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Montag, 12. April 2021

Filmempfehlung (2)

Teil 2) Der Kampf des Matriarchats um das Recht endet in Gewalt.

Einem pensionierten Sheriff (gespielt von Kevin Kostner), George Blackledge, und dessen Frau Margaret, die zurückgezogen auf einer Farm im südlichen Minnesota leben, stirbt bei einem Sturz vom Pferd ihr einziger Sohn. Er läßt eine junge Frau sowie einen kleinen Sohn zurück. Der in seinen ersten Lebensjahren als "Großelternkind" aufwächst. Margaret läßt auch der leiblichen Mutter wenig Spielraum, und reißt die Herrschaft über das Kind an sich. Das zu "ihrem" wird, weil in ihm der tote Sohn weiterlebt.

Die junge Mutter ist damit alles anderes als glücklich, und heiratet wieder. Vielleicht auch, um die Gewalt über ihr Leben zurückzuholen, denn die Wahl ihres neuen Ehemannes ist offenbar überstürzt und nicht sehr glücklich. Da ist der Bub etwa fünf Jahre alt. Und vielleicht hat bei der Wahl des neuen Mannes auch die Stärke der Herkunftsfamilie eine Rolle gespielt. Denn natürlich macht der neue Mann von seinem Recht Gebrauch, ein eigenbestimmtes Leben aufzubauen. Damit gerät er erst recht in Konflikt mit Margaret. Und eines Tages ist er sogar samt Frau und Kind verschwunden, ohne zu hinterlassen, wohin die junge Familie gegangen ist. 

Die Großeltern - vor allem Margaret will es, einmal mehr fügt sich ihr Mann George - machen sich auf, und suchen nach ihrem Enkelkind. Sie finden die Familie auf der Ranch der Eltern des Mannes in Nord Dakota. Aber dort wird er von einem starken Familienganzen bestimmt, das wiederum fest in die sozialen Gefüge der Region eingebunden ist. 

QR Trailer "Let him go"

Auch der Sheriff des Ortes steht somit hinter der Familie, deren Integrität offenbar hoch geschätzt wird. Womit der Stiefvater, der solche Eingriffe in sein Leben nicht zulassen will - ob aus Gehorsam zur Mutter oder aus eigener Lebensvernunft kann aber offen bleiben - selbstverständlich auch das staatliche Rechtssystem auf seiner Seite hat. 

Dieses autoritär strukturierte, soziale Gefüge gibt das Kind ganz sicher nicht mehr frei. Die Familie wünscht nicht einmal engeren Kontakt mit den Großeltern. Denen (unausgesprochen, doch schwingt es mit: Margaret ist eine "Pferdeflüsterin", was sie am deutlichsten zur Indianerin macht) ein Geruch von Indianischem anhaftet. Das dort nicht unbedingt erwünscht ist. Nicht als Kulturerscheinung. Dabei sieht sich Margaret sogar als Atheistin. Aber auch das ist ein Widerspruch zu ihrer Herkunft und ihren tiefsten persönlichen Wurzeln.

Aber wie in einer Handlungsnebenlinie ausgesagt wird, werden in Nord Dakota Indianerkinder mit dem Schulalter ihren Herkunftsfamilien entrissen, und der Zivilisation zu- und ein-erzogen. Was jedoch bei den Kindern, sobald sie in der Adoleszenz wieder "in die Welt entlassen" werden, zur Identitäts- weil Ortslosigkeit führt. Sie gehören als Erwachsene keiner Welt mehr an. Nicht der der leiblichen Indianerkultur, schon gar nicht aber der westlichen Zivilisation, der sie angeblich durch ihre staatliche Erziehung assimiliert sind.

Dieser Konflikt wird im Film zwar nicht direkt angesprochen, kommt aber als Motivgrund der Figuren klar zum Ausdruck. Zudem meint Margaret, daß die Schwiegertochter (und ihr Enkel) nicht ganz freiwillig auf dem Hof des Mannes lebt. 

Als Kostner und seine Frau keine Anstalten machen, wieder einfach zu verschwinden, wird ihnen das überdeutlich zu erkennen gegeben. George wird, als er Margaret schützen will, sogar brutal verletzt. Eigentlich will er nun endlich aufgeben. Aber das würde ihn von Margaret trennen. Die nun erst recht ihr Enkelking "befreien" will. Und George tut ihr auch diesmal den Gefallen, ihren Willen umsetzen zu wollen.

Margaret, gespielt von Diane Lane, wird dabei so entzückend ins Bild gesetzt, daß man als Mann freilich schon versteht, warum man ihr als Ehemann und freiwillig letztlich jeden Wunsch erfüllen möchte. Auch wenn die - männliche, sachliche - Vernunft so gar nicht dafür spricht und man weiß, daß man es bereuen wird, weil das Wertesystem der Frau mit dem des offiziellen Rechts in Konflikt steht. Ihre Gewalt über den Mann, der ihr, nicht dem Gesetz folgt, ist aber vielleicht nicht weniger skrupellos wie die der "Gegner". Sie ist zwar nicht explizit, aber sie liegt im Infragestellen der Gemeinschaft, in der Wahl, die sie ihm läßt, ob er sie weiterhin besitzen, weiterhin mit ihr leben möchte - oder nicht. Denn sie, sie wird diesen neuen und eigenbestimmten, eigensinnigen Weg beschreiten.

Das gesamte Geschehen wird somit dominiert von Frauen, von zwei starken Frauen. Die beide im Grunde ihr System betreiben, und sich hier unversöhnlich gegenüberstehen. Als Welt des Gefühlten, A-Rationalen, wie es auch das Indianische repräsentiert, und Welt der vernunftgeprägten, oder sagen wir besser: rationalen Zivilisation, repräsentiert von der Herkunftsfamilie des Stiefvaters. Die von der Mutter (ausgezeichnet gespielt von Lesley Manville) bestimmt wird, die bereits Witwe ist. Formal. 

Aber beide Frauen sitzen nun nicht im Stuhl der Herrschaft im Hause, die eine explizit, die andere mit psychologischer Gewalt, um das System für den Mann (ob Vater oder in dessen Nachfolger, dem Sohn) bereitzuhalten, um dessen Willen aufrechtzuhalten, sondern um nach ihrem eigenen Willen zu herrschen. Was der Handlung eine bemerkenswerte psychologische Tiefe und Erhellungskraft gibt. 

Ohne Vater, sind die vier Söhne somit nur die verlängerten Arme der Mutter. Sie erfüllen nun deren Willen und werden von ihr beherrscht. In so einer Situation verknüpft sich das bei Söhnen - weil Männern das Streben nach Ort, der immer mit Hierarchie einhergeht, quasi initial eingeschrieben ist - mit der Nähe zur Mutter. 
Sie in concretum, sie als Faktum, und nicht ein transzendentales Gesetz der Ordnung ist die Quelle der Autorität. Wer ihrem Willen gefügiger ist, steigt nach oben. Wer ausbricht, ja wer nur hinterfragt, wird verstoßen. Na? Fällt der Groschen, werter Leser, betrachtet man die seelische Situation heutiger Generationen?

Morgen Teil 3) Der Traum von einem Leben im Traum


*280321*