Es fand sich einfach kein ausreichend schöpferischer Geist, der aus den durchs Handwerk, durch die technische Perfektion ausgebildeten Formensprachen eine wirkliche Darstellung des Transzendenten, als Deutung eines faktischen Geschehens, schaffen konnte oder wollte.
Niemann führt dabei die technisch perfekten, aber leblosen Reliefs der Assyrer an, die eine Naturbeobachtung verraten, die nie über rein formale Eckdaten hinausging. Diese Aussage wird erhärtet, wenn man - mitten in diesen Wandreliefs! - ein Kunstwerk höchsten Ranges entdeckt. Wie der berühmten "Sterbenden Löwin" von Kujundschik.
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Kujundschik (Assur/Persien); "Die sterbende Löwin" |
Auch mit bloßer Zuwendung nämlich läßt sich dieser Unterschied nicht erklären: auch bei prähistorischen Werkzeugen findet sich hohe handwerkliche Fähigkeit mit dem Schmuckbedürfnis vereint. Das Handwerk aber schuf lediglich Formensprache, Formenelemente. Weil die Fähigkeiten weitergegeben werden, von gleich zu gleich, bleibt es auch lange Zeit so, daß Herstellungsaufträge an Handwerker erteilt werden.
Dabei hat er es sogar seinen vermeintlichen Berufskollegen gegenüber schwer, denn sein Schwerpunkt liegt gar nicht so sehr auf dem technischen Können, wie beim reinen Handwerker. Deshalb ist der Künstler ursprünglich auch nicht von jenen anerkannt, im Gegenteil, man spricht ihm die Fähigkeiten ab.
Erst im Laufe jeweiliger Entwicklungen - und es ist immer relativ spät - entwickelt sich einerseits Verständnis für den Unterschied des bloßen "Könnens" zur Kunst, denn Kunst wird nie gleich erkannt, anderseits jener Menschentypus als Beruf, der es vermag, den bloßen Fabrikaten Seele, Leben einzuhauchen. Und dazu gehört eben das Verschmelzen des Gegenständlichen mit Transzendenz. Das zeigt sich im Abendland in der Gotik, bei den Griechen ab Myron und Phidias, in der Skulptur - sie alle erwuchsen aus bloßer Handwerker-, Steinmetztradition. "Künstler" sind hier per Zufall unter den Produzenten zu finden, und sie sind aus reinem Broterwerb tätig.
Aber sie tauchen bereits auf: in die jeweilige Handwerksschule und -tradition eingefügt, erwächst ihr Werk aus der handwerklichen Bewältigung des Materials und der traditionellen Formensprache. Und sie befruchten auch das reine Handwerk. Nur bei ihnen aber erstand aus bloßem Handwerksprodukt Kunst, und fast zufällig. Denn für die freien Kräfte und Persönlichkeiten gab es in früheren Geschichtsepochen meist viel lohnendere Lebensbereiche, und sei es im Krieg.
Aber in dieser Rückwirkung baut sich ein Stil zu gewisser Höhe auf, wird Gestaltung quasi zum allgemeinen Stil, und insofern zur kunstgewerblichen Höhe einer Epoche (wie bei den Griechen beispielhaft geschehen), ohne je mehr zu sein als Handwerk, mit jeweiligen Einzelerscheinungen: den wirklichen Künstlern, die immer wieder zu den Quellen - der Natur - zurückgehen, um ihre Gestalt zu finden.
Aber in der bloßen Nachahmung vermag sich das Handwerk sogar gewisse Zeit in solcher einmal gewesener (scheinbarer) Gestaltungshöhe halten, und insofern kann ein Kunststil eine Epoche überleben. In Zeitalter hineinragen, in denen es gar keine Kunst gibt, wie es von der Spätantike an (rund um 400 n. Chr.) bis zu Romanik und endgültig dann in der Gotik der Fall war. Ein Zeitalter, in dem es keine Künstler gab, sondern nur Handwerker. (Was übrigens auch für das Dichten galt!)
Erst in der Renaissancetaucht dann im Abendland der Beruf des "Künstlers" wieder auf, der in der spätrömischen Zeit völlig verschwunden ist. Ein Beruf, wie er das erste mal in der griechischen Antike um das Jahr 500 v. Chr. im Abendland aufgetaucht ist. (Der erste überlieferte Name eines Künstlers in der Menschheitsgeschichte überhaupt ist der des Thutmosis, eines Bildhauers unter Echnathon, um 1400 v. Chr.)
Aber, so Niemann, man solle sich nicht täuschen, diese Unterscheidung ist gerade heute sehr exakt zu halten. Gerade im Zeitalter der Akademisierung, der Verschulung des gewerblichen Aspekts ("Kunstgewerbe") sowie des Handwerks, drängen viele zum Lebensbild des Künstlers, die aber - sofern sie handwerklich gut sind - bestenfalls gutes Handwerk, aber keine oder (inflationär) mittelmäßiger Kunst, noch weit häufiger aber: mangels wirklicher handwerklicher Befähigung weder das eine, noch das andere, überhaupt herzustellen in der Lage sind.
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