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Donnerstag, 8. April 2021

Gedankensplitter (1121)

Je älter ein Mensch wird, desto weniger Bedeutung hat das, was sich in seinem Leben bislang abgespielt hat, als Einzelereignis. Vorausgesetzt, wer wird erwachsen, wird seine im Alter aktuelle Existenz zu einer Abstraktion seiner Vergangenheit. 

Aus allem, was gemeiniglich als "Erlebtes" und "Getanes" bezeichnet wird, destilliert sich dann ein Abstraktum, das selbst wiederum eine Existenz fundiert. In der dieser Mensch nun lebt und sich darstellt. 

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Sogar Erwachsenheit selbst läßt sich somit daraus erkennen, daß ein Mensch in der Abstraktion - das heißt, daß das hinter allem Stehende Wirkliche, wirklich Verursachende, wirklich Treibende, wirklich Geschehende - zu einer immer reineren Wahrheit über sich und damit (!) über das Leben selbst gelangt. 

Was nur dann möglich ist, wenn alles Erlebte (als Begegnendes gesehen) zu einem Probefall für ein Exemplarisches wird. Das erst gesehen werden kann, wenn man sich vom Faktischen löst - der Welt also stirbt! - und die Grundzüge sucht, die allem zugrunde liegen.

So führen sich beim alten Menschen, der erwachsen wurde, sämtliche Linien zu ein und derselben Wurzel und Quelle zusammen. Ziel wie Ursprung zugleich, sind sie das ein Leben wirklich Tragende. Und das ist ... ein Name.

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Letzthinnig kann ein Mensch jedoch nur als alter Mensch im Vollsinn erwachsen werden. Weil nur der Alte auch alle Lebensphasen durchlaufen hat; vorher gibt es zwar so etwas wie Erwachsenheit, aber nur auf die jeweilige Lebensphase bezogen. Die immer unvollständig bleibt, weil jede Lebensphase die vorausgehend in sich subsummiert, aber in einer neuen Dimension übersteigt. Dem, der jung stirbt, bleibt zwar die Möglichkeit sich zu vervollkommnen, aber nur jeweils auf seine Lebensumfänglichkeit und -phase bezogen. 

In diesem Sinn sind beim Mann im Alter von etwa 30 bis 33 Jahren (bei der Frau etwas früher, da ist es etwa im Alter von 28 bis 30 Jahre am Programm) sämtliche Potenzen seiner Welt- und Figurhaftigkeit angelegt und erreicht, weil auch sein leib-seelisches "Wachsen" sämtliche Potenzen erreicht hat. 

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Nicht nur sind die in diesem Alter getroffenen Entscheidungen deshalb für jedes Menschenleben schicksalhaft, sondern er hält nunmehr alle Fäden in der Hand, die im Alter zusammenlaufen. Aber er erkennt nur die Fäden, und vielleicht (!) deren Richtung. Genau darum aber geht es. Ist er nicht in Vollbesitz seiner Kräfte (akmé), ist er nicht in Besitz seiner selbst - was Menschen im Laster, im Irrtum ausschließt, sie bleiben gewissermaßen dem Unverständlichen, dem Zufälligen, allen möglichen fremden Willen ausgeliefert - sieht er diese Fäden nicht in ihrer Wirklichkeit. 

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Soweit sie seinem Lebensalter halt angemessen ist. Denn Begreifen im Sinne von Definieren, Interpretieren vermag der Mensch nur anhand jener Bilder und Gestalten, die bereits konkret in ihm vorhanden sind. Und hier haben wir es durchaus mit einer Quantitätsfrage zu tun, nicht nur mit einer der Qualität.

Und das trifft beim erwachsen werdenden Alten zu. Sodaß dieser diese Fäden in allen irdischen Ebenen nicht nur mehr und mehr sieht, sondern in ihrer Wirklichkeit erkennt, und damit (erst) das Leben in allen Äußerungen überblickt. 

Die immer auf Lebensstufen, Lebensphasen, nicht auf allfällige "kulturelle Allsonderheiten" bezogen sind. Sodaß erst der Alte sie in seiner Überblicksschau zusammenlaufen weil auf dasselbe ausgerichtet gewesen sieht, von dessen faktischer Form er sich nicht irritieren läßt.

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Apropos Kulturen. Die Kulturen der Welt unterscheiden sich in ihren Spezifitäten, in ihren faktischen Details überhaupt nicht. Das will nur beim oberflächlichen Blick so erscheinen. Wo die Pfauenfeder "anders" erscheinen will als die des Eichelhähers. Nein, die Welt unterscheidet sich nie "inhaltlich", also in der faktischen Gestalt, sondern alles wird von ein und derselben Wirklichkeit getragen - und somit auch die Gestalten durchwest. 

Dementsprechend kennt der VdZ Menschen, die viel gereist sind, und ständig von allen möglichen Details erzählen, die sie hier und da "erlebt" haben, die nach wie vor in ihrer faktischen Wucht vor ihnen stehen. Und an die sie "glauben", auf die sie nach wie vor unabgelöst und fasziniert starren. 

Aber er kennt auch Menschen, die viel gereist sind, und kaum noch etwas erzählen. Weil sie erkannt haben, daß in allem Verschiedenen (und sie haben selbst einmal diese Verschiedenheit gesucht) das immer Selbe verborgen ist. Daß sich weder die Menschen noch das von ihnen geführte Leben wirklich unterscheidet. Nur das Material ist verschieden, nur das Material hat gewechselt, nicht aber die Wirklichkeit. Und nur um die geht es, nur die sucht der Mensch.

Deshalb ist der nicht Erwachsene nicht jemand, der nicht das Wirkliche suchte, sondern jemand, der sich vom Faktischen so beeindrucken läßt, daß es für seinen Erkenntnishorizont kein Wirklicheres gibt. Das wirklich Wirkliche aber findet er einfach nicht, auch wenn es ihn genau so bestimmt, wie jeden anderen. Sodaß der nicht Erwachsene zum wahllos Summierenden wird, ohne daß es zu einem Zuwachs an Erkenntnis kommt. Und damit zu einem Zuwachs an Selbstbesitz.

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Nur im Erwachsenen summiert schließlich der Name seine gesamte Existenz. Die sich auf einen Punkt reduziert hat, der alles enthält - seinen Namen als Gesamtbild, als Gesamtton, als Gesamtklang. 

"Sich einen Namen machen" hat nur von dort her seinen Sinn. 

Damit wird aber auch verständlich, daß es in allen Kulturen anzutreffen ist, daß Menschen durchaus ihre Namen wechseln. Oder daß ihnen im Laufe ihres Lebens Namen zugedacht werden. Die Sitte des Ruf- oder Spitznamens hat somit durchaus einen Sinn, wenn sie aus diesem Umstand motiviert ist. 

Und nicht eine im Grunde schwere Beleidigung weil Nihilierung eines Menschen ist (werter Leser, das ist das Hauptwerkzeug des sogenannten Mobbing: Die Ignoranz, die Nicht-zur-Kenntnis-Nahme eines Menschen) und irgendeinen willkürlichen Namen heranzieht, der meist aus Bequemlichkeit den wahren Namen desjenigen nicht einmal zur Kenntnis nimmt, weil sich dessen wahrer Lautfolge gar nicht stellt. Die ... Mühe wäre. 

Solche Form von "Spitznamen" kann man zudem als Inbesitznahme durch die Gemeinschaft der "anderen" sehen. Die einem doch das Ich "zuwerfen" sollten, und das auch tun müssen, weil sonst den Menschen, der im Du sein Ich sucht, und das tut jeder, als mindestes in die Irre führen. 

In solchen Spitznamen erfolgt ein Niederzwingen in die Gemeinschaft, die in dem wesensfremden, willkürlichen, der Bequemlichkeit entstammenden Namen (der somit von einem selbst das Maß nimmt, nicht vom anderen, nicht vom "Namensträger") den anderen bestimmen und nicht in die Freiheit der Wahrheit stellen will. Denn dann bleibt der eigene Name, der Rufname, der einem selbst Grenzen setzt, ein Gefängnis, das nicht begreifbar weil eben irrational ist.

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Solcherart kann man darüber nachdenken (und im Einzelfall ist es durchaus legitim), ob man nicht als älter Gewordener einen neuen, anderen Namen annimmt. Ob wir es in einer Zeit des Matriarchats (das immer eine Zeit der Irrationalität und Willkür weil Ordnungsfeindschaft ist) nicht sogar durchweg mit "falschen" Namen zu tun haben. Die das Wesen des neu Geborenen gar nie erfassen, sondern diesen immer nur zwingen wollen. Und zwar genau durch Fremdheit des diesem zugeworfenen "Ich" von dessen eigentlichem Wesen.


*260321*