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Sonntag, 16. Januar 2011

Religion und Persönlichkeit

Jede Urreligion, jede Religion überhaupt, jede Mythologie und jede mythologische Erzählung, bezieht sich auf eine Stufe der persönlichen Entwicklung. Insofern sind sehr wohl und sehr eindeutig, so der Freund von C. G. Jung, Erich Neumann, in "Ursprungsgeschichte des Bewußtseins", Entwicklungen in Kulturen und Religionen und Kulten zu erkennen, die praktisch deckungsgleich mit persönlichen Entwicklungsschritten in der Geschichte des einzelnen Menschen - heute wie ehedem - verlaufen und auftreten.

Es gibt also kindliche, es gibt pubertäre Kulte und Kulturen, es gibt in ihnen gelöste und ungelöste persönliche Probleme und Fragestellungen, und sie zu studieren ist kein anderes Geschehen als das Studium der menschlichen Psyche.

Es ist eben, wie seit Berkeley oder Kant oder Descartes klar ist: daß die "praktische" Vernunft die theoretische Vernunft steuert weil den Zugang zur Wirklichkeit - über den Willen - bestimmt. Und Vernunft bedeutet ja, daß die Anschauungsbilder, die Intuitionsbilder letztlich, die vorgefundene Wirklichkeit also, als verbindliche Taktgeber betrachtet werden, die zu erfassen das Maß der Wahrheit ausmacht. Wahrhaftige Vernunft braucht also Gehorsam, und Gehorsam braucht Freiheit (und umgekehrt.)

Das macht den mehr oder weniger großen Wert der Mythen und Märchen und heiligen Schriften bis zum heutigen Tag aus, die solche vielfältigen und vielschichtigen Problemlagen des Menschen darstellen und begreifbar machen. Und so sind sie auch immer mehr zu verstehen - im Gleichschritt mit dem Verstehen des Menschen.

In der griechischen Mythologie, zum Beispiel, die so gut bekannt ist, zeigt sich zudem, wie sich in der Vielfalt der Aufspaltungen, die die Götterwelt kennzeichnet, wie jeweils andere Aspekte und seelische Lagen getroffen werden, die in sich wiederum Entwicklungsgeschichten aufweisen - mit Verdrängungen, Betonungen, Reifungen und Degenerationen.

(Weshalb die Deutungen alter Religionen, um in diesem Beispiel zu bleiben, so schwierig scheint: weil die alten Götter jeweils in vielen Bezügen zu sehen sind, die manchmal widersprüchlich scheinen, wenn man diese Bezüge und Formen in denen sie auftreten einfach nebeneinanderstellt, meint, sie müßten ein für allemal so und nur so zu sehen sein. Das ist wahrscheinlich das Hauptproblem, das uns Europäern, die wir von der Vernünftigkeit wie Denkbarkeit des Christentums so geprägt sind, bei der Beschäftigung mit solchen Religionen begegnet, uns ein Verständnis entweder schwer macht, oder uns zu unzulässiger Simplifizierung verführt.)

Vor diesem Hintergrund ist es faszinierend zu sehen, wie das katholische Christentum alle Charakteristiken erfüllt, die der "Erwachsenheit" und männlichen, schöpferischen Persönlichkeitsreife entsprechen. Wie das Katholische alle Wege, Unfreiheit zu sakralisieren, der Freiheit auszuweichen, vermeidet, gleichzeitig aber Zugänge hat, die diesen Religionen fehlten oder fehlen! Und alle diese Stufen, die überall nur zu Teillösungen werden, die aber nie das Zentralproblem - der Erlösung, der Gnade - wirklich lösen, bestenfalls ahnend vorausschatten, in sich zusammenfaßt, und löst.
Wer diesen Fragen wirklich nachgeht, vor dem rollt sich der Kat-holizismus (aus dem Ganzen heraus, alles betreffend - übersetzt) in einer Tiefe und Weite aus, in einer alles umfassenden und vereinenden Dimension, die nur noch staunen macht.

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