Stuttgart - Schloß, Schloßplatz |
Kaum waren sie im Hof angelangt, da humpelte ihnen ein Mann in dunkeler Pellerine und Schlapphut entgegen, am Arm eine rote Binde. In einer geheimnisvoll ruhigen, autoritären Stimme, die nie wirklich laut wurde, sondern offenbar das Befehlen gewohnt war, keinen Widerspruch duldete, forderte er sie auf, sich unverzüglich auf ihren Posten als "Volkswache" zu begeben. Er drückte ihnen ein Bündel roten Stoffs in die Hand, davon sollten sie - unter noch lauterem Protest der Weiber, die endlich ihre Beute am Schloßinventar einholen wollten - ihre Armbinden nähen, und er wies sie mit seinem Gehstock in den Seitentrakt.
Die Männer, in einem Zwiespalt von Geschmeicheltheit - sie waren ja nun an wichtiger Stelle! - und braver Pflichtbewußtheit zogen in die Gesinderäume davon, um sich befehlsgemäß zu adjustieren. Die Frauen folgten ihnen ohne zu zögern. Der Mann hatte so klar und bestimmt gehandelt, daß alle in ihm jemanden vermuteten, der der neuen Führung angehörte.
Mittlerweile hatten sich weitere 3000 Stuttgarter in einem Demonstrationszug Richtung Schloß bewegt, und marschierten unter den üblichen Parolen - die Macht dem Volke, etc. - auf den Sitz des Königs zu.
Als sich der Zug den Schloßtoren näherte, humpelte der - kleine, buckelige! - Mann auf sie zu, richtete sich auf, und brüllte mit einem mal: "Links um!" Die Spitze des Zuges stutzte nur kaum merklich, hielt aber keinen Augenblick inne, und ... folgte dem Kommando. Die Vordersten schwenkten befehlsgemäß, und ihnen folgend, zogen alle 3000 am Schloß vorbei.
Der Mann verschwand nun wieder, und zwar genau so geheimnisvoll, wie er aufgetaucht war. Erst nach Wochen wurde seine Identität geklärt: es war ein " stinknormaler" Bürger, ein einfacher Handelsangestellter, namens Gustav Esterle, der sich nie in seinem Leben mit Politik befaßt hatte, und nicht einmal erklären konnte, warum er sich so schützend vor seinen König gestellt hatte.
Wilhelm II. v. Württemberg |
Wenige Tage später tagte zum ersten mal der Republiksrat - unsicher, ein wenig ratlos, denn eigentlich war man ja mit dem König recht zufrieden gewesen. Also verabschiedete man eine Dankadresse an das nun gewesene Staatsoberhaupt. "Die Regierung dankt im Namen des Volkes dem König, daß er in allen seinen Handlungen von der Liebe zur Heimat und zum Volke getragen war, das württembergische Volk vergißt nicht, daß der König mit seiner Gemahlin in wahrer Nächstenliebe stets edel und hilfreich gehandelt hat."
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