Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 13. April 2021

Filmempfehlung (3)

Teil 3) Der Traum von einem Leben im Traum


Die Erzählweise bei "Let him go" ist extrem ruhig. Die Bilder leben aber von der Landschaft, deren überwältigende Größe man als Potenz ahnt. Als Möglichkeit, in der die Zivilisation wie ein zerstörerischer, verhäßlichender, das Große zerhackender Eingriff wirkt. Die meisten Straßen wirken wie skrupellose, lieblose Vernutzung. Schönheit durch die Gestaltung aus Liebe zur Schöpfung bleibt bestenfalls auf ein paar Meter Umkreis beschränkt. Ab und zu blitzt in der Ferne eine Grandiosität auf, die aber zur fernen Kulisse wird.

Das ist wohl das Problem der USA überhaupt. Dieses riesige, überwältigende weil jede menschliche Dimension übersteigende, den Menschen so klein machende Land, das erst zu einem Bruchteil geliebt und ehrlich, schuldlos und schuldbefreit besessen und damit wahrhaft kultiviert wurde. So bleibt der Einzelne groß und in seinem subjektiven Wahn des "Strebens nach Glück," koste es dem großen Ganzen was es wolle, ungestört. Und weil man nur begrenztes Lebensalter erreichen wird, muß alles schnell gehen, und genügt allem Glück das Dasein als Teil einer Kulisse.

Fast beiläufig entwickelt sich in "Let him go" eine Szene aus und nach der anderen. Nur ab und zu geben Rückblenden eine notwendige Erklärtiefe, weil im Film doch (verglichen mit Literatur, auch hier gibt es ja eine Romanvorlage, in der deren Autor Larry Watson vermutlich jene Hintergründe darstellen könnte, die für die Verfilmung recht sicher den eigentlichen Grund geliefert haben; es ist ja interessant, daß meist genau das, was eine Literaturvorlage so beeindruckend macht, in einem Film prinzipiell gar nicht umsetzbar) so wenig wirklich darstellbar wird. 

Und obwohl alles so unspektakulär, so "normal" wirkt, beginnt der Film den Betrachter schon nach wenigen zehn, fünfzehn Minuten einzusaugen und bleibt in jedem Moment spannend. Er bekommt sogar etwas von Traum, in den er versetzt, und liefert auf dieser Ebene dem Geschehen unausgesprochene, wahrscheinlich unaussprechbare Begreifbarkeit. Bis in einer Apokalypse alles sein Ende findet. Man sitzt dann da, weiß sich nur bewegt.

Daß diese Unaussprechbarkeit auch auf das Leben von George zutrifft muß man als Notwendigkeit verstehen. George hat gegen sein eigenes Verstehen gehandelt, in dem er dieser Zivilisation zugehört hat. Damit liefert man sich Unbeherrschbarem, Irrationalem aus, von dem erst die Zukunft zeigen wird, ob es dem logos gefolgt ist, also in eigentlicherem, höherem Sinn vernünftig war.

Aber damit riskierte George auch jenes Schicksal, das ihm dann widerfahren ist. Er ist in die Zivilisation hinabgestiegen, seiner Frau zuliebe, um zu beenden, daß sie weiter auf die edlere Traumwelt der geliebten Frau, die doch jener Welt zugehört, so zerstörerisch einwirkt. Denn das Banale, das bloß Nützliche, Nutzbare, bloß Gerechnete, das nur Funktionale hat immer den Vorteil unbeschränkter Gewalt. Ihm fehlen die Grenzen, die das feine Herz aber grundlegend bestimmen. 

Er, der edle Ritter, muß es deshalb in jeder Hinsicht und ohne Rücksicht auf sich befreien. George hat Dornröschen aus dem Dornengestrüpp herausgeschlagen. Aber die Dornen haben ihn tödlich verletzt. 

"Wozu?! Wozu?!" ruft die Mutter, als alles zu Ende geht, das Haus lichterloh brennt, sämtliche Söhne tot sind, und der finale Kampf mit dem Altscheriff bevorsteht. Denn hier kann nur einer überleben, der Kampf muß lauten Mann gegen Mann(-Frau). In dem aber alle ihr Leben verlieren werden, die der Welt der Frau nicht zugehören. Moses darf das Gelobte Land nie selbst betreten, es ist nicht für ihn.  

Kostner kann auf die Frage der Frau keine rationale Antwort geben. Es bleibt dem Zuschauer nur die Antwort, daß er alles seiner Frau zuliebe gemacht hat. Seine Vernunft hätte von Anfang an anders geredet. Aber ihm bleibt ein Trost, er gehört doch ihrer Welt zu. Und seine geliebte Frau zeigt ihm das, indem sie ihm in seinen letzten Atemzügen etwas ins Ohr flüstert. Woraufhin sein Gesicht entspannt wird. Sanft lächelnd stirbt er.

Zurück bleibt die Frau, ein junger Indianer, ebenfalls ein Zivilisationsflüchtling, der ihnen geholfen hat, das Kind und dessen Mutter, die Schwiegertochter. Die den Schritt in diese andere, Anti-Zivilisationswelt gesetzt hat als sie, vor die Wahl gestellt, den zuvor von George völlig entmachteten Zweitehemann verlassen (und damit dem Tod ausgeliefert) hat. 

Bis zum Schluß bleibt der Film klug und aus den Charakteren heraus spannend weil glaubwürdig. Und nur dann kann ein Drama spannend sein. Denn Glaubwürdigkeit ist kein Kriterium, das das Überraschende ausschließt. Ist nicht jedes Leben ein Drama genau deshalb ein Drama, weil es ständig mit dem Überraschenden konfrontiert wird, das doch so viel über das Leben in seinem Ringen um den ultimativen Traum als des Wandelns in den Hainen des Paradieses erzählt? 

Hatten deshalb nicht, um diese Betrachtungen endlich abzuschließen, die Indianer in ihrem Anspruch auf Traumhaftigkeit den Rechtsanspruch des Strebens nach Glück bereits zu einem Zeitpunkt in ihre Verfassung geschrieben, als noch kein einziger Puritaner seinen Fuß auf dieses neue Paradiesesland gesetzt hatte? Könnte es also sein, daß der Haß, mit dem sie verfolgt und getilgt wurden, dem Neid entsprungen ist? Haben die Puritaner des 18. Jahrhunderts also nicht nur die Verfassung der Indigenen übernommen? 

Und jetzt kommt's: Weiß der Leser, daß die amerikanische Verfassung von 1783 tatsächlich die Verfassung der Irokesen (die mit ihrem "Fünf-Stämme-Pakt" am Sprung zu einem Imperium waren!) als Ordnungsprinzip ÜBERNOMMEN hat? Daß die amerikanische Verfassung also den Traum der Indianer weitergeführt hat? Kann daraus aber dann, wie wir nun wissen, etwas anderes folgen als ... Chaos und Gewalt? Als die gebündelte Zerstörungsgewalt dem Vernunftsystem des Abendlandes gegenüber?

Hier nun der offizielle Trailer zu "Let him Go - Laß ihn gehen". Der Film ist natürlich auch in deutscher Synchronisation am Markt.


Morgen Teil 4) Exkurs zu den Quellen des Rechts


*280321*