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Donnerstag, 29. April 2021

Neid und Gleichheit - eine Erfolgsgeschichte

Neid ist nicht die Folge sozialer Ungleichheit, sondern die Folge des Glaubens und Anspruches, daß der andere mir in allem gleich zu sein hat und deshalb eine andere (in gewissem Sinn immer bevorzugte) Behandlung verdient.

Seine Andersartigkeit offenbart immer einen Mangel an mir. Welchen Platz immer der andere einnimmt, entspricht in der beanspruchten Gleichheit auch dem meinen. Während ich selbst das Sein vermeide, um mir den Neid des anderen nicht zuzuziehen. Helmut Schoeck meint, daß darin das uralte Problem verborgen ist, sich nicht den "Neid der Götter" als Quelle des eigenen weil dann von den Göttern verursachtes Problem zuziehen zu wollen.

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Kultur IST die Institutionalisierung der Ungleichheit, in deren Anerkenntnis das Soziale selbst liegt. Weil sich darin der Gerechtigkeitsgrundsatz "Jedem das Seine" verwirklicht. Das macht die Wirkung des Neides (als eigener Mangel an der Gleichheit des anderen) noch zerstörerischer. Werden also die Institutionalisierungen abgeschafft, weil alle gleich sein sollen, dann erhält niemand mehr eine Befriedigung aus seinem Sosein. Denn niemand hat noch das - siehe oben - was man Respekt nennt. In dem er erfährt, daß es jemanden gibt, der von ihm abhängt, der ihm unter- weil zugeordnet ist und ihn braucht.

Genau gegen dieses Gebrauchtwerden begann man sich aber in der zunehmend, mit der 68er Revolution, der der sozialistische Sozialstaat folgte, sozialistisch gewordenen Gesellschaft (ausgehend von deren Autorität und Macht) zu wehren, indem man es als "Ausnützen" verleumdet hat. (Ausnützen ist ein Brauchen, das nicht in der sozialen Ordnung und Zugeordnetheit besteht, also etwas über das Maß des Zueinander verlangen will.)

In der Emanzipation als Grundgedanke von allem (in dem sich alles von dem Ort losreißt, an dem es bisher war) wird jede eigene, schon nur mit dem Dasein übernommene weil verbundene Verbindlichkeit und Schuld verleugnet.

Die 68er und was ihnen folgte waren deshalb ein allgemeines Verbrennen der Schuldzettel, wie es bei den Judenpogromen der Vergangenheit stattfand. Und jede soziale Errungenschaft, die dann folgte, versprach dies auf noch mehr Schuldzettel auszustrecken.

Damit bricht die Dankbarkeit zusammen, als Begleichung dieser Schuld. Die in der Institutionalisierung des Umgangs miteinander die ständige Neuaufladung wie -entladung des Sozialen festlegt und damit zur Haltung und zur Tugend im eigentlichen Sinne weil zur Selbstverständlichkeit macht.

Das geschieht in Brauch, Sitte, im weitesten, aber auch eigentlichsten Sinn: Im Ritus, der aus allem Sozialen dann einen riesigen Tanz macht; Ritus = Rhythmus ...) ihre Wechselseitigkeiten (Schuld wie Pflicht, Dank wie Leistung, Recht wie Zugeständnis).

Auch der Liberalismus (der sich seit langem sogar mit "Demokratie" gleichsetzt, und uns als "liberale Demokratische Gesellschaft" bezeichnet) scheint dagegen aufzutreten. Sie machen es damit ganz so, wie die Kommunistische Radikalengruppe im Gebüsch wartete, bis der Demonstrationszug der gegen Dumpinglöhne auftretenden Arbeiter vorbeiging, um dann herauszuspringen, und sich mit ihren großen roten Fahnen an die Spitze der gesamten Demonstration zu setzen, der somit nicht nur unter ein bestimmtes Motto gesetzt wurde, sondern gleichzeitig Zeugnis von der "Organisationsmacht der Roten Radikalen" ablegte. Auch die Liberalen deuten eine gesunde und gerechte Forderung nach Ungleichheit (als Gerechtigkeitsforderung des "jedem das Seine") in eine Gesamtforderung um, daß jeder Mensch sich "durch seine Leistung" auch seinen sozialen Ort auswählen könne. Daß somit sozialer Ort auch mit bestimmten Erfolgskriterien zu tun hätte. 

Aber das ist ganz sicher nicht der Fall! Weder wird damit vom Liberalismus ein anderes Prinzip forciert als das "Recht des Stärkeren", was in der Regel heißt: Recht des Skrupelloseren, noch erreicht er es in der Praxis! Diese Forderung des Liberalismus, daß eine Gesellschaft sich solcherart ständig neu und anders organisiere, daß jede Ordnung (weil nur auf Leistung basiert) ständig im Fluß sei und jede Institutionalisierung des sozialen Standes unstatthaft und verboten ist, führt zur Situation der berühmten "Karotte vor der Nase", wie es die USA exemplarisch vorlebt.

"Vom Tellerwäscher zum Millionär" ist auch dort eine extrem seltene Ausnahme, wird aber als Musterbeispiel für das propagiert, was JEDEM möglich sei. Er müsse nur das Entsprechende leisten. (Worin das eigentliche Wesen des Liberalen so richtig sichtbar wird: Als Peitsche ganz weniger, die jede Konkurrenz ausschalten wollen, indem sie sie ohnmächtig machen.) In so einer Gesellschaft kommt auf jeden Fall das Bösartige, Niedrige, Unsoziale und Lieblose nach oben.

Umgekehrt wird in Gesellschaften, die den Anspruch auf Gleichheit als Schild an ihrer Türe tragen, jede Kritik an unethischem Verhalten von Emporkömmlingen als "Neiddebatte" abzuwürgen und niederzuschlagen. Wobei eine solche Gesellschaft ohnehin keine "Eliten" mehr kennt. Schon ihre Kinder fallen nicht mehr darunter. Sondern die "oben" sind immer temporäre "Emporkömmlinge". Das heißt, sie sind Menschen, denen jenes Maß in Persönlichkeit und Habitus fehlt, das dieser Stellung zukäme, sodaß sie die Mittel, die ihr "Obensein" markieren - allem voran Geld und Statussymbole - besonders hervorstreichen. Denn nur sie tragen jene Institutionalisierung, die eben eine menschliche Gesellschaft (die sich immer als Kultur zu konstituieren versucht) kennzeichnet.

Nicht wenige, die der VdZ in seinem bisherigen Leben beobachten konnte, die in dem Maß, wie sie nach oben kommen - und in dieser Phase noch die Zerbrechlichkeit von Erfolg und Glück kennen und fürchten, und somit noch wissen, wieviel sie an ihrem Aufstieg dem Glück und glücklicher Fügung verdanken! - zu ausgewiesenen Vertretern der Maxime werden, daß jeder sich sein Glück gefälligst selbst zu erkämpfen habe. Und zwar "so, wie sie selbst es getan haben."

Deshalb schafft eine Gesellschaft, die sich die Gleichheit zur obersten Maxime gesetzt hat, ein Klima des totalen Neides. Nirgendwo herrscht mehr Neid als in egalitären Gesellschaften! Wo die Formen des Umgangs mit dem anderen aufgelöst werden. (Vielleicht unter dem verlogenen Ansatz, daß solche Normen unnotwendig weil "der Situation entsprechend jedesmal neu zu regeln" sind.)


*080421*