meldung dessen, was so an Tragischem (ja, schlimm, ein Balkon, drei Frauen, ein liebes Buberl ...) im Alltäglichen geschieht und womit man zu leben lernt, verweist aber auf etwas anders. Das einen der entscheidenden Treibsätze für die Auflösung unserer Kultur offenbart.

Warum? Was hat ein abbrechender Balkon vor allem mit dem Sozialstaat sozialistischer* (also heutiger) Prägung zu tun? Nun, da ist schon mal die zeitliche Koinzidenz. Das Haus wurde in den frühen 1960er Jahren gebaut. Das war jene Zeit, in der der Wohlstand unter unseren Eltern um sich zu greifen begann. Bis er dann in den Sozialstaatseinrichtungen die endgültige Öffnung jener Schleusen bedeutete, die die Überflutung mit Geld zur Folge hatte. Kaum hatten in Österreich die Russen das Land verlassen (1955; Oberösterreich war - neben Niederösterreich, Wien, dem Burgenland sowie Teilen der Steiermark - bis zur Donau herunter sowjetische Besatzungszone) begannen die Menschen, ihren Traum vom glücklichen Leben brav nach amerikanischem Vorbild zu gestalten. 

Dazu gehörte das selbst errichtete Eigenheim, das Haus im Grünen, mit viel Garten rundum, in dem später sogar noch ein Swimming Pool Platz hatte**. Das selbst wieder eine Folge jenes social engineering war, mit dem die Verwurzelung der Menschen in ethnisch-religiös homogenen sozialen Räumen und Gruppen aufgebrochen wurde. Denn diese Menschen waren von Ideologien nicht steuerbar, die im Gefolge zentralistischer, totalitärer Staatskonzepte (die im Westen nicht zuletzt als Reaktion auf den kommunistischen Vorläufer unter dem Angstschatten des Kalten Krieges) endgültig und durchgehend realisiert wurden.

Aber eines der entscheidendsten Merkmale dieses ausbrechenden allgemeinen Wohllebens nach amerikanischem Vorbild war - der Schein. Denn natürlich hatte der Normalbürger, der Arbeiter, der mittelständische Angestellte, niemals genug Geld, um sich ein Gebäude nach traditioneller Bauweise hinzustellen. Stattdessen zogen überall Bauweisen und -materialien in den Bau ein, die vor allem eines sein mußten: Billig. Und das heißt: Industrieware statt Handwerk. Und das heißt: Verzicht auf eine riesige Menge (zum größten Teil nie explizit gemacht, also nicht "wissenschaftlich belegt", sondern einfach gut weil bewährt, weil allgemein akzeptiert). Es heißt: Simple Baukörper, die einen möglichst billigen umbauten Raum - am billigsten war die Würfelform - ergaben. 

Was heißt billig? Es heißt NICHT kostengünstig, aber im Anspruch seit je gleich. Es heißt vielmehr, daß einfach rein quantitativ wenig Geld pro Einheit aufgewendet werden muß. Während man eine meist gar nicht abschätzbare Menge an Nachteilen in Kauf nimmt, die einem Mangel an Eigenschaften gleich kommen, den zu beheben man einer zur black box gemachten Zukunft überläßt. 

Und die Bauweise des neuen amerikanischen Lebensideals, das einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Problemen nach sich zog, war in der Tat billig. Dazu nahm man sogar Techniken in Anspruch, von denen noch keiner sagen konnte, was mit denen in dreißig, fünzig oder gar hundert Jahren der Fall sein würde. Ob das, was man da schnell und billig (beides wurden zu Synonymen) aus dem Boden stampfte, technisch in der Lage war, mit einem der entscheidenden Ansprüche der Vergangenheit unserer Völker zu brechen. Nämlich dem, daß alles, was man tut, baut, arbeitet, errichtet, in Hinblick auf ein Vererben, ein Bleiben über möglichst lange Zukunft bedeuten muß. 

Dieser Anspruch auf Bleibendes war es aber auch, was unseren Wohlstand aufblühen ließ. Der niemals auf dem Tun einer Generation beruht. Reichtum ist immer eine Frage des Akkumulierens über Generationen, von denen somit eine reicher als die vorhergehende wird, weil sie auf deren Leistungen zurückgreifen kann. Der Leser möge das einmal selbst überschauen, wieviel von dem, was wir eigentlich Reichtum nennen, der unser ist, auf der Leistung unserer Vorfahren beruht. Nur möglich war, weil wir mit einem Vermögen umgehen konnten, das wir unser Eigen nennen konnten, und uns in die Lage versetzte, dies und das weiter aufzubauen. 

Hat man diesen Schatz der Vergangenheit, dieses Erbe der Vorfahren aber nicht, dann muß man ihn aus zwei Quellen schöpfen. Beide haben mit Zeit zu tun, beide haben eng miteinander zu tun. Einmal ist es die Notwendigkeit, innerhalb derselben Zeit die mehrfache Menge an Ausstoß von Dingen zu schaffen. Und dann die des Vorgriffs auf die Zukunft. Beides verlangt, die Folgen des eigenen Tuns nur noch in einem sehr eingeschränkten Spektrum zu berücksichtigen, und was immer geht beiseite zu schieben und zu ignorieren. Oder - wie beim Verzicht auf Nachdenken - dieses Risiko auf sich zu nehmen. 

Dann muß man zu Lebensweisen greifen, die einerseits das Tempo von allem erhöhen, anderseits eine technische Ablaufoptimierung nach bestimmten Gesichtspunkten ermöglichte. Der sich am ehesten mit der gleichzeitig flächendeckend etablierten "modernen" Massentierhaltung verglichen werden kann. Wo mobile Einrichtungen die "Lebensnotwendigkeiten" zu- oder abführen. Hauptsache modern. Alles war doch so modern?!

Das hieß seit den 1960er Jahren auch den Bau von immer mehr Autobahnen, wo eine die andere bedingt und wie in einer nie endenden Kette eine nach der anderen nach sich zieht, um rasch möglichst viele Menschen von und zu den Arbeitsplätzen zu bringen. Billig, weil sich über die meisten Folgen niemand den Kopf zerbrach. Deren offensichtlichste eine Verhäßlichung unserer Landschaften war, die eine Charakteristik des Umgangs mit der Welt erkennbar macht, die ebenfalls dem amerikanischen Umgang mit der dortigen Welt entspricht. Und einer Verschließung der Sinne gleichkommt, einem Blindsein-wollen, einem Taubsein-wollen, einem Nicht-nachdenken-wollen. 

Hauptsache, alles sieht so aus wie die Bilder in den Magazinen, die uns von jener Lebensweise her seit Jahrzehnten überschwemmten. Und wenn wir hier sagen, daß sie aus Amerika über uns gekommen wären, dann sagen wir nicht die Wahrheit. Denn es gibt ein Land in Europa, das exakt dieselbe Lebensweise aufzog wie jenseits des Atlantik Furore machte. Das sogar dieselbe Staatsform hatte, und das deshalb dieselbe Entwurzelung über seine Völker brachte, die sich nun in einem universalistischen Staats- und Volksbegriff fanden. Der (siehe oben) wie jeder Zentralismus Totalitarismus bedeutete. Und dieses Land war ... Deutschland. 

Es war Deutschland, das ab der "Reichsgründung" von 1871 mit Amerika (und NICHT mit England) in so scharfen Wettbewerb um Weltgeltung trat, daß er sich in zwei Weltkriegen entlud. Und es war Deutschland, dessen Menschen über social engineering - und genau das vor allem passierte in den Jahren 1933 bis 1945 - zu einem Wohlstand kamen, der für ganz Europa zum erstrebenswerten way of live wurde. Ganz Europa bewunderte es, und wo immer die Menschen von einem Land sprachen, in dem die Zitronenbäume gen Himmel wuchsen, meinten sie Deutschland. Alles wurde begrüßt, was das eigene Land näher an dieses Vorbild brachte. Lenin und Stalin war das bewußt, und sie hatten beide die fixe Vorstellung, daß Europa in dem Moment kommunistisch wurde, in dem Deutschland kommunistisch war.

Morgen Teil 2) Erschlagen von den Balkonen der Gierigen


*060421*